Kreativität in der Kita fördern- Aber wie?

Gastbeitrag von Julia Laubstein (Instagram: zum-wohle-der-kinder)

1. Was ist Kreativität?

Eine Idee, ein Gedanke oder eine Lösung für ein Problem- Kreativität ist die Fähigkeit „etwas Neues, das auf gewisse Weise wertvoll ist“(vgl. Brodbeck 1998 zit. In Braun) hervorzubringen. Hierbei stellt sich die Frage, was als wertvoll oder etwas Neues definiert und gesehen wird. Dabei kann es für jeden individuell als wertvoll oder eben weniger wichtig erscheinen. Grundsätzlich ist jede Idee oder jeder Gedanke kreativ, wenn sich daraus etwas neues oder anderes für die jeweilige Person oder Situation ergibt

Gleichermaßen wird Kreativität dabei als eine Kompetenz gesehen, die als fundamentaler Schlüssel der Entwicklung steht. Kreativität beschreibt dabei die Fähigkeit „originelle neue Lösungsmöglichkeiten und ungewöhnliche, aber sinnvolle Ideen in verschiedenen Lebensbereichen zu produzieren“ (Braun/ Krause/ Boll 2019, S. 15). Viele Wissenschaftler sind sich einig, dass Kreativität von Geburt an in jedem Menschen steckt. „Von Anfang an verfügt der Mensch über kreatives Potential“ (Braun/ Krause/ Boll 2019, S. 44). Die Fähigkeit muss nur herausgelockt und weiterentwickelt werden.

Kreativität fördert…

  • die Fantasie
  • das Selbstbild, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl
  • kognitiven Kompetenzen, Konzentration, Ausdauer
  • problemlösende Kompetenzen, Frustrationstoleranz
  • Resilienz
  • das eigene Wahrnehmen des Körpers und der Grenzen

Kreativität ist demnach eine essentielle Eigenschaft für jeden Menschen und sollte gefördert werden, um alltägliche Herausforderungen zu bewältigen. Doch durch den Wandel der Gesellschaft, der Digitalisierung und des Einflusses von Social- Media, ist sie bedroht!

2. Kreativität- vom Aussterben bedroht?

Alltagsroutinen bestimmen unser tägliches Handeln. Bestimmte Gewohnheiten werden nicht abgelegt und es werden immer wieder die gleichen Wege gegangen. Doch was ist, wenn sich ein Problem aufstellt, welches nicht nach dem ursprünglichen Muster zu bewältigen ist?

Internet Platformen, Vorlagen, Rezepte oder Apps, die deine alltäglichen Probleme planen und lösen- werden dazu führen, dass die subjektive Kreativität nicht mehr gebraucht wird. Sie wird aussterben. Doch warum ist es so wichtig, kreativ zu sein und weiterhin seine eigenen Ideen und Strategien zu gebrauchen?

Kreativ sein und somit neue Ideen und Wege zu haben, ist die Schlüsselkompetenz für unsere Gesellschaft. Diese Fähigkeit zu besitzen und resilienter gegen tägliche und zukünftige Belastungen anzukommen, stellt eine essentielle Schlüsselkompetenz in der Gesellschaft dar. Die Rede ist von der Fähigkeit zur Kreativität, eine kreative Persönlichkeit zu haben und andereLösungen für Probleme zu finden.

Das Freispiel ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus des pädagogischen Alltages gerückt. Das Kind kann seinen Interessen und Bedürfnissen nachgehen, mitentscheiden und sich nach seiner Persönlichkeit einbringen. Wieso dann nicht auch in der Kreativität? Warum kann ein Kind sich nicht selbst, frei und kreativ ausdrücken?

Appell an alle: Kinder sollen das Recht haben, sich kreativ auszudrücken in allen Bereichen der Bildung und Entwicklung.

Folgen fehlender Kreativität:

  • keine eigenen Ideen oder Lösungen
  • keine Motivation etwas Auszuprobieren
  • wenig Entdeckerdrang
  • geringe Flexibilität und Spontanität
  • Drang zum Perfektionismus
  • geringe Frustrationstoleranz
  • geringe Resilienzfähigkeit
  • keine Entscheidungsfindung
  • geringeres Selbstwertgefühl

Aufgrund dieser Erkenntnisse ist es eine Möglichkeit die Kreativität in den Kindertageseinrichtungen zu fördern, um den Kindern die genannten essentiellen Kompetenzen für ihr Leben anzuregen und mitzugeben. Du hast die Möglichkeit Kinder ihre kreativen Potenziale zu entlocken.

3. Kreativität in Kitas

Grundsätzlich hat jedes Kind ein Recht auf Kreativität. Bereits in der UN- Kinderrechtskonvention ist das Recht im Artikel 31 verankert. „Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung“ (Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. 2016, S. 3).

Nach der Auffassung von John Deweys (1859- 1952), sollen Kinder durch künstlerische und ästhetische Prozesse sich mit ihren eigenen Fähigkeiten auseinandersetzen. Durch diese Erfahrungen erlangen sie ihr eigenes Selbstbild, ihre eigenen Gestaltungs- und Ausdrucksformen sowie soziale und kommunikative Kompetenzen (vgl. Braun/ Krause/ Boll 2019, S. 27). Ästhetische Prozesse und Erfahrungen fördern dabei nicht nur die Kreativität, sondern die gesamte Entwicklung des Kindes. Daher ist ästhetische Bildung Teil der ganzheitlichen Bildung von Kindern.

Wo steckt überall Kreativität?

Kinder wollen von Anfang an lernen und ihre Welt entdecken. Dabei sollen sie aktiv ihre eigene Entwicklung mitgestalten können.

Ob in der Bauecke oder beim Theaterspielen überall lässt sich etwas Kreatives einbringen und entdecken. Das klassische Malen oder Basteln wird als Synonym für Kreativität gesetzt, was aber nicht stimmt! Kreativität steckt überall dort, wo neue Ideen entstehen. Vor allem bei der Haupttätigkeit des Kindes- dem Spiel- wird die Kreativität als Hauptmerkmal zu erkennen sein.

So entsteht eine Ideen in der Bauecke für ein tolles Raumschiff oder Kinder experimentieren mit Magneten und Gewichten, andere überlegen sich ein Spiel und wieder andere Kinder denken sich einen tollen Parcour aus. All das ist kreativ.

4. Kreativitätsförderung in Kitas

Die Devise in der Didaktik für die Förderung von Kreativität lautet, dass zu viel Planung und Vorbereitung, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen, fehl am Platz sind und die Kreativität der Kinder einschränken würde. „Frühkindliche Lernprozesse sollten ergebnisoffen, prozessorientiert, experimentell und originell- mit einem Wort- kreativ sein“ (Braun/ Krause/ Boll 2019, S. 27).

Voraussetzung für Kreativitätsförderung:

  • deine Einstellung, Haltung oder des Teams/ der Einrichtung
  •  Zeit, Raum
  • Material
  • Reflexion des Prozesses

Kreativ-hemmend:

  • dein fehlendes Wissen
  • dein Perfektionismus
  • du willst alles bestimmen, perfekt machen, vorgeben, bewertet Kunstwerke
  • du hast zu viele  Vorlagen (Beispiele für Bauen, Ausmalbilder)
  • kein Platz zum kreativen Ausleben
  • zu viele Materialien oder zu wenige
  • ein strikten Zeitraum vorgeben
  • ständige Unterbrechungen des Prozesses
  • zu viele Vorgaben (wer, was, wie, wo usw.)
  • Kinder dürfen nicht mitentscheiden
  • ein Bastelprodukt wird erwartet
  • du bastelst vor oder zuende
  • du hast zu hohe Erwartungen
  • Bewertung des kreativen Prozesses, Abwertung oder Wegschmeißen von Produkten

Kreativ-fördernd:

  • Freispiel, viel freies Entdecken, offenes Konzept
  • lasst die Kinder machen! Wenig Einmischen und vorgeben oder verbieten
  • wenig Vorlagen oder Seiten, die etwas vorgeben
  • eigenen Ideen einbringen und tauscht euch aus
  • probiert, experimentiert, verändert oder tauscht es aus
  • es muss nichts perfekt sein!
  • Kreativbereich: basteln, malen: Gebe viele Materialien zur freien Verfügung aus
  • kein gleichen Endprodukte
  • rege die Sinne an- Wahrnehmung mit allen Sinnen

Beispiele für die Förderung kreativer Prozesse:

1. Bewegungsspiel- Wir bauen ein Haus/ Zelt/ Wir gehen….

Die Kinder werden zu einem bestimmten Thema z.B. Zirkus- sich bewegen. Das Zirkuszelt aufbauen, ein Loch graben, Stangen aufbauen, Zelt spannen (Bewegungen dazu machen ggf. Mit Material)

2. Lieder

Kinder können bekannte Texte verändern und sich ihre eigenen Texte überlegen, das Lied begleiten mit eigenen Rhythmen, Materialien oder Bewegungen.

3. Kunstwerke

Kinder haben Zugang zu Materialien, aber ohne ein Thema oder ein erwartetes Produkt. Sie können frei gestalten.

4. Aktionstabletts zu bestimmten Themen oder zum freien Experimentieren

Die sogenannten Tabletts sind, nach M. Montessori, angeregt zu einem Thema. Dabei sind auf diesem Tablett Materialien aufgestellt, die das Kind anregen es selbst auszuprobieren

5. Tanz/ Theater

Kinder dürfen sich eine eigene Choreografie ausdenken.Kinder denken sich ein Theaterstück aus, wählen Materialien oder stellen sich eigene Kostüme her.

6. Bauen

Kinder können ohne Vorlagen Bauwerke oder Höhlen erschaffen. Dafür dürfen sie auch den Tisch verwenden oder anderen Gegenstände.

7. Bekannte Spiele

Feuer, Wasser….Kaugummi! Kinder können in bekannten Spielen neue Ideen einbringen und so das Spiel verändern und mitgestalten.

8. Natur/ Alltag

Das freie Spielen in der Natur regt die Fantasie enorm an. Aus wenig- kann viel entstehen. Der Stock wird zum Hausbauen benutzt oder ist ein Zauberstab, ein Telefon oder ein Kochlöffel. Auch das Anbieten von Naturmaterialien zum Basteln regt die Kreativität an.Genauso wie Naturmaterialien können auch Alltagsgegenstände, wie Kartons zum kreativen Spiel oder zum Basteln verwendet werden.

