Die Bedeutung der Peer Group bei der Wieder- Eingewöhnung

Im Rahmen einer Supervision kam bei einigen Pädagogischen Fachkräften die Frage auf, wie es wohl werden wird, wenn der Lockdown nach so vielen Wochen wieder endet und die Kinder, die über einen so langen Zeitraum zu Hause betreut wurden, wieder in die Kindertagesbetreuung zurückkehren. Bei einigen war die Eingewöhnung gerade erst abgeschlossen und die Frage wird auch seitens der Eltern laut, ob eine neue Eingewöhnung nötig werden könnte.

Bereits im vergangenen Jahr standen diese Sorgen im Raum und da waren es in vielen Einrichtungen noch mehr Kinder, die zu Hause betreut worden sind. In dieser Zeit habe ich meinen ersten Blogbeitrag zur (Wieder-) Eingewöhnung der Kinder veröffentlicht. Im Nachhinein betrachtet, haben die Kinder im letzten Jahr die Rückkehr in ihre Gruppen sehr gut bewältigt und viele Befürchtungen sind gar nicht erst eingetroffen. Die meisten Kinder haben sich einfach nur gefreut, wieder in Krippe, Kita und Kindertagespflege zurückkehren zu können. Sie haben freudig ihre Freunde und Freundinnen in den Arm genommen und ihre Spieltätigkeit wieder aufgenommen. Es bleibt zu hoffen, dass dies auch dieses Mal so ähnlich sein wird und mittlerweile vertrau ich auch darauf, dass es so kommen kann.

Meine Zuversicht begründet sich aus den Erkenntnissen der Peer Group Forschung von Carolin Howes. Bereits in meinem Beitrag „Eingewöhnung in der Peer Group“ habe ich auf diese Forschungen zu den Peer Group Beziehungen bei Kindern von 0-3 Jahren hingewiesen. Dort wurde herausgefunden, dass Kinder bereits gegen Ende ihres ersten Lebensjahres mit anderen Gleichaltrigen sozial interagieren. Sie können ab diesem Alter gemeinsam emotionale Themen im gemeinsamen Spiel bearbeiten. So hat Howes auch herausgefunden, dass die Trennung von den Eltern den Kindern leichter fällt, wenn sie diese mit anderen Kindern bewältigen, die in der gleichen Situation sind.

Die Bedeutung der Peers

Im Allgemeinen versteht man nach Corsaro (1985) und von Salsch (2000) unter einer Peer Group mehrere Kinder (auch Jugendliche und Erwachsene),

  • die ungefähr gleichaltrig sind bzw. auf einem ähnlichen kognitiven, emotionalen und soziomoralischen Entwicklungsstand stehen
  • die gleiche Entwicklungsaufgaben und normative Lebensereignisse zu bewältigen haben
  • die untereinander bezüglich ihrer Macht und ihres sozialen Status gleichberechtigt und ebenbürtig sind.

Die Peer-Group bietet Kindern in Krippe, Kita und Kindertagespflege:

  • einen Orte des sozialen Lernens
    • durch das Gefüge sozialer Interessensgruppen
    • indem sie auf ihre Art untereinander Bedürfnisse kommunizieren, was in dieser Form mit Erwachsenen nicht möglich ist
    • indem sie an der Alltagswirklichkeit Anderer teilhaben
  • einen Schutzraum im Umgang mit Gefühlen
    • wo sie Regeln und Umgangsformen erproben können
    • in dem sozialer Austausch stattfindet
    • wo sie Dialoge führen, Kompromisse finden und Konflikte austragen können
  • Möglichkeiten zum Lernen durch Nachahmung
    • aufgrund ständiger Interaktion und Ko-Konstruktion im Miteinander
    • durch Socializing/ Geselligkeit (Ahnert 2011) auf Augenhöhe.

Bedeutung für den Wieder – Einstieg

Diese Erkenntnisse rund um den Stellenwert und die Bedeutsamkeit der PeerGroup hat einen stabilisierenden Faktor für die Rückkehr der Kinder in die Kindertagesbetreuung. Sie treffen auf die Freunde und Freundinnen, die schmerzlich vermisst wurden und sie sind nicht alleine mit der Situation der Trennung, sondern es gibt noch andere Kinder, denen es genauso geht. So kann beispielsweise ein Kind, dass sich mit der Trennung schwerer tut, sich das Verhalten und die emotionale Ebene bei einem anderen Kind, dem es weniger schwer fällt abgucken. Dies gibt den Kindern ein Stück Halt und Sicherheit.

Vorbeugend bestünde die Möglichkeit, die Kindern in Anlehnung an die Eingewöhnung in der PeerGroup, die Möglichkeit zu geben, z.B. mit ca 3 Kindern in Begleitung der Eltern die ersten 2-3 Tage die Krippe, Kita oder Kindertagespflege für 1-2 Stunden zu besuchen, um einen sanften und kindorientierten Übergang zu ermöglichen. In dieser Spielgruppenähnlichen Situation kannst Du dann beobachten, welche Kinder den Übergang erneut gut meistern und welches Kind vielleicht auch eine intensivere Begleitung durch die Eltern bedarf. Wichtig ist, dass in Rücksprache mit den Trägern für diese Wieder-Eingewöhnung das Betretungsverbot für die Eltern (unter Einhaltung der AHAL-Regeln) vorübergehend aufgehoben wird.

