Neben dem „Prinzip des Guten Grundes“, das ich im vorausgegangenen Blogbeitrag näher erläutert habe, kann Euch das Wissen um das sogenannte Eisbergmodell (n. Ruch/ Zimbardo (1974), weiterentwickelt u. a. von Schulz v. Thun.) in der Zusammenarbeit mit Eltern hilfreich sein.
Sichtbare und unsichtbare Anteile bestimmen unsere Kommunikation
Dieses Modell besagt im Kern, dass in der Kommunikation zwischen zwei Menschen nur 20% direkt wahrnehmbar sind. Diese 20% enthalten zum einen einen verbalen Teil mit Sachinformationen, wie z. B. Zahlen, Daten und Fakten und zum anderen einen non-verbalen Teil, der sich in Form von Mimik, Gestik und Tonfall ausdrückt. Die anderen 80 % sind von den individuellen Erfahrungen und Erlebnissen, den verinnerlichten Wertevorstellungen, den persönlichen Gefühlen und den aktuellen Stimmungen bestimmt. Diese oftmals nicht auf Anhieb sichtbare Ebene hat jedoch einen großen Einfluss auf den sicht- und hörbaren Teil der Kommunikation.
Jeder Mensch ist ein Eisberg
Jede*r von Euch ist so ein Eisberg. Euer jegliches Handeln wird bestimmt durch Eure ganz individuelle Sozialisation. Ihr bringt Erfahrungen und Erlebnisse aber auch Werte und Normen in Eure pädagogische Arbeit mit ein. Vor diesem Hintergrund begegnet Ihr den Eltern.
Dabei ist es durchaus wichtig, daran zu denken, dass auch Eure Eltern aus ihrer Sozialisierung heraus eigene Werte und Normen mitbringen, die ihr Handeln beeinflussen.
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Es stehen sich so immer mehrere Eisberge gegenüber, wobei der Eine das Verhalten des Anderen immer aus der eigenen Prägung und Sozialisierung heraus betrachten und bewerten wird.
Missverständnisse und Konflikte vermeiden
Das Eisbergmodell unterstützt Euch dabei, die unterschiedlichen Werte anderer wahrzunehmen. In der Zusammenarbeit mit Eltern kann es für Euch durchaus hilfreich sein, das Eisbergmodell im Hinterkopf zu behalten, um das Handeln der Eltern besser zu verstehen. Macht Euch immer wieder den großen Einfluss der verborgenen Ebene in der Kommunikation bewusst, so können viele Missverständnisse und Konflikte mit Eltern vermieden werden.
Das Eisbergmodell lässt sich darüber hinaus auf die Teamarbeit und im alltäglichen Zusammenleben mit anderen Menschen anwenden. Achtet beim nächsten Mal darauf, wenn Ihr denkt: „Das Verhalten meines Gegenübers kann ich gerade so gar nicht nachvollziehen.“ Möglicherweise ist Euer Unverständnis dann darauf zurück zu führen, dass Eure Werte und Normen andere sind als die Eures Gegenübers.
Eure Anja
P.S. Auch in der Rolle als Gruppenleitung kann Euch das Eisbergmodell hilfreich sein. Mit diesem Thema habe ich mich in meinem Buch: „Die Gruppenleitung in der Kita“ ausführlicher beschäftigt, https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/gruppenleitung
Der Autor verweist sehr eindrücklich darauf, dass der aktuelle Ausnahmezustand in vielen Menschen eine Wut auslösen kann, der es frühzeitig zu begegnen gilt. Er erläutert sehr nachvollziehbar Zusammenhänge und Hintergründe dieser Wut und den damit verbundenen Gefahren für unsere Gesellschaft. Gleichzeitig bietet er eine Lösung, um dieser Wut, die letztlich auf Angst und Hilflosigkeit basiert, mit einem dem Menschen zur Verfügung stehenden Mittel zu bekämpfen: mit Empathie.
Empathie als Kernkompetenz
Damit bin ich wieder bei Euch und Eurem Arbeitsfeld. Empathie ist eine wesentliche personale Kernkompetenz, die Euch im Umgang mit den Kindern und Familien auszeichnet und ohne die eine Zusammenarbeit nicht möglich ist.
Gespräche bieten Entlastung
Viele Familien sind durch das Kontaktverbot auf sich selbst gestellt. Je nach familiärer Gesamtsituation werden sie dadurch sehr herausgefordert und oftmals überfordert. Das kann durchaus zu Wutausbrüchen von Eltern und Kindern führen. Einige Fachstellen befürchten in diesem Zusammenhang einem Anstieg von häuslicher Gewalt.