9. Reflexion

Das Sprechen über kreative Prozesse oder das Ausstellen und Darstellen fördert die Kreativität. Alle sind eingeladen unsere Ideen anzusehen oder mit uns darüber zu reden und sich auszutauschen.

Und letztlich kann es so einfach sein, wenn wir den Kindern Raum und Zeit bieten, ihre Kreativität auszuleben. Ein Dankeschön an Julia Laubstein, die uns mit diesem Beitrag wieder daran erinnert.

Literatur:

Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (Hrsg.) (2016): Spiel und

Kunst von Anfang an. Kulturelle Bildung für junge und sehr junge Kinder. URL:

http://miz.org/downloads/dokumente/798/2016_BKJ_Positionspapier_Spiel_und_Kunst_v

on_Anfang_an.pdf, letzter Aufruf 05.02.2024.

Braun, Daniela/ Krause, Sascha/ Boll, Astrid (2019): Handbuch Kreativitätsförderung in

der Kita. Freiburg im Breisgau: Herder Verlag.

Welcher Schatz steckt in dir? – Philosophieren mit Kita-Kindern

„Wie kann jemand sicher sein, dass er wach ist und nicht nur davon träumen, wach zu sein?“

Philosoph René Descartes

Kinder stellen sich bereits in frühen Jahren philosophische Fragen. Sie denken über die unterschiedlichsten Dinge nach und das auf eine ihnen ganz besondere Art und Weise. Sie erkunden ihre Umgebung, möchten Zusammenhänge verstehen und stellen Fragen über Gott und die Welt. Daher suchen und fragen sie nach Erklärungen. Genau das ist Philosophieren.

In den folgenden Gastbeitrag von Dorit Chris Dietrich, möchte die Autorin, dich einladen, gemeinsam mit den Kindern über sich selbst und die Welt zu philosophieren. Viel Freude beim Lesen. Ich wünsche Dir viele Inspirationen und Anregungen.

Wenn Du selbst bereits Erfahrungen im Philosophieren mit Kindern hast, freuen wir uns über deinen Bericht in den Kommentaren.

Deine Anja

Welcher Schatz steckt in dir? – Philosophieren mit Kita-Kindern

Gastbeitrag von Dorit Chris Dietrich

Das Philosophieren mit jungen Kindern ermöglicht vielfältige Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der kindlichen Persönlichkeit. Zum Einen lässt diese pädagogische Methode ein kreatives, gedanklich konstruierendes und problemlösendes Denken zu, wobei es kein Richtig oder Falsch gibt. Zum Anderen schafft es Grundlagen für bewußtes Teilhaben an kommunikativen Austausch, ermöglicht Selbsterfahrungen zum eigenen Denken sowie Bewusstsein für das Denken anderer. Ein ebenfalls positiver Schwerpunkt besteht darin, eigene Denkweisen begründen zu lernen, Zusammenhänge zu verstehen und sich selbst als wertvollen Bestandteil einer Gruppe zu erkennen. Daraus kann sich demokratisches Bewusstsein entfalten.

Bei gezielten Fragestellungen über die eigene Persönlichkeit ist es möglich, das Kind zu stärkenden Gefühlen, zu Emotionsregulation, zu innerer Ruhe, zur Steigerung von dem Gefühl der Empathie, zu Ideenreichtum, zur Motivation neue Herausforderungen anzunehmen bis hin zur Resilienzförderung für die weiteren Lebensabschnitte zu prägen.

Ein Praxisbeispiel

Durch Fragestellungen bei einer großen Schatzsuche zum Thema „Welche Schätze stecken in dir?“, ist es möglich, dass das Kind sich selbst entdeckt, sich als wertvolle Person wahrnimmt und eigene Stärken und Schwächen benennen kann, ohne eine Wertung befürchten zu müssen. Vielmehr kann es Selbstentfaltungspotentiale erkennen und weiter auszubauen.

Mit Hilfe eines kleines ansprechend gestalteten geschlossenen Kästchen wird die Neugierde geweckt. Die Kinder werden eingeladen darüber nachzudenken, welcher Schatz sich in dem Kästchen verbergen könnte. Mal ist es ein Spiegel, mal ein Herz, mal ein Glücksklee. Alle Kinder sind gespannt , wenn sie die ungeöffneten Päckchen, Schatzkisten, Geschenke entdecken oder bekommen. Jedes Kind fokussiert seine Aufmerksamkeit auf dieses Kästchen und entwickelt spontane Neugier. So kann auch das Interesse am Philosophieren mit Kindern starten.

Dazu kannst du folgende Fragen stellen:

  • „Wer bist du?“
  • „Welcher Schatz steckt in dir?“
  • „Wer ist besonders für dich?“
  • „Welche Dinge brauchst du, um weiter wachsen zu können?“
  • „Was braucht es, damit dein Herz leuchten kann?“
  • „Was bedeutet Glück für dich? Und was ist dir besonders wichtig?“

Dazu fallen dir bestimmt ganz viele Fragen ein, die die Kinder schon in sehr jungen Jahren zum kreativen, bewussten sowie umfangreichen Denken über sich selbst bringen können.

Worauf wir bzw. die Kinder , die Aufmerksamkeit richten, das bestärken und unterstützen wir im Gespräch, dadurch wächst die Psyche sowie die individuelle Persönlichkeit.

„… das, was euch anders oder eigenartig macht, das ist eure Stärke.“

Meryl Streep

Einladung zum Philosphieren

Eigentlich benötigt es nicht viel zum Philosophieren mit jungen Kindern. Unterstützend können natürlich Bücher, Gegenstände, anschauliche Materialien (Fotos, Gemälde, Kunstobjekte…) eingesetzt werden. Mit den unterschiedlichsten Bilderbüchern wie z.B. „Astronautenkinder“, „Blumen im Kopf“, „Irgendwie anders“, „In meinem kleinen Herzen“, „Der unsichtbare Junge“, „Frederick“, „Elmar“, „Ein Schaf im Glück“ und „Das kleine Wir“ kommen Kinder beispielsweise wunderbar ins Philosophieren.

Philosophieren gelingt verbal und nonverbal, z. Bsp. durch kreative Umsetzung – Zeichnen, Malen, Formen, Konstruieren…. Manchen Kindern fällt es leichter, so ihre Gedanken darzustellen oder zu bekräftigen.

Philosophieren benötigt auch nicht einen starren Stuhlkreis, sondern kann in jeglicher Wohlfühlatmosphäre intensiv erlebt werden (Kerze, Düfte, in einer gebauten Höhle im Zimmer, in der Natur…). Begünstigend wirkt eine störungsfreie Zeit in kleiner Gruppe interessierter Kinder.

Philosophieren als Bildungsraum

Philosophieren ist ein Bildungsraum, welcher Wertschätzung, Verantwortung, Selbstwirksamkeit und eine leistungsfreie Zeit (ohne Bewertung) ermöglicht. Das gilt für Kinder, aber auch für die begleitenden Pädagog:innen. Die Kinder können, entsprechend der Haltung des Erwachsenen, dessen Ecken und Kanten seiner Individualität erkennen. Dessen Authentizität und Gleichwürdigkeit in der Gemeinschaft erfahren und erleben. Kinder benötigen Raum, Zeit und Erfahrungen, wie Erwachsene auch, um sich selbst, ihre Umwelt und ihr Wirken im gesellschaftlichen Kontext zu entdecken.

Philosphieren zur Bewältigung von Herausforderungen

Philosophieren mit jungen Kindern kann eine wichtige Quelle für einen lösungs- und ressourcenorientierten Blick bei Herausforderungen, bei der Bewältigung von Übergängen und in Krisen sein. Äußerst günstig kann sich das kreativ-konstruktive Denken auf die Resilienz und psychische Stabilität der wachsenden Persönlichkeit auswirken.

Manchmal versetzt du Berge,

manchmal nur Kieselsteine,

aber umsonst ist es nie.

Unbekannt

Wenn du Kontakt zu Dorit Chris Dietrich herstellen möchtest, dann folge ihr auf Instagram: @kinderherzen_in_balance_2 oder schreibe sie über: dcm68@icloud.com an

Wird Papa nass, wenn es regnet? – Umgang mit Tod und Trauer bei Kindern

Quelle: Canva

Bereits 2020 habe ich mich mit Unterstützung Trauerbegleiterin Vanessa Pivit hier auf diesem Blog den Themen Tod und Trauer gewidmet. Diese Beiträge findest du unter: Wie lange dauert traurig sein – Ein Interview über Abschied Tod und Trauer, Teil 1 und Teil 2 und Der Trauerkoffer.

Heute folgt ein weiterer Beitrag, dieses Mal von Anne Seyfert verfasst, die sich im Rahmen ihres Studiums mit dem Thema intensiv auch auf Basis der Biografiearbeit beschäftigt hat. Ich wünsche dir viele interessante Impulse und Anregungen für deine Arbeit mit Kinder, die gerade diese Themen umtreiben und die du gerne darin begleiten möchtest.

Wird Papa nass, wenn es regnet? – Umgang mit Tod und Trauer bei Kindern

Ein Gastbeitrag von Anne Seyfert

Kann Mia den Regenbogen auch sehen? Schaut Opa mir beim Spielen zu? Hat Mama mich jetzt immer noch lieb? Kann ich Oma das Haus zeigen, was ich heute für sie gemalt habe?

Die Auseinandersetzung mit dem Thema achtsame Begleitung von Kindergartenkindern in Trauer-, Trennungs- und Verlustsituationen verursacht oftmals Scheu, Unsicherheiten, Versagensängste oder das Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein. Pädagogische Fachkräfte werden mit Situationen konfrontiert, die ihnen einerseits das schmerzliche eigene Erleben derartiger Verluste aufzeigen oder Handlungsstrategien fordern, deren theoretische Fundierung durch fehlende Erfahrungen nicht vorhanden sind.

Biografiearbeit als Schlüssel

Im Verlauf meines Studiums und basierend auf eigenen persönlichen Erfahrungswerten, hatte ich die Möglichkeit mich gemeinsam mit einer Kommilitonin intensiv mit der Methode der Biografiearbeit auseinander zu setzen und Chancen, Möglichkeiten und Ansätze der Biografiearbeit bei der achtsamen Begleitung von Kindern und deren Angehörigen in Trennungs- und Verlustsituationen in einem reflexiven Handlungsleitfaden für pädagogische Fachkräfte zusammenzutragen. Dieser Blogbeitrag dient der Sensibilisierung für die dringende Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit einer möglichen Begleitung von Kindern in einschlägigen Lebenssituationen.

