Die Entwicklung der Phantasie

In dem heutigen Beitrag geht es um die Entwicklung von Phantasie bei Kindern. Wenn Ihr an die Kinder denkt, die Ihr bislang begleitet habt, werden Euch große individuelle Unterschiede im Phantasievermögen der Kinder begegnet sein. Daraus ergibt sich die Frage, wie sich eigentlich Phantasie entwickelt.

Meine Recherchen haben ergeben, dass die moderne Wissenschaft darauf bis heute noch keine umfassenden Antworten hat. Das liegt einerseits daran, das Phantasie nicht messbar ist. Andererseits wurde die Phantasie bislang als Forschungsgegenstand weniger ernst genommen. Phantasie hat oftmals einen negativen bis hin zu krankhaften Stempel. Häufig fallen in diesem Zusammenhang Sätze wie: „Der hat eine blühende Phantasie.“ oder „Das kommt davon, dass sie zuviel Phantasie hat.“ Interessanterweise wird der Kreativitätsentwicklung ein höherer Stellenwert eingeräumt. Dabei ist die Kreativität genau genommen nur ein Teil der Phantasieentwicklung.

Imagination und Kreativität

Zur Phantasie gehören zwei wesentliche Komponenten untrennbar zusammen. Ein phantasievoller Mensch besitzt eine ausgeprägte Vorstellungskraft, die ihn befähigt, sich etwas bildlich vorzustellen. Dies ist die imagitative Seite der Phantasie, wodurch die inneren Bilder oder auch das sog. Kopfkino entstehen. Dazu kommt die kreative Seite der Phantasie. Durch sie ist der phantasievolle Mensch in der Lage, Dinge und Ideen immer wieder aufs Neue zu kombinieren und somit neue Verknüpfungen herzustellen.

Es gibt Menschen, die z.B. aufgrund ihrer ausgeprägten visuellen Erinnerungsfähigkeit sehr gut Dinge, Situationen oder räumliche Gegebenheiten beschreiben und wiedergeben können. Hierbei handelt es sich vornehmlich um die Wiedergabe des Gesehenen und Erlebtem. Wenn ihnen, ergänzend zu dieser Wiedergabefähigkeit der Eindrücke aus ihrem visuellem Gedächtnis, die Fähigkeit zu neuen Verknüpfungen dieser inneren Bildern fehlt, ist das nicht als Phantasie zu bezeichnen.

Lernen durch Exploration

Wie entwickelt ein Kind im Laufe seines Lebens eine Vorstellung von inneren Bildern und lernt diese immer wieder neu anzuordnen und zu verknüfen?

Von Geburt an kommt das Kind lernbereit auf die Welt und erobert sich diese wie ein kleiner Forscher. Es nimmt seine Umgebung mit allen Sinnen wahr. Durch aktives Explorieren setzt es sich, seiner Entwicklung entsprechend, mit seiner Umwelt, mit Personen, mit Gegenständen und mit Handlungen auseinander. Dabei tastet sich das Kind nach und nach an neue Erkenntnisse heran. Es lernt die Welt buchstäblich durch „Greifen“ zu begreifen.

Schon mit ca. 6 Monaten verknüpft es die vielfältigsten Sinneserfahrungen zu ersten Vorstellungen von den Dingen und Personen in seiner Umgebung. Mit ca. 8 Monaten kann das Kind dann die Vorstellung von einem Gegenstand oder von etwas Erlebtem kurzzeitig als Erinnerung im Gehirn speichern. Es lernt in dieser Zeit, dass Menschen und Dinge auch dann noch da sind, wenn es sie nicht mehr sieht. Es beginnt demzufolge erste innere Bilder zu entwickeln.

Fast zeitgleich entdeckt das Kind das Prinzip von Ursache und Wirkung und erlebt seine eigene Selbstwirksamkeit. In seiner weiteren Entwicklung exploriert es mit verschiedenen Dingen und erforscht seine Umgebung. Es interessiert sich, wie die Dinge funktionieren und wie sie zu handhaben sind. Über das selbsttätige Tun erwirbt es eine immer deutlichere Vorstellung von möglichen Handlungen.