Ergänzende Informationen

Mehr über die Eingewöhnung in der PeerGroup findest Du:

Weitere stabilisierende Faktoren

Weitere stabilisierende Faktor bei der Wieder- Eingewöhnung bieten zum einen auch Geschwisterbeziehungen, wenn Geschwister in dergleichen Gruppe betreut oder im Rahmen einer offenen Arbeit (aktuell eher nur eingeschränkt möglich) viele Berührungspunkte haben. Zum anderen bist Du als pädagogische Fachkraft den Kindern bekannt und vertraut und somit ein wichtiger sicherer Hafen. Wenn Du darüber hinaus auch in den letzten Wochen auf unterschiedlichsten Wegen den Kontakt zu den Kindern gehalten hast, ist auch hier die Beziehung nicht komplett abgebrochen.

Unterstützend kann zudem die Trosttankstelle sein, eine Anregung von Gundula Göbel, bei Dir die Eltern dazu angeregt werden, ihre Kinder morgens vor der Verabschiedung nochmal ganz kräftig mit viel körperlicher Nähe und stärkenden Worten „aufzutanken“, damit sie gestärkt den Übergang von Familie zu Krippe, Kita und Kindertagespflege bewältigen können.

Sobald deutlich wird, wann alle Kinder wieder in den Regelbetrieb zurückkehren, kannst Du mit den Kindern, die bereits in der Gruppe sind, gemeinsam überlegen, was ihr tun könnt, um den anderen den Wiedereinstieg zu erleichtern. Ich bin überzeugt davon, dass die älteren Kinder bestimmt tolle Ideen haben. Gleichzeitig bereitest Du diese Kinder darauf vor, dass auch auf sie wieder eine Veränderung zu kommt.

Um Dich gut auf die Rückkehr der Kinder vorzubereiten, hat Lea Wedewardt meines Erachtens bereits im vergangenen Jahr sehr hilfreiche Fragen formuliert, die auch dieses Mal alle Beteiligten und deren Bedürfnisse in den Fokus rücken, um die Rückkehr der Kinder möglichst bedürfnisorientiert zu gestalten.

Ich wünsche Dir, den Kindern und den Eltern eine baldige Rückkehr in eine „Normalität“. Es wird Zeit, dass die Kinder wieder mit Kindern zusammenkommen und von und miteinander lernen können.

Bis dies wieder soweit ist, wünsche ich Dir, dass Du gesund bleibst

Deine Anja

 

P.S. Die Zusammenarbeit mit den Eltern nimmt auch beim Wieder-Einstieg der Kinder eine zentrale Rolle ein. Hierzu habe ich in den letzten Monaten zwei KitaTalks mit

veröffentlicht.

Mein letzter Blogbeitrag „Bildungs-und Erziehungspartnerschaft auf dem Prüfstand“ beschreibt das Dilemma, in dem Du Dich in dieser Zusammenarbeit befindest, da es gerade keine verbindlichen Regeln für die Betreuung der Kinder gibt und Appelle häufig wenig zielführend sind.

Übergänge gestalten – (Wieder-) Ankommen in der Kita

Aus der Transitionsforschung ist bekannt, wie wichtig gut gestaltete Übergänge für einen Menschen sind. Gerade die Übergänge in den ersten Lebensjahren sind sehr prägend für die weitere Entwicklung. Für viele Eurer Kinder war der Eintritt in Eure Kita die erste Übergangserfahrung. Die meisten dieser Kinder waren vor der Schließung der Kitas gut bei euch angekommen und haben sich wohlgefühlt. Mit der Schließung wurden sie von heute auf morgen aus dem vertrauten Kita-Alltag herausgerissen. Nun zeichnet sich nach gut 8 Wochen ab, dass die Einrichtungen schrittweise wieder geöffnet werden sollen. Dabei bleiben vorerst noch viele Fragen offen, wie die einzelnen Empfehlungen zu Abstandsregelungen, Gruppengrößen, Binnendifferenzierung und Infektionsschutz in die Praxis integrierbar sind. Für viele von Euch bedeutet das, sich von liebgewonnen und oftmals zäh umkämpften pädagogischen Grundsätzen vorerst zu verabschieden. Im Vordergrund steht jetzt erst einmal die Herausforderung, diesen Übergang trotz aller Vorgaben möglichst kindgerecht zu gestalten.

Erste Vorbereitungen

Für einige Kinder wird die Rückkehr in die Kita wie eine neue Eingewöhnung sein. Hinzu kommt, dass durch die veränderten Rahmenbedingungen der ganze Tagesablauf vom Bringen bis zum Abholen den Kindern unbekannt ist. Ihr werdet daher gemeinsam mit den Kindern und Eltern neue Rituale entwickeln müssen.