Die Biografie eines Menschen reflektiert Einstellungen, Erwartungen, Erlebnisse und erweiterte oder auch beschränkte Handlungsmuster.

Biografiearbeit ist eine strukturierte Methode in der pädagogischen und psychosozialen Arbeit, die Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen ermöglicht, frühere Erfahrungen, Fakten, Ereignisse des Lebens zusammen mit einer Person ihres Vertrauens, zu erinnern, zu dokumentieren, zu bewältigen und zu bewahren. Dieser Prozess ermöglicht Menschen, ihre Geschichte zu verstehen, ihre Gegenwart bewusster zu erleben und ihre Zukunft zielsicherer zu planen“ (Lattschar; Wiemann 2018, S. 14)

 

Die Kernelemente der Trauerbegleitung

Die Konfrontation mit Trennungs- und Verlustsituationen in der Entwicklungsbegleitung im Kindergartenalltag zeigt mögliche Facetten auf. Die Verabschiedung von Eltern- oder Geschwisterteilen in Scheidungskonstellationen, der Verlust von Bindungsbeziehungen durch Inobhutnahme, die Begleitung von Freunden oder Familienangehörigen in schweren Krankheitsverläufen mit Todesfolge oder der absehbare bzw. plötzlich eintretende Tod von Eltern/ Elternteil, Großeltern, Geschwistern, Haustieren, Nachbarn, Verwandtschaft, Kollegen oder selbst Kindern von Fachkräften. Diese lebensverändernden Ereignisse eröffnen Erfahrungsbereiche, die eine kindzentrierte Begleitung fordern. Dabei ist die Vorbereitung auf den Umgang mit derartigen Auseinandersetzungen effizienter und im pädagogischen Aufgabenfeld zu verorten. Die Notwendigkeit der Selbstreflexion eigener Emotionswelten ist die Voraussetzung für die Vermeidung einer Vermischung eigener und fremdbezogener Empfindungen. Die Kenntnis kultureller, religiöser und familienspezifischer Handlungsstrategien ist Basis einer kindzentrierten Begleitung. Das Bewusstsein für die Auswirkung der eigenen Biografie auf adäquate Handlungsmuster ist essenziell und implementiert die Chance einer verstehenden Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, der Bewältigung aktueller Krisen sowie dem Entwerfen von Zukunftsplänen (Klingenberger; Ramsauer 2017, S. 71f.). Somit sind die zwei Kernelemente der kindzentrierten Begleitung von Kindern und deren Familien in Trauer- und Verlustsituationen: Die Selbstreflexion der Fachkräfte und der Erwerb Grundkenntnisse der Trauerprozesse bei Kindern im Kindergartenalter.

Die Selbstreflexion der Fachkräfte

Den Fokus auf die eigene Person und die Auseinandersetzung mit der Fragestellung „Welche Trauer-und Trennungserfahrungen haben meine Biografie geprägt?“ wirkt konträr zu der Einstellung von Erwachsenen, Trauer- und Verlusterfahrungen als Schutzsegment von Kindern fernzuhalten. Die Entwicklungsbegleitung von Kindern verlangt vielmehr das Erlebte zu erfassen und eine gemeinsame Krisenbewältigung zu forcieren. Ohne diese ist eine Konstruktion geeigneter Bewältigungsstrategien ausgeschlossen. Eine unterdrückte Kommunikation über die Trauer- und Verlustsituation bedingt das

Entstehen unangepasster Fantasien infolge von Negativerfahrungen durch fehlendes „Situation-beim-Namen-nennen“ und somit die Entwicklung einschlägiger Schemata mit negativem Erfahrungsgehalt. Das konsequente Durchführen biografischer Selbstreflexion eröffnet die Chance unvorbereitetes Aufbrechen eigener Verlustsituationen und folglich lähmender Entscheidungsfindung durch das „Antriggern“ bei Konfrontation mit ähnlichen Situationen entgegenzuwirken und entsprechend Handlungsstrategien zu implementieren, die Kinder effektiv bei der Bewältigung derartiger Lebensereignisse unterstützen. Verschiedene Impulsfragen dienen der ersten Auseinandersetzung mit dem Thema und bilden die Grundlage für erweiterte Reflexionstools.

Impulsfragen zum Thema Tod

Impulsfragen zum Thema Verlusterfahrung

  • Was beschäftigt mich am Tod?

  • Welche Ängste und Hoffnungen habe ich, wenn ich an den Tod denke?

  • Glaube ich an ein Leben nach dem Tod?

  • Wodurch wurde meine Einstellung zum Tod gespeist?

 

  • Um wen habe ich in meiner Kindheit getrauert?

  • Welche Gedanken hatte ich dabei?

  • Welche inneren Bilder tauchen dazu auf?

  • Wie wurde seitens der Erwachsenen mit meiner Trauer umgegangen?

 

Renommierte Autor*innen wie Herbert Klingenberger und Erika Ramsauer verweisen auf die Methoden der Genogrammarbeit, der Bio-Grafik oder der Verwendung eines Zeitstrahls, um eine Selbstreflexion gewissenhafter zu verschriftlichen und eigene prägende Erlebnisse festzuhalten. Dem gemeinsamen Ergründen expliziter Biografien im pädagogischen Team einer Einrichtung wird dabei ein besonderer Stellenwert zugemessen. Dabei ist es essenziell zu hinterfragen, ob das Thema Trauer / Tod / Trennung generell Aktualität im Kita-Alltag besitzt. An dieser Stelle verneinen Fachkräfte oftmals den Bezug zum Tod. Prävention ist jedoch ausschlaggebend. Die Vorbereitung auf derartige Situationen ist als notwendig zu betrachten. Die Facetten dieser Situationen werden später nochmal beleuchtet. Der Abgleich einrichtungsbezogener und gesellschaftlicher bzw. medial transportierter Einstellungen ist die Grundlage für die Reflexion kollegialer Handlungsstrategien. Das Bild vom Kind und explizit eines trauernden Kindes ist dabei entscheidend. Diverse Team-Settings können diesbezüglich hilfreich sein, damit das oftmals unangenehm berührende Thema Verlust und die damit verbunden Emotionen aufgebrochen und zielführend gelenkt werden.

Folgende Vorschläge für Impulsfragen zur Teamreflexion können angeführt werden:

    • Sollen Kinder mit dem Thema Tod konfrontiert werden?

    • Wie können Eltern und Träger für die Wichtigkeit des Themas sensibilisiert werden?

    • Ist es sinnvoll, in der Konzeption den Umgang mit dem Thema
      Trauer/ Trennung/ Tod festzuschreiben?

    • Wie kann man Tod/ Trauer/ Verlust thematisieren mit Eltern und Kindern?

    • Haben wir die Kompetenz Kinder und Familien adäquat zu begleiten?

    • Welchen Wert messen wir diesem Thema bei?

    • Was ist in der Konzeption über Trauer/ Trennung/ Tod geschrieben?

    • Welche Rituale des Abschiednehmens werden in unserer Einrichtung gelebt?

    • Welche Haltung bzw. welches Verständnis in der Bewältigung von Krisen hat das Team?

 

Der Erwerb Grundkenntnisse der Trauerprozesse bei Kindern im Kindergartenalter

Die wohl größte Herausforderung ist es, eine kindliche Auffassung des Trauer- und Verlustgeschehens zu erkennen, zu verstehen, anzunehmen und zu respektieren. Im Kindergartenalter sind Kinder noch nicht in der Lage, dem Begriff Tod die Bedeutung zuzumessen, die von Erwachsenen zugedacht wird. Die fehlenden Erfahrungen und Auseinandersetzungen sind die Grundlage dafür. Miriam Haagen beschreibt in ihrem Buch die Relevanz, dass Kinder den Tod als zeitweilig, umkehrbar und als Weiterleben unter anderen Bedingungen auffassen und entsprechend keine Vorstellung von Endlichkeit haben (Haagen 2017, S. 49ff.). Entsprechend ist es für pädagogische Fachkräfte, die Kinder in prägenden Entwicklungsphasen begleiten und einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Selbstkonzeptes von Kindern ausüben, essenziell, sich mit den durch Verena Kast determinierten vier Phasen der Trauer auseinander zu setzen:

    1. Nicht-wahrhaben-Wollen: Empfindungslosigkeit

    2. aufbrechende Emotionen: Verlust wird wahrgenommen -> Wut, Trauer, Freude, Angst, Zorn, Schuldgefühle

    3. Suchen und Sich-Trennen: örtlich, räumlich, Tätigkeiten, Objekte wie Kleidungsstücke und Fotos

    4. Neuer Selbst- und Weltbezug: in neue Rolle im Leben einfinden und diese annehmen, Akzeptanz des Todes und Verständnis dafür, dass Zuneigung nicht mehr erwidert wird -> Zuwendung real suchen

(Kast 2014, S. 69ff.)

In der Praxis sind verschiedene Reaktionen von Kindern auf Trauer- und Verlustreaktionen beobachtbar. Diese verweisen auf die Notwendigkeit einer kindzentrierten und bedürfnisorientierten Begleitung. Die Ausprägungen reichen von dem Entwickeln von Schuldgefühlen, Wut, Aggression, Ärger, Verstummung und Rückzug, Hyperaktivität bis hin zur Verdrängung und völliger Ablehnung. Häufig beobachtbare Formen der kindlichen Trauerverarbeitung wurden von Margit Franz mit folgenden Termini beziffert:

Animismus: unbelebte Objekte für lebendig halten

Egozentrismus: Kinder gehen davon aus, dass alle das Gleiche fühlen, denken, sehen -> Anspruch an Eltern und Fachkräfte sich in die Situation der Kinder hineindenken

magisches Denken: Vorstellung von Kindern mit eigenem Denken Wirklichkeit beeinflussen zu können – Verlustpersonen wieder herbeidenken (Franz 2021, S. 67ff.)