Innere Bilder und Verknüpfungen

Mit ca. 1 1/2 Jahren erkennen Kinder, dass Dinge gleich oder unterschiedlich sind. Sie beginnen diese Dinge entsprechend zuzuordnen oder zu sortieren. Gleichzeitig spielt es im „So-tun-als-ob“ alles nach, was es in seiner Umgebung beobachtet. Darüber entwickelt es eine stabile innere Vorstellung von diesen nachgespielten Situationen und den damit verknüpften Gegenständen und Personen. Gegen Ende des 2. Lebensjahres kann das Kind sich einen Gegenstand denken, wenn dieser nicht vorhanden ist oder es gibt einem anderen Gegenstand die Bedeutung. Ab diesem Alter wird das Rollenspiel zunehmend wichtige

Das Kind entwickelt in den folgenden Jahren die Fähigkeit, sich das Ergebnis einer Handlung vorzustellen, ohne dass es dies praktisch ausprobieren muss. Mit ca. 2 1/2 werden Denken und Tun manchmal noch verwechselt. Das Kind glaubt schon etwas getan zu haben, was es nur gedacht hat.

Das Fundament ist gelegt

Wie Ihr den vorausgegangenen Ausführungen entnehmen könnt, passiert bereits in den ersten Lebensjahren eine Menge, was das Fundament für unsere Phantasieentwicklung bildet. Je nach genetischer Veranlagung und individuellem Lebensumfeld des Kindes, ergibt sich die unterschiedliche Ausprägung des Phantasievermögens bei den Kindern.

Im 3. Lebensjahr wird dann das kindliche Denken zunehmend von der sog. „Magischen Phase“ bestimmt. Eine sehr bedeutsame Phase für die Entwicklung von Phantasie und für viele Eltern oftmals auch eine sehr irritierende und verunsichernde Phase. Um diesem Thema einen angemessenen Platz einzuräumen, werde ich darauf in meinem nächsten Beitrag näher eingehen.

Ich freue mich darauf, das nächste Mal mit Euch in die Magische Phase einzutauchen.

Bis Bald,

Eure Anja

Die Kraft der Phantasie

Erinnerung als Kraftquelle

Glücklicherweise bin ich in den vergangenen Jahren viel mit meiner Familie gereist und durfte viel von der Welt sehen. Das ist eine Fülle von Erlebnissen und Erinnerungen, die mir gerade jetzt Kraft geben. Ich werde diese Woche für mich nutzen, um die Fotos verschiedener Urlaube hervor zu holen und gemeinsam mit meiner Familie in Erinnerungen zu schwelgen. Jeden Tag eine kleine Reise begleitet durch schöne Musik und landestypischem Essen. Mit der Kraft meiner Phantasie und Kreativität kann ich so jeden Tag in einem anderen Land sein. Allein die Vorstellung davon, was ich hier alles eleben und tun kann, tut mir gut.

Die Kraft der Phantasie

Phantasie ist eine besondere Ressource, die uns Menschen, nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, als einziges Lebewesen dieser Welt zur Verfügung steht. In den verschiedensten Definitionen wird sie als eine Vorstellungskraft bzw. Imagination beschrieben, die uns als Mensch dazu befähigt, innere Bilder und damit eine eigene Innenwelt zu erzeugen.

Phantasie ist etwas, das wir in unserer Kindheit entwickeln. Es handelt sich um eine kreative Fähigkeit, die Ihr bei Kindern in deren täglichen Spiel beobachten könnt. Phantasie entsteht, wenn Kinder Raum und Zeit für selbstbestimmtes Spiel und auch für Langeweile haben. Phantasie ist wichtig und wertvoll für die Persönlichkeitsentwicklung. Sie hat Einfluss auf unsere Kreativität, unsere Resilienz und unser Lernen. Daher möchte ich der Bedeutung von Phantasie für Kinder und deren Entwicklung – in meinen Blogbeiträgen dieser Woche – besondere Aufmerksamkeit schenken.

Ready for Take off?

