Eingewöhnung im Beziehungsdreieck

Das aktuelle Kita-Jahr neigt sich dem Ende zu, die Zeichen stehen auf Abschied und Neubeginn. Einige Kinder verlassen die Kita, Krippe und Kindertagespflege nach mehreren Jahren und schon bald kommen neue Kinder und Eltern. Genau der richtige Zeitpunkt, um das bestehende Eingewöhnungskonzept zu überprüfen.

Seit vielen Jahren beschäftige ich mich als Referentin mit dem Thema Bindung und Eingewöhnung. Dabei ist mir besonders wichtig, dass die Eingewöhnung als grundlegender Prozess verstanden wird, der in einem Beziehungsdreieck von Kind, Eltern und pädagogischer Fachkraft stattfindet. Das Ziel der Eingewöhnung besteht darin, dass das Kind sich in Abwesenheit der Eltern oder Hauptbindungspersonen an die Pädagogische Fachkraft wendet, wenn es Trost oder Unterstützung sucht. Das braucht Zeit und Vertrauen auf allen Seiten.

Welche Gedanken gerade zu Beginn des Kennenlernens und der Eingewöhnung in Eltern, Kindern und Pädagogischen Fachkräften vorgehen, haben Laewen, Andres und Hédervári-Heller in ihrem Buch „Ohne Eltern geht es nicht“ eindrucksvoll anhand folgender Fragen veranschaulicht.

Die inneren Fragen

… des Kindes an die*den Mutter/Vater/Hauptbindungsperson

  • Wirst du mich in dieser Fremde allein lassen?
  • Wirst du meine Angst verstehen, weil alles fremd für mich ist?
  • Wirst du so lange bei mir bleiben, bis ich hier vertraut bin?
  • Magst du meine ErzieherIn?

… des Kindes an die Pädagogische Fachkraft

  • Wirst du mir Zeit lassen, dich kennenzulernen?
  • Wirst du mich beschützen und unterstützen?
  • Wirst du mich trösten, wenn ich traurig bin?
  • Wirst du meine Mutter und meinen Vater mögen?

… von Mutter/ Vater/ Hauptbindungsperson an das Kind

  • Wirst du ohne mich zurechtkommen?
  • Wirst du mich vermissen?
  • Wirst du die Pädagogische Fachkraft vielleicht lieber mögen?
  • Wird es dir hier gut gehen?

… von Mutter/ Vater/ Hauptbindungsperson an die Pädagogische Fachkraft

  • Wird sie mein Kind mögen und verstehen?
  • Kann ich von meinen Ängsten sprechen, von meinen Zweifeln, vielleicht auch meinem Misstrauen?
  • Wird sie mein Kind an sich reißen?
  • Wird sie in Konkurrenz zu mir treten?

… von der Pädagogischen Fachkraft an das Kind

  • Wirst du leicht Zugang zu mir finden?
  • Werde ich deine Signale verstehen und herausfinden können, was ganz Besonderes du brauchst?
  • Wirst du mit den anderen Kindern zurechtkommen?
  • Wirst du dich hier gut einfinden?

… von der Pädagogischen Fachkraft an Mutter/ Vater/ Hauptbindungsperson

  • Wird sie/er mich als Begleiter*in ihres/ seines Kindes akzeptieren?
  • Wird sie/er offen oder verschlossen sein für Gespräche mit mir?
  • Empfindet sie/er mich als Konkurrent*in oder Partner*in?
  • Wie bewertet sie/er meine Art zu arbeiten?
Anwendung in der Praxis

Diese Fragen lassen sich vielfältig in Eurer Praxis einsetzen:

  • als Einstieg in eine Teamreflexion, um zu überlegen, was Kinder und Eltern vor und während der Eingewöhnung als Unterstützung von Euch brauchen.
  • als Aushang in der Anfangszeit, um den Eltern zu signalisieren, dass Ihr Euch dieser Fragen bewusst seid und Ihr selbst ganz ähnliche Fragen an die Kinder und Eltern habt.
  • alternativ zum Aushang, könnt Ihr die Fragen auch als Informationsbrief den Eltern im Kennenlerngespräch aushändigen. Oftmals wird dies zum Gesprächseinstieg über die konkreten Sorgen und Bedenken der Eltern.
  • als angeleitete Imaginationsreise zum Einstieg in den ersten Informationselternabend mit den neuen Eltern. Im Anschluss an diese Imaginationsübung könnt Ihr den Eltern kurz Zeit geben darüber ins Gespräch zu kommen.