Bedarfe von Kindern zu ergründen ist als Prämisse einer erfolgreichen Implementierung angepasster Bewältigungsstrategien zu verorten. Sie benötigen keinen erzwungen Abstand oder herbeigeführte Schonräume. Was Kinder wirklich brauchen, ist authentischer Zuspruch, Gelegenheiten selbstgewählte Freundschaften zu pflegen, offen über ihre Emotionen sprechen zu dürfen und sich dabei ange-nommen und verstanden zu fühlen. Dabei ist es möglich, dass Kinder unter Umständen befremdliche Reaktionen zeigen wie überschwänglichen Humor anstatt kennzeichnender Trauer. Dabei muss die Entscheidung beim Kind selbst liegen, ob es sich in der Einrichtung und gegenüber den anderen Kindern bzw. Fachkräften öffnen möchte oder die Kita als trauerfrei deklariert. Diese Entwicklungsbegleitung fordert ein Höchstmaß an Sensibilität von pädagogischen Fachkräften. Deren eigene Erfahrungen, welcher Natur auch immer, bestimmen deren Haltung und Einstellungen, dürfen aber nicht als Maßstab für eine erfolgreiche Krisenbewältigung des zu betreuenden Kindes zementiert werden. Die reflektierende Auseinandersetzung mit persönlichen Werten und Gedanken muss als Ressourcenquelle genutzt, aber als erweiterbares Repertoire auf Basis individueller Pädagogik betrachtet werden.

In der Trauerbegleitung von Kindern ist der partizipative Bezug zum Elternhaus nicht nur eine wichtige Ressource, vielmehr ein ausschlaggebendes Kriterium. Eltern, Erziehungsberechtigte und Angehörige sollten darüber informiert und aufgeklärt werden, welche unterstützenden Maßnahmen in der Einrichtung stattfinden. Dies verweist auf die notwendige präventive Festlegung pädagogischer Konzeptionen. Transparenz und Mitgefühl dienen der Aktivierung möglicher Bewältigungsstrategien. Das Thema Tod und Verlusterfahrung bedarf der Inklusion in bestehende pädagogische Konzepte und nicht der Exklusion durch Unwissenheit. Diese Hürde gilt es vielerorts zu überwinden. Es bedarf einer sensibilisierten Aufklärung. Die Herausforderung ist darin zu ergründen, dass unterschiedliche Vorstellung akzeptiert und respektiert werden müssen. Während Kinder gegenwartsbezogen und oftmals ohne Vorstellung eines autobiografischen Gedächtnisses interagieren und das Leben als Ganzes nicht vollumfänglich erfassen, sind sowohl Angehörige als auch Fachkräfte biografisch beeinflusst und geprägt. Das gemeinsame Interesse, dem Kind in der Konstruktion seines Selbstkonzeptes zu unterstützen, ist die Handlungsgrundlage für das Tarieren bestimmter Handlungsansätze. Bildungs- und Erziehungspartnerschaften ohne hierarchische Zuschreibungen sind dabei essentiell.

Abschließend sollen einige mögliche Ansätze biografischer Arbeit mit Kindern angeführt werden. Diese Liste ist als reflexiv zu betrachten und bietet lediglich Impulse, welche durch Fachkräfte individuell angepasst werden können. Immer unter der Beachtung vorliegender Gegebenheiten und Möglichkeiten.

Möglichkeiten der biografischen Begleitung im pädagogischen Alltag

Arbeit mit großen Handpuppen

  • Scheu davor, Erwachsenen oder vertrauten Personen eigene Gefühle und Empfindungen anzuvertrauen
  • Handpuppen als Brückenfiguren
  • berichten den imaginären Personen oftmals offener und unbeschwerter

Gestaltung Identitätsblüte

  • Aufmalen einer Blüte mit diversen Blütenständen

  • gemeinsam Erinnerungen an den Verstorbenen in die verschiedenen Blütenblätter malen, schreiben, skizzieren und dadurch Erinnerungsarbeit leisten

  • Anregungen für Angaben: Kleidung, Spiel, Essen, Erlebnisse, Orte, Ausflüge, Vorlesegeschichten

Bereitstellen von diversem Kreativ-material – Schaffen von Erinnerungs-bildern

  • sinnliche Verarbeitung von Erlebtem ermöglichen

  • Materialien: Farben, Pinsel, Naturmaterialien, Tücher, Papiere, Leim, Schere

  • Impulsfragen:

    • Wie sieht der Himmel aus?
    • Wie stellst du dir den Ort vor, wo … jetzt ist?
    • An was erinnerst du dich am liebsten?
    • Möchtest du mir zeigen, wie … aussieht?
    • Wie fühlst du dich jetzt?
    • Wie möchtest du dich gern fühlen?
    • An welche Farben kommen dir in den Sinn, wenn du an … denkst?
    • Gibt es einen Ort, an dem ihr zusammen wart, den du nicht vergessen möchtest?
    • Verbindest du einen bestimmten Ort mit der Person, die du verloren hast?
    • Was möchtest du auf keinen Fall vergessen?
    • Möchtest du deine Familie malen, gestalten, bauen?
    • Möchtest du gern etwas gestalten und dann gemeinsam zu … bringen?
    • Gibt es etwas, was du nochmal aufmalen möchtest und dann vergessen willst?
    • Macht dir etwas Angst?

Netzwerkkarten

  • gemeinsame Gestaltung von Netzwerkkarten

  • Anregung für die Arbeit mit Eltern / Erziehungsberechtigten und Angehörigen

Dialogorientierung

  • Dialog = wichtigstes Medium in der Biografiearbeit
  • Impulse setzen und aufgreifen = erzählen lassen
  • Fragen authentisch und ehrlich beantworten = Fachkraft muss sich der inneren Haltung zum Thema Tod und Verlust bewusst sein!
  • Materialempfehlungen für das Kindergartenalter:

    • Ein Himmel für Oma (Verlag Coppenrath)

    • Wo gehst du hin, Opa? (aracarl Verlag)

    • Abschied, Tod und Trauer – Wieso Weshalb Warum (Ravensburger Verlag)

    • Leb wohl, lieber Dachs (annette betz Verlag)

Spiel als Erinnerungs-medium

  • bekannte Kinderspiele abwandeln und Erinnerungen vorsichtig hinterfragen – nicht auf Kommunikation drängen

  • eigenes Spielmaterial angelehnt an die Situation konstruieren

Bezug zur Gruppe – Integration statt Exklusion

  • achtsames Begleiten der gesamten Gruppe
  • Information an die Eltern- und Erziehungsberechtigten der Gruppe, Trauer und Verlust muss thematisiert werden
  • Möglichkeiten für gemeinsame Aktivitäten nutzen:
    • Erinnerungskartons basteln
    • Impulse im Stuhlkreis
    • Bilderbücher allen zugänglich machen – Thema Tod und Verlust gehört zum Leben
    • Möglichkeiten der Anteilnahme vermitteln
    • gemeinsamer Besuch auf dem Friedhof: WICHTIG: NUR in Rücksprache mit allen beteiligten Eltern und Erziehungsberechtigten

Fühlen sich Fachkräfte aufgrund fehlender eigener Erfahrungen im Zusammenhang mit Tod und Trauer nicht in der Lage, Kinder in derartigen lebensverändernden Situationen adäquat zu begleiten, muss dies offen und wertschätzend im Team kommuniziert werden und Beachtung finden. Authentizität ist keine Schwäche.

Biografiearbeit stellt eine wichtige Ressource für Kinder und deren Familien sowie den Fachkräften dar. Die Möglichkeiten der Gestaltung dieser ist schier unendlich. Bei aller Vielfalt des möglichen Angebotes, bedarf es durch eine bedürfnisorientierte Pädagogik kindzentriert auszuwählen, welche Unterstützung ein Kind benötigt und auch verarbeiten kann. Die persönliche Biografie ist Basis für nachfolgende Entscheidungen und die Entwicklung von Handlungsmustern. Die Notwendigkeit der Aufarbeitung einschlägiger Lebensereignisse ist damit konstatiert.

Quellen- und Literaturangaben:

Franz, M. (2021). Tabuthema Trauerarbeit. Erzieherinnen begleiten Kinder bei Abschied, Verlust und Tod. München: Don Bosco Medien GmbH.

Haagen, M. (2017). Mit dem Tod leben. Kinder achtsam in ihrer Trauer begleiten. Stuttgart: Kohlhammer.

Kast, V. (2014). Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses. Freiburg im Breisgau: Kreuz Verlag.

Klingenberger, H.; Ramsauer, E. (2017): Biografiearbeit als Schatzsuche. Grundlagen und Methoden. München: Don Bosco Medien GmbH.

Lattschar, B.; Wiemann, I. (2018). Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte. Grundlagen und Praxis der Biografiearbeit. Weinheim Basel: Beltz Juventa.

Bindungsstärkendes Spielen in der Eingewöhnung

Erneut konnte ich eine wundervolle Gastautorin für diesen Blogbeitrag gewinnen. Passend zum Start ins neue KitaJahr verknüpft sie die Wichtigkeit des Spielens mit den Chancen, die das gemeinsame Spielen für den Beziehungsaufbau zwischen der Fachkraft und den Kindern eröffnet. Ich wünsche viele Anregungen und einen guten Start mit den Kindern und Eltern.

Bindungsstärkendes Spielen in der Eingewöhnung oder wie ich gerne sage in der „Willkommenszeit“

Ein Gastbeitrag von Gundula Göbel

Warum setze ich Willkommenszeit mit Eingewöhnung gleich? Für mich ist diese Zeit, ein Augenblick, Momente und Wochen der Beziehungsgestaltung zwischen der pädagogischen Fachkraft dem Kind und den Eltern. Alle zusammen werden zu einem ergänzenden Bindungs- und Beziehungssystem mit Sicherheit und Feinfühligkeit, um dem Kind bestmögliche psychische Stabilität und emotionale Sicherheit zu ermöglichen.

Nur, wenn auch die Eltern in der Krippe oder Kita willkommen und gesehen werden, werden sie ihr Kind bei diesem wichtigen Schritt und Übergang achtsam begleiten können. Kinder spüren die Gefühle der Erwachsenwelt.

Sich willkommen zu fühlen ist ein Bedürfnis eines jeden Menschen:

Mit einem Lächeln begrüßt zu werden

Verlässlichkeit durch Worte zu erleben

Begrüßungsrituale wie Lieder oder Abläufe zu erfahren

Getröstet zu werden, also Co-Regulation zu spüren

Körperkontakt mit angemessener Nähe und Distanz er erleben

und als Kind sein Nein zu behalten

ist was Kinder im Übergang von sicheren zuhause in die Krippe /Kita dringend brauchen. Feinfühlige Erwachsene. Da sind wir schon beim „Bindungsstärkenden Spielen“ in der Eingewöhnung. Denn ohne beziehungsaufbauende Erfahrungen ist für Kinder kein vertieftes und emotional stärkendes Spielen möglich oder lediglich, wenn die Bezugsperson (bspw. ein Elternteil ) als Sicherheitsanker in der Nähe ist.