Jetzt möchte ich Euch einladen, gemeinsam mit mir und Eurem phantasievollen „inneren Kind“ auf diese fachliche und persönliche Reise zu gehen. Lasst uns in Gedanken in ein Flugzeug steigen. Mal sehen wo unsere Reise hingeht.

Ich wünsche Euch eine wundervolle Phantasiereise im Kopf.

Eure Anja

P.S. In der Sendung mit der Maus ging es am gestrigen Sonntag in „Trudes Tier“ um einen alternativen Inselurlaub. Auch eine schöne Alternative, um ein Urlaubsgefühl zu erzeugen.

https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLTk2ZTNkMDQxLTg0YjgtNDQwZS04ZGM5LWZmMGYxMWIzYTdmMg/inselurlaub

Balance zwischen Empathie und Selbstfürsorge

Diese Woche handelten meine Blogbeiträge immer wieder von Empathie und von Eurer Fürsorgepflicht für die Eltern und Familien, mit denen Ihr zusammen arbeitet. Es ging viel darum, sich in die Eltern einzufühlen, deren Blickwinkel einzunehmen und durch einen Perspektivwechsel die Eltern besser verstehen zu lernen. Heute soll es einfach mal um Euch gehen.

In diesem Zusammenhang fällt mir wieder einmal eine Pflegedienstleitung aus der Altenpflege ein, die regelmäßig nach Dienstschluss zu mir ins Lehrcoaching kam. Es handelte sich um eine sehr gepflegte Frau, die offensichtlich viel Wert auf ihr Äußeres legte. In einer Sitzung kamen wir darauf zu sprechen, dass ich es sehr bemerkenswert fände, wie es ihr jedesmal gelänge, unmittelbar im Anschluss an den Dienst unverschwitzt und gut gekleidet in der Beratung zu erscheinen. Sie erklärte mir, dass ihr das wichtig sei und sich dafür bewusst die Zeit nehme, weil ihre Philosophie laute: „Nur wer sich selbst gut pflegt, kann auch andere gut pflegen“. Ich habe seither diesen Satz übernommen und ihn wie folgt verändert: „Nur wer gut für sich selbst sorgt, kann gut für andere sorgen.“

Denkt bei aller Empathie deswegen auch an Euch selbst. Tut Euch etwas Gutes. Macht etwas, dass Euch Spaß macht. Lest ein gutes Buch, nehmt ein schönes Entspannungbad, esst ein Stück Schokolade, telefoniert mit lieben Menschen, geht Spazieren, hört Musik, macht Euch einen gemütlichen Abend mit Eurem Lieblingsfilm, treibt Sport…

Hier findet Ihr im Download eine Selbstfürsorge-Karte, die Euch daran erinnern soll, gut für Euch zu sorgen. Hängt sie irgendwo sichtbar für Euch auf. Vielleicht kennt Ihr ja auch noch eine nette Kollegin oder einen netten Kollegen, der*dem Ihr dieses Kärtchen weiterleiten wollt.

 

Jetzt wünsche ich Euch erst einmal ein schönes Wochenende. Passt gut auf Euch auf und sorgt gut für Euch. Ich freue mich auf nächste Woche und hoffe, dass viele von Euch meinen Blog wieder besuchen.

Eure Anja

 

P.S. Ich würde mich über ein erstes Feedback zu dieser Woche freuen. Ich bin gespannt auf Eure Kommentare. Gibt es bestimmte Themen, die Euch interessieren und über die ich für Euch schreiben kann?

Erziehungs- und Bildungspartnerschaft – Das Eisbergmodell

copyrigt Anja Cantzler 2018

Neben dem „Prinzip des Guten Grundes“, das ich im vorausgegangenen Blogbeitrag näher erläutert habe, kann Euch das Wissen um das sogenannte Eisbergmodell (n. Ruch/ Zimbardo (1974), weiterentwickelt u. a. von Schulz v. Thun.) in der Zusammenarbeit mit Eltern hilfreich sein.