Indem Ihr diese Fragen öffentlich und transparent macht, ist ein wesentlicher Grundstein für eine gelingende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft gelegt.

Viel Erfolg bei Eurer Reflexion und Umsetzung

Eure Anja

Oder bist Du interessiert an einem Webinar zum Thema „Eingewöhnung in der Peer Group“? Dann melde Dich hier für den 20.06.2020 dazu an:

Buchtipp:

Laewen, H.-J. / Andres, B. / Hédervári-Heller, É.: Ohne Eltern geht es nicht. Die Eingewöhnung von Kindern in Krippen und Tagespflegestellen 6. Auflage 2012

Gelebte Erziehungs- und Bildungspartnerschaft im Ausnahmezustand (2) – Impulse, Ideen und Anregungen

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Auf Spiegel Online entdeckte ich letzte Woche einen Beitrag von Sascha Lobo: „Schützt Euch vor der Corona-Wut“, den Ihr bei Interesse unter folgendem Link nachlesen könnt. https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/corona-schuetzt-euch-vor-der-corona-wut-kolumne-a-2b8e5337-8354-4eca-ab95-7f86a497fd35?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

Der Autor verweist sehr eindrücklich darauf, dass der aktuelle Ausnahmezustand in vielen Menschen eine Wut auslösen kann, der es frühzeitig zu begegnen gilt. Er erläutert sehr nachvollziehbar Zusammenhänge und Hintergründe dieser Wut und den damit verbundenen Gefahren für unsere Gesellschaft. Gleichzeitig bietet er eine Lösung, um dieser Wut, die letztlich auf Angst und Hilflosigkeit basiert, mit einem dem Menschen zur Verfügung stehenden Mittel zu bekämpfen: mit Empathie.

Empathie als Kernkompetenz

Damit bin ich wieder bei Euch und Eurem Arbeitsfeld. Empathie ist eine wesentliche personale Kernkompetenz, die Euch im Umgang mit den Kindern und Familien auszeichnet und ohne die eine Zusammenarbeit nicht möglich ist.

Gespräche bieten Entlastung

Viele Familien sind durch das Kontaktverbot auf sich selbst gestellt. Je nach familiärer Gesamtsituation werden sie dadurch sehr herausgefordert und oftmals überfordert. Das kann durchaus zu Wutausbrüchen von Eltern und Kindern führen. Einige Fachstellen befürchten in diesem Zusammenhang einem Anstieg von häuslicher Gewalt.

Wie entlastend könnte in solchen Momenten ein Gesprächsangebot und/ oder ein Zuhörer von außen sein? Ein solches Gespräch vermittelt das Gefühl, nicht alleine zu sein und verstanden zu werden. Ich glaube, viele von Euch kennen selbst diese Momente, wo ein solches Gespräch entlastet und weitergeholfen hat.

Warum also nicht, einfach mal bei den einzelnen Familien anrufen und nachfragen, wie es ihnen und ihren Kindern in dieser Situation geht und ihnen zuhören. Je nach Situation könnt Ihr dann die Eltern bestätigen, dass sie die gegenwärtige Situation gut meistern oder mit ihnen gemeinsam nach Lösungen und Wegen suchen, um möglichst gut die Zeit zu überstehen. Ihr seid wichtige Ansprechpartner und Berater außerhalb von familiären und anderen privaten Beziehungen. Eure Stärke liegt in Eurer Professionalität und Fachlichkeit, den Eltern beratend zur Seite zu stehen. Dies kann den Eltern andere Sichtweisen und Perspektiven eröffnen, die innerhalb des Familien- und Freundeskreises nicht immer sichtbar sind.