Kleinstkinder und Kinder lernen mit allen Sinnen, wir nennen es auch das sensomotorisches Spielen. Kinder entdecken und begreifen die Welt im Spiel. Sie riechen, schmecken, tasten, hören, probieren aus, all das ist auch in der Bindungsentwicklung verankert. Das Baby riecht die Milch, die Mama, den Papa, tastet das Gesicht, die Brust, die Flasch, die Rassel ab, hört die Stimme der Bezugsperson, diese wirkt meist beruhigend und so lässt es sich fortsetzen. All das braucht auch ein Krippenkind in der Eingewöhnung. Dies ist die gemeinsame Stärkung und Aktivierung der Bindungswurzeln aus dem Bindungsbaum-Konzept (siehe Broschüre Bindungsbaum-Konzept).

Das kindliche Spielen ermöglicht dem Kind die Auseinandersetzung mit der neuen Situation, das entdecken der Räumlichkeiten, das Erleben von fremden Gerüchen, Geräuschen, Lautstärken und noch „fremden“ pädagogischen Fachkräften. Im Spielen entwickelt das Kind kreative, aktive oder andere Lösungsstrategien, für den Umgang mit der unbekannten und noch unsicheren Situation.

Das „ Bindungsstärkende Spielen“ ist gerade in der Eingewöhnung ein guter Begleiter. Denn ein Kind kann nur vertieft und versunken entwicklungs- und beziehungsstärkend spielen, wenn es sich sicher fühlt. Deshalb braucht das Kind zuerst die Nähe und Sicherheit der Bezugsperson, welche die Eingewöhnung begleitet. Bspw. Mutter, Vater, Oma oder Opa sind also das wichtigste Bindeglied zwischen Zuhause und Einrichtung, um Kindern Sicherheit zum Entdecken zu geben.

Eine entspannte und emotional sichere Eingewöhnung begleitet vom bindungsstärkenden Spielen, mit Grundlage der Stärkung der Bindungswurzeln festigt das Vertrauen des Kindes, aber auch seine Feinfühligkeit. Denn Kinder brauchen beides. Vertrauen zu ihren Bezugserzieher*innen und gleichzeitig ihre eigene Stimme und ihr eigenes NEIN, wenn sich etwas nicht gut anfühlt.

Durch das bindungsstärkende Spielen können verlässliche Beziehungen aufgebaut werden. Nur wenn Kinder Sicherheit und Orientierung spüren, können sie sich auf es vertieftes Spielen einlassen und auch so Phasen von Anspannung und Entspannung erleben.

Das sensomotorische Spielen ist also für die Entwicklung und Bindung gleichermaßen von Bedeutung. Kinder brauchen Sinnesreize um sich zu entwickeln, aber auch um ihre “Krippen-Welt“ oder „Kita-Welt“ mit allen Sinnen zu entdecken.

Den Begriff „Bindungsstärkendes Spielen“ habe ich 2013 entwickelt auf Grundlage des Bindungsbaum-Konzeptes. Denn nur wenn wir die Bindungswurzeln im Spiel, in der Interaktion und durch Vorbildsein stärken und diese bei uns und den Kindern angemessen versorgen wird Kindern ihre eigene Entwicklung als ganz eigene Persönlichkeit und mit ganz eigenem Temperament ermöglicht. Moegel sieht das Spielen als ein fundamentales Lebenssystem des Menschen. Wir dürfen und sollten für die psychische Gesundheit von Kindern, das vertiefte Spielen ohne ständige Unterbrechungen von Seiten der Erwachsenen in Einrichtungen in den Mittelpunkt stellen. Das kindliche Spielen zeigt auch in der Eingewöhnungszeit und im Weiteren, ob sich Kinder sicher fühlen, es ist ein Ausdruck ihres Wohlbefindens.

Wenn ein Kind in der Eingewöhnung nicht spielen möchte oder kann, ist es ein non-verbales Zeichen für die erwachsenen Welt.

Was könnte das Kind uns sagen:

  • ich brauche mehr Sicherheit
  • es ist mir hier zu laut
  • der Geruch ist mir fremd oder erinnert mich an…
  • soviel Kinder auf einmal
  • warum sieht mich keiner
  • Angst, dass Mama/Papa einfach geht (vielleicht frühe Erfahrungen)
  • Mama, Papa ich spüre eure Angst um mich
  • usw.

Der Aufbau einer Beziehung braucht Zeit und das Kind sowie die Eltern Orientierung, Sicherheit sowie Feinfühligkeit.

Pädagogische Fachkräfte haben oft schon einige Eingewöhnungen begleitet und sind Erwachsene, die es reflektieren können. Aber für jedes Kind ist es das „ERSTE-MAL“ und Kinder reagieren emotional mit ihrem ganzen Körper.

Das „Bindungsstärkende Spielen ermöglicht dem Kind Freiraum und Halt, Eltern und alle Erwachsenen sehen die Bedürfnisse des Kindes nach Bindung und schwingen sich ein. Nicht die Bedürfnisse des Erwachsenen nach schneller Eingewöhnung, dem Gefühl das Eltern den Kitaablauf belasten oder der Personalmangelstress dürfen Gründe sein, Kinder ihr Grundbedürfnis nach Sicherheit nicht zu ermöglichen.

Vertieftes Spielen ist nur mit Bindungs- oder Beziehungssicherheit möglich. In der Eingewöhnung ist somit „Bindungsstärkendes Spielen“ von großer Bedeutung.

Eingewöhnung und „Bindungsstärkendes Spielen“:

  • Impulse vom Kind aufnehmen und feinfühlig begleiten
  • Interaktion (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Vorbild, Einschwingen)
  • Co-Regulation als Grundlage für den Bindungs- und Beziehungsaufbau
  • „Gefühle färben ab“ (eigene Haltung, eigene emotionale Verfassung, Erwartungen)
  • Spielen braucht Sicherheit – Zeit – sensomotorisches Material
  • Spielen ist: Entwicklung – Lösung – Freiheit – Lustgewinn und nicht Ablenkung von Gefühlen
  • Alle Gefühle brauchen liebevolle Begleitung

Bindungsstärkendes Spielen“ ist besonders in der Eingewöhnung von:

Feingefühl – Achtsamkeit – Wertschätzung und Offenheit geprägt.

Gundula Göbel

Kinder- und Jungendlichenpsychotherapeutin

Traumatherapeutin | Paar- und Familientherapeutin | Spieltherapeutin | Autorin |Referentin

21244 Buchholz in der Nordheide

mail@gundula-goebel.de, www.gundula-goebel.de

Meine Veröffentlichungen siehe: www.thekla.de/shop

 

 

 

Peergroup Eingewöhnung Stimmen aus der Praxis

Ein besonderes Dankeschön geht hier an die Kolleginnen des Evangelischen Kindergarten Huckepack in Hüllhorst. Petra Stallmann hat sich vo ein paar Jahren auf meine Anregung hin auf den Weg gemacht, die Peergroup Eingewöhnung in ihrer Gruppe umzusetzen.

Hier kannst du nun nachlesen, wie die verschiedenen Beteiligten diese Form der Eingewöhnung erleben.

Die Eingewöhnung aus Sicht der Leitung

Die Rückmeldung der Eltern zu diesem Eingewohnungsmodell sind durchweg positiv. Das ergab sich aus dem zurückliegenden Audit. Wichtig ist es aber, die Eltern sorgfäItig über dieses Eingewöhnungsmodell zu informieren. Auch die Kontakte unter den Eltern werden intensiviert, weil Sie sich mehr als Gruppe erleben. Das stärkt ihr „Wir-GefühI“. Die EItem. erfahren auch so etwas wie eine „Eingewöhnung & Abnabelung“ als Gruppe.

Es eignet sich nur fur kleine Gruppen, weil die Räume und Personalkapazität dies sonst nicht zulassen. In einer Betreuungsgruppe in der sich 20 oder mehr Kinder befinden, gibt es bei uns keine Möglichkeit parallel zum Betreuungsalltag einen Gruppenraum „nur“ fur die Eingewöhnung vorzuhalten. Da auch nachmittags Kinder in der Einrichtung sind, steht bei uns kein Zeitfenster zur Verfügung in dem das möglich wäre.  Die Personaldecke lässt kaum zusätzliche Arbeitszeiten zu, ohne dass Personal im pädagogischen Alltag fehlt. Ideal ist es, wenn Eingewöhnungszeiten ab 14 / 15 Uhr sind. So i‹ann der „normale‘ Betrieb weiterIaufen. Das bedeutet aber, dass uriter den Bestandskindern möglichst keine oder nur vereinzelt 45 Stunden gebucht sind. Im Gruppentyp II at es sich bewährt 50% der Gruppe neu zu belegen.

Die Kinder in der Krippengruppe profitieren von dieser Eingewohnung, weiI sie nicht ganz so sehr in Abhängigkeit von der einzelnen Erzieherin stehen. Natürlich ist das Personal nach wie vor ein wichtiger Bez!ehungsanker, dennoch scheinen die Kinder schneller Kontakte zu den anderen Kindern aufzubauen, was auch bedeutet, dass sie schneller ins Spiel kommen.

Die Sicht von Petra, der Gruppenleitung

Seit 2017 gewöhnen wir die Kinder unserer U3 Gruppe nach dem Peergroupmodell ein. Nach wie vor verläuft die Eingewöhnung sehr strukturiert, unkompliziert und schnell ab.

Dass die Kinder „sicher“ eingewöhnt sind, zeigt sich auch nach längeren Fehlzeiten der Kinder oder Erzieherinnen. Dieses ließ sich in den Coronazeiten gut beobachten. In der Bringzeit betreten die Kinder selbstverständlich den Raum und werden fröhlich vom Rest der Gruppe empfangen, bewegen sich zielgerichtet auf ein bestimmtes Spielzeug zu oder gehen in ihre Lieblingsecke, in der sie sich besonders wohlfühlen. Manche Kinder suchen sich anfangs eine Bezugserzieherin aus, verhalten sich aber nach kurzer Zeit sehr offen gegenüber den anderen Erzieherinnen der Gruppe.