Sichtbare und unsichtbare Anteile bestimmen unsere Kommunikation

Dieses Modell besagt im Kern, dass in der Kommunikation zwischen zwei Menschen nur 20% direkt wahrnehmbar sind. Diese 20% enthalten zum einen einen verbalen Teil mit Sachinformationen, wie z. B. Zahlen, Daten und Fakten und zum anderen einen non-verbalen Teil, der sich in Form von Mimik, Gestik und Tonfall ausdrückt. Die anderen 80 % sind von den individuellen Erfahrungen und Erlebnissen, den verinnerlichten Wertevorstellungen, den persönlichen Gefühlen und den aktuellen Stimmungen bestimmt. Diese oftmals nicht auf Anhieb sichtbare Ebene hat jedoch einen großen Einfluss auf den sicht- und hörbaren Teil der Kommunikation.

Jeder Mensch ist ein Eisberg

Jede*r von Euch ist so ein Eisberg. Euer jegliches Handeln wird bestimmt durch Eure ganz individuelle Sozialisation. Ihr bringt Erfahrungen und Erlebnisse aber auch Werte und Normen in Eure pädagogische Arbeit mit ein. Vor diesem Hintergrund begegnet Ihr den Eltern.

Dabei ist es durchaus wichtig, daran zu denken, dass auch Eure Eltern aus ihrer Sozialisierung heraus eigene Werte und Normen mitbringen, die ihr Handeln beeinflussen.

copyright Anja Cantzler 2018

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Es stehen sich so immer mehrere Eisberge gegenüber, wobei der Eine das Verhalten des Anderen immer aus der eigenen Prägung und Sozialisierung heraus betrachten und bewerten wird.

Missverständnisse und Konflikte vermeiden

Das Eisbergmodell unterstützt Euch dabei, die unterschiedlichen Werte anderer wahrzunehmen. In der Zusammenarbeit mit Eltern kann es für Euch durchaus hilfreich sein, das Eisbergmodell im Hinterkopf zu behalten, um das Handeln der Eltern besser zu verstehen. Macht Euch immer wieder den großen Einfluss der verborgenen Ebene in der Kommunikation bewusst, so können viele Missverständnisse und Konflikte mit Eltern vermieden werden.

Das Eisbergmodell lässt sich darüber hinaus auf die Teamarbeit und im alltäglichen Zusammenleben mit anderen Menschen anwenden. Achtet beim nächsten Mal darauf, wenn Ihr denkt: „Das Verhalten meines Gegenübers kann ich gerade so gar nicht nachvollziehen.“ Möglicherweise ist Euer Unverständnis dann darauf zurück zu führen, dass Eure Werte und Normen andere sind als die Eures Gegenübers.

Eure Anja

P.S. Auch in der Rolle als Gruppenleitung kann Euch das Eisbergmodell hilfreich sein. Mit diesem Thema habe ich mich in meinem Buch: „Die Gruppenleitung in der Kita“ ausführlicher beschäftigt, https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/gruppenleitung

Das „Prinzip des Guten Grundes“ – Grundhaltung für eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Heute möchte ich Euch, wie bereits in einem anderen Beitrag angekündigt, das sog. „Prinzip des Guten Grundes“ näher erläutern.

Von der Traumapädagogik zur Zusammenarbeit mit Eltern

Erstmalig begegnet bin ich diesem Prinzip in den von mir besuchten Weiterbildungen über Traumapädagogik. Und ich finde es auch auf die Zusammenarbeit mit Eltern gut anwendbar, um deren Denken, Fühlen und Handeln besser nachvollziehen zu können.

Das „Prinzip des Guten Grundes“ geht von der Annahme aus, dass eine Person im Laufe ihres Lebens Verhaltensstrategien entwickelt, um mit belastenden Situationen und Herausforderungen umgehen zu können. Diese Verhaltensstrategien sind auf die individuellen Erlebnisse, Erfahrungen und Sozialisierungen dieser einzelnen Person zurück zu führen. Die daraus resultierenden Verhaltensweisen können, wenn sie nicht auf diesem lebensgeschichtlichen Hintergrund des Gegenübers verstanden werden, zu großen Irritationen und Unverständnis Eurerseits führen.