Deswegen ist es empfehlenswert, wenn Ihr vor dem 1. Tag der Rückkehr der Kinder Kontakt zu den Eltern aufnehmt und mit Ihnen ein Informationsgespräch per Telefon führt. Ähnlich wie beim ersten Aufnahmegespräch geht es hierbei darum, die Eltern über den Tagesablauf bzgl. Infektionsschutzmaßnahmen, Abstandsregelungen, veränderte Bring- und Abholsituationen zu informieren. Hilfreich wäre die Erstellung eines schriftlichen Leitfadens, der den Eltern zusätzlich Orientierung gibt. Mit Hilfe dieses Leitfadens können die Eltern ihre Kinder auf die Veränderungen vorbereiten. Ergänzend könnt Ihr einen Brief mit einem Foto von dem Raum und Euch an die Kinder schicken.

Es ist viel passiert

Für Euch wird es spannend, wie sich die Kinder in den letzten Wochen entwickelt haben. Bei einigen wird es Fortschritte und Weiterentwicklungen geben, in 8 Wochen und mehr passiert eine ganze Menge. Andere haben möglicherweise auch Rückschritte gemacht.

Auf jeden Fall werden die Kinder ganz unterschiedlich bei Ihrer Rückkehr in die Kita reagieren:

  • da gibt es Kinder, die sich freuen, endlich wieder mit anderen Kindern spielen zu können und Anregungen außerhalb der Familie zu bekommen
  • andere werden sich nur ungerne von den Eltern lösen und trennen nach dieser langen Zeit der ungeteilten Aufmerksamkeit
  • einige Kinder werden verängstigt und verunsichert zurückkehren
  • etc.
Fragen an die Eltern

Um die Kinder da abzuholen, wo sie jetzt stehen, bietet es sich an, einen neuen Anamnesebogen zu entwickeln. In diesem Fragebogen könnt Ihr bei den Eltern folgende Informationen erfragen:

  • Wie haben Sie und Ihr Kind die letzten Wochen erlebt?
  • Wie haben Sie und Ihr Kind die Zeit miteinander verbracht?
  • Weiß Ihr Kind, warum es nicht in die Kita kommen konnte?
  • Haben Sie mit Ihrem Kind über Corona gesprochen? Was weiß Ihr Kind darüber?
  • Äußert oder zeigt Ihr Kind Ängste, die mit Corona in Verbindung stehen?
  • Haben Sie an Ihrem Kind Verhaltensveränderungen beobachtet, die für uns wichtig sein könnten?
  • Welche Entwicklungsschritte hat Ihr Kind in den letzten Wochen gemacht? Was hat es dazu gelernt?
  • Freut sich Ihr Kind drauf, wieder in die Kita zu kommen?
  • Worauf freut sich Ihr Kind am meisten?
  • Wie, vermuten Sie, wird sich Ihr Kind bei der Trennung verhalten?
  • Welche neuen Rituale können wir gemeinsam finden, um die Verabschiedung in der veränderten Bringsituation zu gestalten?
  • Welches Übergangsobjekt kann dieses Ritual unterstützen?
  • etc.

Mit Hilfe dieser Fragen werdet Ihr einen guten Übergang für das Kind gestalten können. Bei allen Vorgaben und Empfehlungen sollte auf jeden Fall die Befindlichkeit des Kindes Vorrang haben. Entwickelt von vornherein einen Plan B, falls ein Kind sich nicht an der Tür von den Eltern verabschieden kann. Das Betretungsverbot für Eltern lässt Ausnahmen in Notfällen zu. Macht Gebrauch davon, um die Kinder nicht unnötig mehr zu belasten und zu verunsichern.

Und dann erst einmal Ankommen

Schaut, was den Kindern gut tut und Sicherheit gibt. Lasst die Kinder möglichst viel spielen, ermöglicht Ihnen viel Berwegung an der frischen Luft und schafft überschaubare Tagesstrukturen. Seid aufmerksam für die Sorgen und Ängste einzelner Kinder und beantwortet aufkommende Fragen nach Bedarf.

Nehmt Euch in den nächsten Wochen Zeit für das gemeinsame Ankommen. Ich wünsche Euch einen guten Start in eine neue Normalität.

Eure Anja

P.S.

Links mit Stellungnahmen zur Öffnung der Kitas

https://www.fruehe-bildung.online/perspektiven/news/vier-stufen-plan-fuer-wiedereroeffnung-der-kitas

https://www.nifbe.de/images/nifbe/Aktuelles_Global/AGJ-Stellungnahme_Offnung_Kita_.pdf
Stellungnahme der AGJ
Ankündigung:

Am 14.05.2020 gibt es einen weiteren Zoom Erfahrungsaustausch für Leitungskräfte. Dort wollen wir den Wiederbeginn mit Kindern, Eltern und Team reflektieren und gemeinsam weitere Ideen entwickeln.

Am 20.05.2020 findet dieser Erfahrungsaustausch wieder für pädagogische Fachkräfte statt.

Ab sofort könnt Ihr Euch über das Kontaktformular oder durch eine Email an: anjacantzler@t-online.de dazu anmelden.