Zum reibungslosen Ablauf der Eingewöhnung gehören die Planung, die Informationen, die Absprachen mit dem Team und den Eltern sowie die Vorbereitung der Räumlichkeiten mit Spielzeug in doppelter Ausführung. Lezteres sorgt dafür, dass die Kinder durch Beobachtung und Nachahmung auf Augenhöhe kommunizeren können und so in Interaktion treten.

Schnell bekommen die Kinder Freude am Explorieren. Die Sicherheit bietet ihnen die integrierte Elternecke, wo die Kinder jederzeit Kontakt zu ihren Eltern aufnehmen können. Darüber hinaus dient diese Ecke auch dem Kennenlernen der Eltern untereinander, was sich für die weitere Mitarbeit in der Gruppe als sehr hilfreich erwiesen hat.

Die einzugewöhnenden Kinder werden in Absprache mit den Eltern in zwei Gruppen geteilt, einer Vor- und einer Nachmittagsgruppe. Diese beiden Gruppen wurden in den letzten Jahren am vierten Tag zusammengeführt. Ganz individuell halten sich die Eltern an den folgenden Tagen in der Gruppeneltenecke, der ausgelagerten Elternecke auf oder sind per Handy jederzeit errreichbar. Meistens bestätigt sich hier, wie unkompliziert und schnell diese Form der Eingewöhnung abläuft.

Im letzen Jahr hatte ein Kind bereits zwei Tage mit der Mutter den Kindergarten besucht, sich auch sichtlich wohlgefühlt und ist dann für anderthalb Wochen erkrankt. Nach dieser Krankheitsphase begann die Eingewöhnung für dieses Kind erneut. Hier hat es sich als hilfreich erwiesen, die Gruppe zu entzerren, um dem Kind die Möglichkeit zu bieten mit zwei weiteren Kindern in Ruhe in Beziehung zu treten.

Die Sicht von Estelle, einer Gruppenkollegin

Ich empfinde das Eingewöhnungsmodell als eine sehr strukturierte und angenehme Weise, die Kinder nach ihrem eigenen Tempo in den Kindergartenalltag einzugewöhnen.

Zudem finde ich es toll, dass nicht nur die Kinder eine Beziehung und Bindung zueinander aufbauen, sondern auch die Eltern die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen und auszutauschen, was einer tollen Atmosphäre der Gruppe und auch der Elterngemeinschaft zu Gute kommt.

Ich finde, die Kinder sind meistens sehr entspannt, und freuen sich auf die anderen Kinder, auf ein bestimmtes Spielzeug oder auf eine bestimmte Räumlichkeit, in der sie sich ganz besonders wohl gefühlt haben.

Kinder, die im selben Alter sind, können toll voneinander lernen, sich bestimmte Dinge abgucken und eine besonders feste Bindung zueinander aucfbauen, was ihnen bei der Trennung von den Eltern enorm hilft.

Vorraussetzung dafür, dass das Modell umzusetzen ist, ist die Mitarbeit der Eltern.

Ich würde abschließend sagen, dass ich in den 3 Jahren durchweg Positives in der Eingewöhnung erlebt habe und sich diese Art des Modells in unserer Gruppe bewährt hat. Außerdem finde ich es super, dass sich die Kinder selber eine Bezugsperson aussuchen können und sie nicht zugeteilt werden.

Die Sicht von Verena, einer weiteren Gruppenkollegin

Eingewöhnung in der Peergroup – aus meiner Sicht eine sehr sanfte, langsame Eingewöhnung, die sowohl den Kindern als auch Eltern Zeit gibt, sich an den Kindergartenalltag zu gewöhnen.

Sie gibt viel Raum und Zeit um die Erzieherinnen, die anderen Kinder, die Räumlichkeiten und auch Rituale kennenzulernen. Die Kinder haben die Möglichkeit, sich Stück für Stück nach eigenem Zutrauen vom Sitzplatz der Eltern zu entfernen und auf „Entdeckungsreise“ zu gehen.

Sie dürfen die Sicherheit erfahren, dass ihre Eltern an dem gleichen Ort wiederzufinden sind.

Wir Erzieherinnen sind bemüht, Kontakt zu jedem Kind aufzubauen. So wird ein gegeseitiges Kennenlernen gefördert, den Kindern wird dennoch die Chance gelassen sich eine Bezugsperson auszusuchen.

Oft gelingt es sehr schnell das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, sodass wir Erzieherinnen nach und nach immer mehr Aufgaben übernehmen können, die sonst den Eltern vorbehalten waren. Natürlich gelingt dieses besonders gut, wenn Eltern bereit sind zuzulassen, dass die Kinder die ersten „Abnabelungsversuche“ unternehmen und diesen Prozess bereitwillig unterstützen.

Für die Eltern bedeutet diese Art der Eingewöhnung, dass sie viel Zeit in die ersten Wochen investieren müssen und sie verlangt auch eine gewisse Art von Flexibilität ab. Hat ein Kind schon tolle Fortschritte gemacht und kann schon für kurze Zeit „alleine“ im Kindergarten bleiben, werden die Eltern in die Elternecke der Einrichtung oder bei kurzem Weg auch nach Hause geschickt.

Da alle Eltern während der Eingewöhnung an einem festen Platz sitzen, in unserem Fall ist das der Nebenraum, bekommen sie auch die Fortschritte der anderen Kinder mit und müssen es auch aushalten, wenn andere Kinder schnellere Fortschritte machen als das eigene Kind.

Ich bevorzuge diese Art der Eingewöhnung, da die Eltern und die Kinder dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen. Sie bietet viel Raum und Zeit zum Kennenlernen, gibt den Erzieherinnen gute Beobachtungsmöglichkeiten, um individuell auf die Kinder einzugehen (z.B. wie das Kind getröstet wird, welches Spielzeug besonders interessant ist…).

Als wichtig erachte ich es auch, dass die Kinder mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und gerne in den Kindergarten zurückkehren. Deshalb sollten die Spielphasen in den ersten Tagen von kurzer Dauer sein und dann langsam ausgeweitet werden.

Und zum Abschluss die Sicht einer Mutter

Unsere Tochter, 1,7 Jahre, geht seit August 2021 in den Kindergarten. In der Einführungszeit fühlten wir uns als Eltern sehr gut aufgehoben. Die Interaktion mit den Kindern/Eltern erfolgte, trotz Coronabedingungen, sehr intensiv. Unsere Tochter hat schnell Vertrauen zu den Fachkräften gefunden, was wohl auch daran liegt, dass diese alle jederzeit freundlich und offen gegenüber den Kindern und auch den Eltern sind.

In diesem ersten halben Jahr können wir von einer durchaus positiven Entwicklung unserer Tochter sprechen. Wir merken, dass mit den Kindern jeden Tag intensiv interagiert wird. Sei es sprachlich, musikalisch oder auch in der Bewegung. Ihr Wortschatz wächst von Tag zu Tag. Dazu tanzt und singt sie gerne. Auch scheint sie bereits erste engere Verbindungen mit einigen Kindern aufzubauen, da drei bis vier Namen auch außerhalb des Kindergartens eine Rolle spielen. In der Regel ist sie immer positiv gestimmt, wenn wir sie aus dem Kindergarten abholen. Auch morgens freut sie sich, wenn wir sie hinbringen. Für uns ein Zeichen, dass sie sich wohlfühlt und ihr eure Arbeit mit viel Engagement ausübt. Auch ihr Sozialverhalten wird durch den Kindergarten positiv beeinflusst. So signalisiert sie, was sie möchte und sagt auch Nein, wenn es ihr zu viel wird. Das Teilen/Abgeben von Spielsachen klappt ebenfalls schon sehr gut.

Positiv erwähnen möchten wir auch unser erstes gemeinsames Gespräch, wo wir unsere gegenseitigen Erfahrungen bezüglich der Entwicklung unserer Tochter austauschen konnten. Trotz der Coronabedingungen fühlen wir uns von den Fachkräften der Gruppe jederzeit mitgenommen. Der kurze Austausch über den Tag beim Bringen/Abholen finden wir sehr gut.

Mehr über das Modell

Soweit die Stimmen aus der Praxi und den Erfahrungen mit der Peergroup-Eingewöhnung. Ich wünsche mir, dass sie dich vielleicht noch ein bisschen neugieriger auf diese Eingewöhnung gemacht haben.

Wenn du mehr über die Peergroup-Eingewöhnung erfahren möchtest. Im Oktober erscheint mein Buch: Peergroup-Eingewöhnung im Verlag an der Ruhr. Du kannst es schon jetzt im Buchhandel oder im Shop des Verlages vorbestellen.

 

Streiten lernen – Konflikte zwischen Kindern achtsam begleiten

Streitereien und Konflikte zwischen Kindern gehören zum Alltag von pädagogischen Fachkräften und stellen zugleich eine der größten Herausforderungen dar. Sie sind so vielfältig wie die Menschen, die in Kindertageseinrichtungen aufeinandertreffen. Ich freue mich, für dieses hoch interessante und wichtige Thema meine Kollegin Sabrina Dittmann gewonnen zu haben. Ich wünsche dir viele erhellende Momente.  Deine Anja

Streit zwischen Kindern – Eine alltägliche Herausforderung

Konflikte zwischen Kindern kommen laut daher und leise. Sie führen zu hilfesuchenden Blicken, Beschwerden und manchmal zu Tränen. Sie werden mit grimmigen Blicken ausgetragen, finden als verbaler Schlagabtausch statt oder gehen mit körperlichen Übergriffen einher.

Konflikte ereignen sich zwischen zwei Kindern, versetzen eine ganze Gruppe in Aufruhr oder spielen sich im Inneren eines Kindes ab, ohne dass es bemerkt wird. Manche Konflikte sind absehbar, andere kommen plötzlich und scheinbar grundlos zum Ausbruch.

Für Konflikte gibt es die unterschiedlichsten Motive und Anlässe. Es gibt Streit um eingestürzte Bauwerke, um den besten Platz im Morgenkreis, um den roten Bagger. Kinder streiten darum, wie ein Spiel gespielt wird, wer bestimmen darf, wer sich zuerst beim Essen bedient. Wer ist wessen Freundin, wer hat wen beschimpft, wer ist zum Geburtstag eingeladen und wer nicht? Das alles sind Fragen, die in Konfliktsituationen immer wieder auftauchen. Und es gibt noch viele mehr.