Es bedarf der Bereitschaft, davon auszugehen, dass das Gegenüber aus seiner Sicht immer gute Gründe für sein Fühlen, Denken und Handeln hat. Dieser Zugang kann Euch helfen den Eltern mit mehr Verständnis zu begegnen. Im Allgemeinen trägt diese Grundhaltung oftmals zu einer großen Entlastung in der Zusammenarbeit bei.

In meinen Elternberatungen fällt es vielen Eltern durch diese Grundhaltung häufig leichter sich zu öffnen. Sie merken, dass ich Ihr Verhalten nicht bewerte, sondern mich erst einmal in ihre Situation einfühle. Ich gestehe Ihnen zu, dass ihr Handeln aus besten Wissen und Gewissen heraus geschieht. Viele fühlen sich so verstanden und öffnen sich dann im weiteren Gesprächsverlauf für andere Blickwinkel und Handlungsmöglichkeiten.

Die Weil-Frage kommt zum Einsatz

Wie nähere ich mich in meinem Beratungsalltag am Einfachsten den guten Gründen meines Gegenübers? Dafür betrachte ich den Einzelfall unter dem Blickwinkel der sog. „Weil-Frage“. Ich hole mir für einen Moment das Verhalten der Person vor Augen und stelle mir dann die Frage: „Diese Person verhält sich so, weil…“

Dann vervollständige ich diesen Satz im Brainstorming durch unterschiedlichste Hypothesen (Vermutungen). Anschließend prüfe ich meine Aufstellung, um zu entscheiden, womit ich im direkten Kontakt mit meinem Gegenüber weiterarbeiten kann.

Besonders effektiv und vielseitig wird diese Aufstellung von Hypothesen, wenn ich dieses Brainstorming im Austausch mit Kolleg*innen durchführe.

Ich arbeite mit der „Weil-Frage“ oftmals auch in Seminaren, wo sich die Teilnehmer*innen nicht kennen und somit ihnen auch die in einer Fallbesprechung vorgestellten Personen unbekannt sind. Die verwertbaren Ergebnisse aus der gemeinsamen Hypothesensammlung zu dieser „Weil-Frage“ sind immer wieder sehr beeindruckend.

Ein Beispiel aus der Praxis

Während der Eingewöhnungszeit fiel es einer Mutter sehr schwer, von der Seite ihres Sohnes zu weichen. Sobald er drohte irgendwo anzustoßen, sich weh zu tun oder hinzufallen, war sie jeweils einen Schritt voraus, um ihn zu schützen. Diese Mutter bekam sehr schnell den Stempel einer Helikoptermutter und die Eingewöhnung verlief schleppend und schwierig über Wochen hinweg. Die pädagogischen Fachkräfte waren mit Ihrem Latein am Ende und baten die Mutter zu mir in die Beratung zu gehen.

Daraufhin prüfte ich für mich das Verhalten der Mutter mit der „Weil-Frage“ und kam zu verschiedensten Antworten.

Die Mutter tut das, weil sie …

  • Angst um ihren Sohn hat
  • sich verantwortlich für sein Wohlergehen fühlt
  • gut für ihn sorgen möchte
  • eine gute Mutter sein möchte
  • ihre Rolle besonders gut ausfüllen möchte
  • keine Fehler machen möchte
  • unter Druck steht

In einem anschließenden Gespräch mit der Mutter entschied ich mich dafür, erst einmal heraus zustellen, dass ich das Gefühl habe, sie wolle ihre Aufgabe als Mutter besonders gut ausfüllen. Ergänzend äußerte ich die Vermutung, dass sie sich sehr verantwortlich für das Wohlergehen ihres Sohnes fühle. Dies führe aus meiner Sicht dazu, dass sie den pädagogischen Fachkräften kaum Möglichkeit gebe, sich dem Sohn zu nähern und eine Beziehung zu ihm aufbauen zu können. In dem sich anschließenden Gespräch erfuhr ich daraufhin viel über die schwierige Geburt des Sohnes. Sie öffnete sich und konnte ihre Angst und Sorge als hemmend für die Entwicklung ihres Sohnes erkennen. Daran anknüpfend erarbeitete sie sich schrittweise Verhaltensveränderungen im Dialog mit mir und den pädagogischen Fachkräften. Während des Prozesses verfiel sie trotzdem immer wieder in alte Muster. Den Kolleginnen fiel es in solchen Situationen aufgrund des „Prinzips des Guten Grundes“ zunehmend leichter, das Verhalten der Mutter anzunehmen. Die vertrauensvolle Beziehung zwischen Mutter und pädagogischen Fachkräften konnte sich daraufhin entwickeln. Dies trug grundlegend dazu bei, dass die Mutter sich daraufhin zunehmend zurückziehen konnte und wusste, dass es ihrem Sohn in der Kita gut geht.