Wie entlastend könnte in solchen Momenten ein Gesprächsangebot und/ oder ein Zuhörer von außen sein? Ein solches Gespräch vermittelt das Gefühl, nicht alleine zu sein und verstanden zu werden. Ich glaube, viele von Euch kennen selbst diese Momente, wo ein solches Gespräch entlastet und weitergeholfen hat.
Warum also nicht, einfach mal bei den einzelnen Familien anrufen und nachfragen, wie es ihnen und ihren Kindern in dieser Situation geht und ihnen zuhören. Je nach Situation könnt Ihr dann die Eltern bestätigen, dass sie die gegenwärtige Situation gut meistern oder mit ihnen gemeinsam nach Lösungen und Wegen suchen, um möglichst gut die Zeit zu überstehen. Ihr seid wichtige Ansprechpartner und Berater außerhalb von familiären und anderen privaten Beziehungen. Eure Stärke liegt in Eurer Professionalität und Fachlichkeit, den Eltern beratend zur Seite zu stehen. Dies kann den Eltern andere Sichtweisen und Perspektiven eröffnen, die innerhalb des Familien- und Freundeskreises nicht immer sichtbar sind.
Externe Hilfen anbieten
Ergänzend solltet Ihr Eltern darauf aufmerksam machen, dass viele Erziehungsberatungsstellen weiterhin geöffnet haben und ihre Hilfen anbieten. Vielleicht könnt Ihr auch in Kooperation mit externen Berater*innen ein telefon- oder videobasiertes Beratungsangebot aufbauen, das den Eltern auf Nachfrage zur Verfügung steht. Beispielsweise habe ich als Elternberaterin in Kooperation mit der Städtischen KiTa in Bielefeld letzte Woche ein solches Angebot ins Leben gerufen. Die Abrechnung dieser Beratungsstunden erfolgt über Gelder des Familienzentrums.
Einige Einrichtungen können darüber hinaus auf Kolleg*innen zurück greifen, die eine Weiterbildung zum*zur Elternbegleiter*in gemacht haben. Diese Kolleg*innen hätten aus dieser Rolle heraus die Möglichkeit, den Familien ein besonderes Hilfs- und Beratungsangebot zu unterbreiten.
Bestärkende Ostergrüße
Bald steht Ostern vor der Tür. Ein netter Brief oder eine aufmunternde Postkarte an die Eltern könnte zu einem Lichtblick in diesen Zeiten werden. Durch die vielen Seminare mit Euch und Euren Kolleg*innen weiß ich, dass einige von Euch gerne ein Stück Schokolade als Nervennahrung zu sich nehmen 😉 – vielleicht ist auch das eine versüßende und stärkende Aufmerksamkeit in der Osterzeit?
Für mich sind im Moment alle, die zu Hause bleiben und somit dazu beitragen, dass der Virus sich nicht exorbitant schnell vermehren kann, Alltagshelden im Kleinen, denen mein ganzer Dank, Respekt und meine Wertschätzung gilt. Dieser persönliche Einsatz sollte wahrgenommen und belohnt werden.
Auszeiten ermöglichen
Vielleicht könnt Ihr den Familienalltag durch diverse kleine Anregungen begleiten, um den Eltern kleine Auszeiten zu eröffnen, in denen sie sich nichts überlegen müssen, wie sie ihre Kinder beschäftigen können. Schafft kleine Sternstunden, wo Ihr die Kinder vom passiven Medienkonsum wegholt und zum Mitmachen einladet. Eröffnet den Eltern kleine Zeitfenster für andere Betätigungen. Sicherlich gibt es technisch versierte Kolleg*innen unter Euch, die Lust haben kleine Filme zu drehen mit Finger- und Bewegungsspielen, Bewegungsanregungen, Bilderbuchbetrachtungen, Vorlesen, Handpuppenspiele o.ä., die den Familien dann beispielsweise über Email zugänglich gemacht werden.
Und warum nicht auch mal eine Videokonferenz mit den Eltern und/oder Kindern machen, um miteinander im Kontakt zu bleiben?
Soweit meine Ideen, Impulse und Anregungen. Mit ein wenig Phantasie und Kreativität lässt sich bestimmt noch mehr finden. Was fällt Euch noch ein? Was tut Ihr bereits, um mit den Familien im Kontakt zu bleiben und eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auch unter Quarantäne und Kontaktverbot zu gestalten? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und Berichte aus der eigenen Praxis.
Gebt weiterhin gut auf Eure Gesundheit acht.
Eure Anja
P.S. Unter folgendem Link https://youtu.be/U3w7rz72k4k findet Ihr ein sehr schönes YouTube Video mit einem Lied über den „Quarantäne Roboter“. Lied, Idee und Umsetzung stammen von einem Schauspielkollegen meiner Tochter und seinem Sohn. Wie man sieht lädt hier die Quarantäne zur Kreativität ein. 😉
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