Hand auf’s Herz: Wie geht es dir, wenn du das liest? Bekommst du Schnappatmung oder kannst du schmunzeln? Denkst du „Oh nein, muss das wirklich sein?“ oder sagst du dir eher „Okay, wie machen wir das jetzt?“

Deine Haltung zu Konflikten – Schlüssel zu einer gelungenen Konfliktbegleitung

Nimm dir einen Moment Zeit, um deinen Gefühlen und Gedanken nachzuspüren. Sie sind ein Ausdruck deiner persönlichen Einstellung zu Konflikten und stehen in engem Zusammenhang mit deiner Wahrnehmung sowie deinem pädagogischen Handeln bei der Konfliktbegleitung. Wahrnehmung, Haltung, Gefühle, Gedanken, Handeln – alle beeinflussen sich gegenseitig.

Wenn du Konflikte als Chance oder Lernfeld siehst, empfindest du eher Interesse und Neugier. Beliebte Gefühle wie Freude oder Zufriedenheit bekommen einen größeren Raum. Wer Konflikte überwiegend als Störfaktor oder Beeinträchtigung betrachtet, empfindet in Konfliktsituationen eher Anspannung, Skepsis oder Unsicherheit. Unbeliebte Gefühle wie Wut oder Angst treten in den Vordergrund.

Bei einer grundsätzlich positiven Einstellung ist deine Wahrnehmung geschärft. Du nimmst Konfliktsignale frühzeitig wahr. Dein Blick öffnet sich für Möglichkeiten der Klärung und der Lösung. Dadurch wächst auch deine Bereitschaft, dich auf Konflikte einzulassen. Du gehst eher aktiv, offen und kreativ an die Konflikt­lösung heran. Du erlebst dich als kompetent, dein Selbstwertgefühl wächst und stabili­siert sich.

Wer Konflikte eher negativ bewertet, nimmt Konflikt­signale dagegen erst spät wahr oder übersieht sie sogar. Bei offensichtlichen Konflikten ist die Wahr­nehmung auf Hindernisse und Gegensätze gerichtet. Aus dieser Gefühlslage und Sichtweise heraus werden Konflikte eher vermieden oder unterbunden. In der Kommunikation mit Kindern können Sätze wie „Streitet euch doch nicht.“ oder „Klärt das mal unter euch.“ ein Indiz für diese Haltung sein. Durch das Vermeiden fehlt die Gelegenheit, gute Lösungen zu finden und sich als erfolgreich zu erleben.

In einer Art Kreislauf verstärken sich jeweils die Folgen von Bewerten, Fühlen, Wahr­nehmen und Handeln. Bei einem negativen Kreislauf entsteht zunehmend ein Sieg-oder-Niederlage-Denken. In einem positiven Kreislauf wächst die Überzeugung, dass Konflikte und Schwierigkeiten gemeistert werden können und eine Gelegenheit zum gemeinsamen Lernen und Wachsen sind.

Wenn du Kinder in Konfliktsituationen hilfreich begleiten und sie gleichzeitig dabei unterstützen möchtest, Konflikte zunehmend selbständig zu lösen, ist es eine grundsätzlich wohlwollende Haltung zu Konflikten von großer Bedeutung. Setze dich deshalb mit deiner Haltung zu Konflikten und mit deinem persönlichen Konfliktstil auseinander. Zusätzlich kann der Blick auf deine Konfliktbiographie helfen, deine Werte und Verhaltensweisen besser zu verstehen.

Reflexionsfragen zu deinem Konfliktverhalten

  • Wie steht es um deine Haltung zu Konflikten? Kannst du Konflikten etwas Positives abgewinnen?
  • Fühlst du dich in der Lage, eigene Konflikte zu klären? Wie verhältst du dich in Konfliktsituationen?
  • Unterbindest du Streit zwischen Kindern nach Möglichkeit? Was sind die Gründe dafür? Unterbindest du Streit, wenn bestimmte Kinder daran beteiligt sind?
  • Traust du Kindern grundsätzlich zu, eigene Schritte zur Konfliktlösung zu unternehmen? Wie ermutigst du sie? Wie unterstützt du sie?
  • Gelingt es dir, deinen Erfahrungsvorsprung und deine eigenen Bewertungen in der Schwebe zu halten?

Reflexionsfragen zu deiner Konfliktbiografie

  • Wie wurde in deiner Herkunftsfamilie mit Konflikten umgegangen? Durfte gestritten werden? Wurden gemeinsame Lösungen gefunden?
  • Welche Strategien der Konfliktbewältigung hast du erlebt?
  • Haben Erwachsene dir zugehört, wenn du von deinen Streitigkeiten erzählt hast? Wurden deine Gefühle und Gedanken, deine Sichtweisen ernst genommen?
  • Haben Erwachsene ihren Erfahrungsvorsprung und ihre eigenen Bewertungen in der Schwebe gehalten? Haben sie dir ihr Wissen ohne Besserwisserei zur Verfügung gestellt?
  • Haben Erwachsene dich ermutigt, dich auf Konflikte einzulassen und haben sie dich unterstützt, wenn du dir in Konfliktsituationen nicht allein zu helfen wusstest?

Streiten lernen – welche Fähigkeiten braucht es?

Das Klären und Lösen von Konflikten ist eine sehr komplexe Aufgabe und erfordert eine Reihe von sozial-emotionalen und kognitiven Fähigkeiten:

  • eigene Bedürfnisse, Gefühle, Interessen und Grenzen wahrnehmen und mimisch, gestisch oder mit Hilfe von Worten ausdrücken
  • die Folgen des eigenen Handelns absehen und bei der Handlungsplanung berücksichtigen
  • Mimik, Gestik und Worte von anderen wahrnehmen und die damit verbundenen Bedürfnisse, Gefühle, Interessen und Grenzen erkennen und berücksichtigen
  • Gefühle regulieren, Bedürfniserfüllung aufschieben und Impulse kontrollieren
  • sich in die Lage anderer versetzen

Schon sehr junge Kinder verfolgen die eigenen Interessen sehr zielgerichtet und drücken ihre Gefühle mimisch und gestisch aus. Über viele der oben genannten Fähigkeiten verfügen sie jedoch noch nicht, da diese sich erst mit der Reifung der Großhirnrinde entwickeln. Aus diesem Grund kommt es bei Kindern unter drei Jahren häufig zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Sie benötigen eine vorausschauende, verlässliche und umfängliche Konfliktassistenz von Erwachsenen, auch zu ihrem Schutz.

Mit fortschreitender Entwicklung der Kinder, insbesondere ab einem Alter von etwa drei Jahren, bietet jede Konfliktsituation die Gelegenheit, diese Fähigkeiten zu erproben, zu erweitern und dazuzulernen. Wenn du hier vorschnell eingreifst und Konflikte für die Kinder löst, nimmst du ihnen diese Gelegenheit. Außerdem setzt du dich selbst mächtig unter Druck. Findest du keine gerechte Lösung, werden Konflikte nicht wirklich beigelegt und flammen immer wieder auf.

Als pädagogische Fachkraft bist du also gefordert, eine gute Balance zu finden. Du darfst begleiten und schützen, wenn Kinder nicht allein zurechtkommen. Du darfst zutrauen und ermutigen, wenn Kinder selbst aktiv werden können und wollen.

Zutrauen und Ermutigung – Kompetenzen der Kinder sehen

In gewaltfreien und gleichberechtigten Konfrontationen ist dein Zutrauen gefragt. Beobachte aufmerksam, begib dich gegebenenfalls in Hörweite, halte dich aber mit Vorschlägen und deiner persönlichen Meinung zurück.

Fachkraft Matti wird auf Emil und Ben aufmerksam. Beide liefern sich ein lautstarkes Wortgefecht. „Du bist schon drei Runden gefahren. Jetzt will ich das Auto haben.“ – „Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe es gerade erst bekommen!“ – „Aber vorhin hat dir Suse das Auto gegeben.“ – „Ja, aber dann war ich auf dem Klo!“ So geht es immer hin und her, beide haben vor Erregung gerötete Gesichter. Matti begibt sich Stück für Stück in ihre Nähe und hört sich den Streit eine Weile an.

Solange die Beteiligten Worte für ihre Positionen finden und ihre Gefühle durch Lautstärke ausdrücken, besteht die Chance, dass sie zu einer Lösung finden. Bleib in der Nähe. Allein dadurch bietest du Kindern Sicherheit und kannst im Bedarfsfall rechtzeitig unterstützen.

Sehr häufig kommt es vor, dass sich Kinder an Fachkräfte wenden und sich über andere Kinder beschweren. Manchmal zeigen sie auf diese Weise, dass sie Begleitung benötigen. Manchmal reicht es schon aber schon, zuzuhören und kleine Impulse zu geben. Du kannst sie nach den bisherigen Lösungsschritten fragen oder zu einzelnen Handlungsschritten ermutigen.

Elif kommt zu Erzieher Piet gelaufen: „Merle nimmt immer unsere Decke weg.“ Piet spiegelt Elifs Gefühle und fragt nach: „Oh, das stört dich wohl, du scheinst sehr verärgert. Weiß denn Merle, dass du das nicht möchtest? Hast du es ihr gesagt?“ Elif überlegt kurz und läuft dann beschwingt davon.

Nach einiger Zeit kehrt Elif zurück: „Merle nimmt immer wieder die Decke. Sie hört nicht, was ich sage.“ Piet spiegelt und fragt erneut: „Das ist ja wirklich ärgerlich. Wie kann ich dir denn jetzt helfen?“ – „Du musst ihr das sagen.“ – „Du möchtest gern, dass ich ihr das sage?“ – „Ja!“ Piet schlägt vor: „Elif, was hältst du davon, wenn ich das mal beobachte. Wir können dann auch gemeinsam mit Merle reden. Bist du einverstanden?“

Wenn du den weiteren Verlauf des Konflikts verfolgst, fühlen sich Kindern ermutigt. Außerdem kannst du konkrete Unterstützung anbieten und Vorschläge machen. Offene Fragen oder das Einholen des Einverständnisses signalisieren den Kindern dein Vertrauen in ihre Fähigkeiten fordern sie zugleich heraus, aktiv am Prozess mitzuwirken.