Übung macht den Meister

Abschließend möchte ich Euch einladen, dieses „Prinzip des Guten Grundes“ auf Eure pädagogische Arbeit mit Euren Eltern anzuwenden. Wo begegnet Ihr in Eurer Praxis irritierenden Verhaltensweisen, die Ihr nur schwerlich nachvollziehen könnt? Versucht Euch mit der „Weil-Frage“ einem anderen Verständnis für diese Verhaltensweisen zu nähern. Geht hierzu in Austausch mit euren Teamkolleg*innen. Um so häufiger Ihr die „Weil-Frage“ anwendet, detso mehr Übung werdet Ihr darin bekommen, Hypothesen zu entwickeln.

Viel Spaß beim Ausprobieren

Eure Anja

P.S. Gerne stehe ich Euch per Telefon oder E-mail beratend zur Seite. Die Kosten für diese Beratungsleistung könnt Ihr hier herunterladen.

Gelebte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft im Ausnahmezustand (2) – Impulse, Ideen und Anregungen

Photo by Andrew Neel on Pexels.com

Auf Spiegel Online entdeckte ich letzte Woche einen Beitrag von Sascha Lobo: „Schützt Euch vor der Corona-Wut“, den Ihr bei Interesse unter folgendem Link nachlesen könnt. https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-schuetzt-euch-vor-der-corona-wut-kolumne-a-2b8e5337-8354-4eca-ab95-7f86a497fd35?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

Der Autor verweist sehr eindrücklich darauf, dass der aktuelle Ausnahmezustand in vielen Menschen eine Wut auslösen kann, der es frühzeitig zu begegnen gilt. Er erläutert sehr nachvollziehbar Zusammenhänge und Hintergründe dieser Wut und den damit verbundenen Gefahren für unsere Gesellschaft. Gleichzeitig bietet er eine Lösung, um dieser Wut, die letztlich auf Angst und Hilflosigkeit basiert, mit einem dem Menschen zur Verfügung stehenden Mittel zu bekämpfen: mit Empathie.

Empathie als Kernkompetenz

Damit bin ich wieder bei Euch und Eurem Arbeitsfeld. Empathie ist eine wesentliche personale Kernkompetenz, die Euch im Umgang mit den Kindern und Familien auszeichnet und ohne die eine Zusammenarbeit nicht möglich ist.

Gespräche bieten Entlastung

Viele Familien sind durch das Kontaktverbot auf sich selbst gestellt. Je nach familiärer Gesamtsituation werden sie dadurch sehr herausgefordert und oftmals überfordert. Das kann durchaus zu Wutausbrüchen von Eltern und Kindern führen. Einige Fachstellen befürchten in diesem Zusammenhang einem Anstieg von häuslicher Gewalt.

Wie entlastend könnte in solchen Momenten ein Gesprächsangebot und/ oder ein Zuhörer von außen sein? Ein solches Gespräch vermittelt das Gefühl, nicht alleine zu sein und verstanden zu werden. Ich glaube, viele von Euch kennen selbst diese Momente, wo ein solches Gespräch entlastet und weitergeholfen hat.

Warum also nicht, einfach mal bei den einzelnen Familien anrufen und nachfragen, wie es ihnen und ihren Kindern in dieser Situation geht und ihnen zuhören. Je nach Situation könnt Ihr dann die Eltern bestätigen, dass sie die gegenwärtige Situation gut meistern oder mit ihnen gemeinsam nach Lösungen und Wegen suchen, um möglichst gut die Zeit zu überstehen. Ihr seid wichtige Ansprechpartner und Berater außerhalb von familiären und anderen privaten Beziehungen. Eure Stärke liegt in Eurer Professionalität und Fachlichkeit, den Eltern beratend zur Seite zu stehen. Dies kann den Eltern andere Sichtweisen und Perspektiven eröffnen, die innerhalb des Familien- und Freundeskreises nicht immer sichtbar sind.