Externe Hilfen anbieten

Ergänzend solltet Ihr Eltern darauf aufmerksam machen, dass viele Erziehungsberatungsstellen weiterhin geöffnet haben und ihre Hilfen anbieten. Vielleicht könnt Ihr auch in Kooperation mit externen Berater*innen ein telefon- oder videobasiertes Beratungsangebot aufbauen, das den Eltern auf Nachfrage zur Verfügung steht. Beispielsweise habe ich als Elternberaterin in Kooperation mit der Städtischen KiTa in Bielefeld letzte Woche ein solches Angebot ins Leben gerufen. Die Abrechnung dieser Beratungsstunden erfolgt über Gelder des Familienzentrums.

Einige Einrichtungen können darüber hinaus auf Kolleg*innen zurück greifen, die eine Weiterbildung zum*zur Elternbegleiter*in gemacht haben. Diese Kolleg*innen hätten aus dieser Rolle heraus die Möglichkeit, den Familien ein besonderes Hilfs- und Beratungsangebot zu unterbreiten.

Bestärkende Ostergrüße

Bald steht Ostern vor der Tür. Ein netter Brief oder eine aufmunternde Postkarte an die Eltern könnte zu einem Lichtblick in diesen Zeiten werden. Durch die vielen Seminare mit Euch und Euren Kolleg*innen weiß ich, dass einige von Euch gerne ein Stück Schokolade als Nervennahrung zu sich nehmen 😉 – vielleicht ist auch das eine versüßende und stärkende Aufmerksamkeit in der Osterzeit?

Für mich sind im Moment alle, die zu Hause bleiben und somit dazu beitragen, dass der Virus sich nicht exorbitant schnell vermehren kann, Alltagshelden im Kleinen, denen mein ganzer Dank, Respekt und meine Wertschätzung gilt. Dieser persönliche Einsatz sollte wahrgenommen und belohnt werden.

Auszeiten ermöglichen

Vielleicht könnt Ihr den Familienalltag durch diverse kleine Anregungen begleiten, um den Eltern kleine Auszeiten zu eröffnen, in denen sie sich nichts überlegen müssen, wie sie ihre Kinder beschäftigen können. Schafft kleine Sternstunden, wo Ihr die Kinder vom passiven Medienkonsum wegholt und zum Mitmachen einladet. Eröffnet den Eltern kleine Zeitfenster für andere Betätigungen. Sicherlich gibt es technisch versierte Kolleg*innen unter Euch, die Lust haben kleine Filme zu drehen mit Finger- und Bewegungsspielen, Bewegungsanregungen, Bilderbuchbetrachtungen, Vorlesen, Handpuppenspiele o.ä., die den Familien dann beispielsweise über Email zugänglich gemacht werden.

Und warum nicht auch mal eine Videokonferenz mit den Eltern und/oder Kindern machen, um miteinander im Kontakt zu bleiben?

Soweit meine Ideen, Impulse und Anregungen. Mit ein wenig Phantasie und Kreativität lässt sich bestimmt noch mehr finden. Was fällt Euch noch ein? Was tut Ihr bereits, um mit den Familien im Kontakt zu bleiben und eine Erziehungs- und Bildungspartnerschaft auch unter Quarantäne und Kontaktverbot zu gestalten? Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und Berichte aus der eigenen Praxis.

Gebt weiterhin gut auf Eure Gesundheit acht.

Eure Anja

P.S. Unter folgendem Link https://youtu.be/U3w7rz72k4k findet Ihr ein sehr schönes YouTube Video mit einem Lied über den „Quarantäne Roboter“. Lied, Idee und Umsetzung stammen von einem Schauspielkollegen meiner Tochter und seinem Sohn. Wie man sieht lädt hier die Quarantäne zur Kreativität ein. 😉