Auf Kollisionskurs – Einschreiten und Ko-Regulieren in Konflikten

In manchen Situationen reichen Ermutigung und Zutrauen allein nicht mehr aus. Stattdessen ist deine Hilfe gefragt. Kinder haben ein gutes Gespür dafür, wann sie Hilfe benötigen und zeigen das auf unterschiedliche Weise. Achte deshalb in kritischen Situationen auf die Signale des Kindes. Schaut es sich suchend nach dir um? Ruft es nach dir? Beschwert es sich? Weint es vielleicht? Zieht es sich zurück? Das alles kann bedeuten: „Ich weiß nicht weiter. Bitte hilf mir.“   

Wenn du unsicher bist, ob Hilfe benötigt wird oder du vermutest, dass eine Situation eskalieren könnte, bleib auf jeden Fall in der Nähe. Du kannst die Kinder auch fragen, ob sie Hilfe benötigen.    

Du bist schon drei Runden gefahren. Jetzt will ich das Auto haben.“ – „Das stimmt überhaupt nicht! Ich habe es gerade erst bekommen!“ – „Aber vorhin hat dir Suse das Auto gegeben.“ – „Ja, aber dann war ich auf dem Klo!“ So geht es immer hin und her, Emil und Ben haben vor Erregung gerötete Gesichter. Fachkraft Matti hört sich den Streit eine Weile an und sagt dann: „Ich habe euren Streit schon von Weitem gehört. Kommt ihr zurecht?“.

Es kann sein, dass Emil und Ben ihr Wortgefecht über Eck fortsetzen und auf diese Weise die Hilfe der Fachkraft einfordern. Dann reichen meist kleine Impulse, die das weitere Gespräch begleiten und moderieren. Wenn Kinder mit sehr unterschiedlichem Temperament oder Entwicklungsstand (Sprache, Impulskontrolle oder Perspektivübernahme) aufeinandertreffen, ist mehr Vermittlung nötig.

Besonders aufmerksam solltest du sein, wenn sehr junge Kinder in einen Konflikt geraten. Viele Eskalationen und Verletzungen lassen sich durch vorausschauende Begleitung vermeiden.

Rudi steht am Waschbecken und lässt sich genüsslich das Wasser über die Hände laufen. Adi kommt dazu, um ebenfalls an den Wasserhahn zu gelangen und drängt Rudi dabei immer mehr zur Seite. Rudi gerät ins Wanken, seine Augen sind schreckgeweitet. Tagesvater Lutz hält Adi sanft an der Schulter zurück und sagt: „Adi, warte. Rudi braucht noch einen Moment. Du möchtest auch an den Wasserhahn, gleich bist du dran.“

Deine Unterstützung ist unbedingt erforderlich, wenn Kinder zuschlagen, einander Spielzeug entreißen oder die Gefahr besteht, dass jemand auf andere Weise verletzt wird. Das gilt auch für verletzende Worte und Ausgrenzungen aller Art. Handgreiflichkeiten stoppst du, indem du hingehst und dich schützend zwischen die Kinder stellst. Manchmal ist es nötig, dass du ein Kind festhältst. Sprich das Kind mit Namen an und sage ihm, was es tun soll.

Sarah buddelt ganz vertieft mit einer roten Schippe im Sand. Max hat nun genau diese Schippe für sich entdeckt. Er will Sarah die Schippe aus der Hand ziehen und ruft: „Meine!“. Sarah gibt nicht nach, beide ziehen hin und her, die ersten Tränen steigen auf. Fachkraft Robin kommt dazu und berührt Max am Arm: „Max, lass‘ los.

Eben noch haben Jo und Frida scheinbar friedlich Bausteine zu einem Turm gestapelt. Im nächsten Moment brennt die Luft. Frida zieht Jo an den Haaren, Jo holt mit dem Arm aus. Erzieherin Petra spricht ruhig, aber bestimmt: „Jo! Stopp! Frida, lass los! Auseinander!“ und schiebt die Kinder auseinander.

Dabei ist es ist wichtig, ruhig und besonnen zu agieren. Zeige den Kindern durch deine Stimme und Haltung, dass du sie unterstützen möchtest und einen Ausweg aus dem Konflikt zeigen kannst. Im nächsten Schritt brauchen die Kinder Unterstützung bei der Emotionsregulation. Gib ihnen die Gelegenheit, sich zu beruhigen. Biete zum Trost deine Hand oder eine Umarmung an, vielleicht möchten sie sich auch einen Moment zurückziehen.

Wenn die Kinder sich beruhigt haben und ansprechbar sind, dann kann über den Konflikt gesprochen werden. Bei jüngeren Kindern bedeutet das vor allem, die Gefühle, Bedürfnisse und Interessen beider Kinder zu versprachlichen und Lösungsmöglichkeiten anzubieten.

Fachkraft Robin kommt zum Sandkasten und berührt Max am Arm: „Max, lass‘ los!“ – „Ich sehe, du ärgerst dich, weil Sarah die Schippe nicht hergibt.“ – „Und Sarah, du bist ganz erschrocken, weil Max die Schippe nehmen will.“ – „Ihr braucht beide gerade eine Schippe.“ – „Max, schau mal, hier ist noch eine Schippe.“, sagt Robin und zeigt auf eine weitere Schippe.

Je älter die Kinder werden, desto öfter geht es darum, das Gespräch durch Fragen anzuregen, das gegenseitige Verstehen zu unterstützen und den Konfliktlösungsprozess zu moderieren. Orientierung bieten dabei die Phasen, die im Rahmen einer Mediation durchlaufen werden.

Einen Eisberg zum Schmelzen bringen – Mediation in Konflikten

Voraussetzung für ein hilfreiches Gespräch ist, dass du allen Kindern offen begegnest. Es geht nicht darum, Schuldige zu identifizieren oder jemanden zu verurteilen, sondern gemeinsam zu einer Einigung zu kommen. Wenn du selbst verärgert bist oder eines der Kinder noch ängstlich oder wütend ist, dann gib euch Zeit zur Beruhigung oder bitte eine:n Kolleg:in um Unterstützung.

Das Gespräch beginnt damit, die unterschiedlichen Sichtweisen der Kinder anzuhören und gemeinsam herauszufinden, worum geht es eigentlich geht. In der Mediation spricht man von der Konfliktdarstellung und der Konflikterhellung. Deine Aufgabe ist es, durch offene Fragen das Erzählen anzuregen, aktiv zuzuhören und die Aussagen der Kinder zusammenzufassen. Beschuldigende Äußerungen der Kinder kannst du durch Nachfragen und Umformulierungen entschärfen. So hilfst du den Kindern auch dabei, die Interessen und Perspektiven des anderen nachzuvollziehen.

Ihr habt euch ja gerade mächtig gestritten. Was ist denn eigentlich passiert?“
„Ich habe gesehen, dass du Jo an den Haaren gezogen hast. Wie ist es denn dazu gekommen?“   

„Julius, du hast gesagt, Max hat dich angegriffen. Was meinst du denn damit?“
„Ach, du bist über sein Bein gestolpert? Und du hast gedacht, er hätte dir absichtlich ein Bein gestellt?“

Du wolltest den Platz für dich haben und Cem hat das nicht verstanden? Da wusstest du dir nicht anders zu helfen und hast ihn weggestoßen?“

Du wolltest eine Decke zum Kuscheln haben? Habe ich das richtig verstanden? Deswegen hast du sie immer wieder genommen. Kann es sein, dass du müde bist?“
„Hast du das gehört, Elif? Merle brauchte etwas zum Kuscheln.“

Wenn geklärt ist, was alle Beteiligten wollten – manchmal reichen dazu wenige Sätze – kannst du zur Lösungssuche überleiten. Manchmal kommen die Kinder von sich aus auf Ideen. Je nach Situation kann eine der folgenden Fragen hilfreich sein:

Und nun? Wie geht es jetzt weiter?“
„Was könnt ihr denn nun machen, damit ihr beide zufrieden seid?“
„Habt du auch eine Idee? Was würde dir helfen?“

Ich habe auch noch eine Idee. Möchtet ihr die hören?“
„Was haltet ihr davon, wenn …?“

Fasse auch hier wieder in deinen Worten zusammen und frage dann die Kinder, welche der Lösungen für sie passt bzw. ob sie mit einem Vorschlag einverstanden sind.

Jo hat vorgeschlagen, dass sie den Turm wieder aufbaut. Würde dir das gefallen?“
„Jo, Frida möchte lieber etwas anderes spielen und hätte gern, dass du die Bausteine einräumst. Bist du einverstanden?“

Bleibe anschließend noch in der Nähe. Manchmal brauchen Kinder Unterstützung bei der Umsetzung, vielleicht bedarf es noch einer Änderung oder einer Spielbegleitung. Nicht immer sind alle mit einer Lösung glücklich. Das ist auch in Ordnung. Dann besteht die Aufgabe darin, die betreffenden Kinder noch zu begleiten.

Du wolltest so gerne mit Johanna spielen und Johanna mag jetzt lieber allein sein. Das ist traurig für dich. Hhm. Ich kann eine Weile mit dir traurig sein. Wie wäre das?“

Erfolge feiern

Streiten kann man lernen. Es ist ein Lernprozess für alle Beteiligten. Manchmal strengt es dich nur wenig an, manchmal raubt es allen die letzte Energie. Sei freundlich mit dir und mit den Kindern. Vielleicht magst du für dich selbst oder gemeinsam mit den Kindern überlegen: Was ist uns heute gut gelungen? Wie haben wir den Konflikt gelöst? Wer hat wie dazu beigetragen? Kleine Erfolge zu wertschätzen, direkt nach dem Konflikt oder am Ende eines Tages, kann für alle ein beglückender Moment und zugleich Mutmacher sein.

Für die Konflikte, die dir demnächst begegnen, wünsche ich dir Neugier, Zuversicht und die nötige Portion Gelassenheit.

Herzliche Grüße

Sabrina

Wenn Du mehr über Sabrina erfahren oder sie zu einer Teamfortbildung zu Dir in die Einrichtung einladen möchtest, besuche sie gern auf ihrer Website unter www.sabrina-dittmann.de oder auf ihrer Facebookseite unter https://www.facebook.com/dialogsabrinadittmann

Auch in den KitaTalks war Sabrina bereits zu Gast mit dem wichtigen und interessanten Thema: Kratzen, Beißen, Hauen