Externe Hilfen anbieten

Ergänzend solltet Ihr Eltern darauf aufmerksam machen, dass viele Erziehungsberatungsstellen weiterhin geöffnet haben und ihre Hilfen anbieten. Vielleicht könnt Ihr auch in Kooperation mit externen Berater*innen ein telefon- oder videobasiertes Beratungsangebot aufbauen, das den Eltern auf Nachfrage zur Verfügung steht. Beispielsweise habe ich als Elternberaterin in Kooperation mit der Städtischen KiTa in Bielefeld letzte Woche ein solches Angebot ins Leben gerufen. Die Abrechnung dieser Beratungsstunden erfolgt über Gelder des Familienzentrums.

Einige Einrichtungen können darüber hinaus auf Kolleg*innen zurück greifen, die eine Weiterbildung zum*zur Elternbegleiter*in gemacht haben. Diese Kolleg*innen hätten aus dieser Rolle heraus die Möglichkeit, den Familien ein besonderes Hilfs- und Beratungsangebot zu unterbreiten.

Bestärkende Ostergrüße

Bald steht Ostern vor der Tür. Ein netter Brief oder eine aufmunternde Postkarte an die Eltern könnte zu einem Lichtblick in diesen Zeiten werden. Durch die vielen Seminare mit Euch und Euren Kolleg*innen weiß ich, dass einige von Euch gerne ein Stück Schokolade als Nervennahrung zu sich nehmen 😉 – vielleicht ist auch das eine versüßende und stärkende Aufmerksamkeit in der Osterzeit?

Für mich sind im Moment alle, die zu Hause bleiben und somit dazu beitragen, dass der Virus sich nicht exorbitant schnell vermehren kann, Alltagshelden im Kleinen, denen mein ganzer Dank, Respekt und meine Wertschätzung gilt. Dieser persönliche Einsatz sollte wahrgenommen und belohnt werden.

Auszeiten ermöglichen

Vielleicht könnt Ihr den Familienalltag durch diverse kleine Anregungen begleiten, um den Eltern kleine Auszeiten zu eröffnen, in denen sie sich nichts überlegen müssen, wie sie ihre Kinder beschäftigen können. Schafft kleine Sternstunden, wo Ihr die Kinder vom passiven Medienkonsum wegholt und zum Mitmachen einladet. Eröffnet den Eltern kleine Zeitfenster für andere Betätigungen. Sicherlich gibt es technisch versierte Kolleg*innen unter Euch, die Lust haben kleine Filme zu drehen mit Finger- und Bewegungsspielen, Bewegungsanregungen, Bilderbuchbetrachtungen, Vorlesen, Handpuppenspiele o.ä., die den Familien dann beispielsweise über Email zugänglich gemacht werden.

Und warum nicht auch mal eine Videokonferenz mit den Eltern und/oder Kindern machen, um miteinander im Kontakt zu bleiben?

Soweit meine Ideen, Impulse und Anregungen. Mit ein wenig Phantasie und Kreativität lässt sich bestimmt noch mehr finden. Was fällt Euch noch ein? Was tut Ihr bereits, um mit den Familien im Kontakt zu bleiben und eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auch unter Quarantäne und Kontaktverbot zu gestalten? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und Berichte aus der eigenen Praxis.

Gebt weiterhin gut auf Eure Gesundheit acht.

Eure Anja

P.S. Unter folgendem Link https://youtu.be/U3w7rz72k4k findet Ihr ein sehr schönes YouTube Video mit einem Lied über den „Quarantäne Roboter“. Lied, Idee und Umsetzung stammen von einem Schauspielkollegen meiner Tochter und seinem Sohn. Wie man sieht lädt hier die Quarantäne zur Kreativität ein. 😉