Vor ein paar Tagen las ich auf Facebook folgende Situationsbeschreibung: „Ich war im letzten Monat sehr stark erkrankt. Da die Symptome wie bei Covid waren, habe ich mich an meinen Hausarzt gewendet und mein Kind und ich wurden getestet. Anschließend musste ich mit meiner kompletten Familie in Qurantäne. Wir durften nicht raus und warteten auf das Ergebnis. Nach 3 Tagen war das immer noch nicht da. Mein Team wurde zunehmend hibbelig, die Ferien standen vor der Tür. Das war auch der Grund, warum mein Ergebnis so lange auf sich warten ließ. Die Labore waren hoffnungslos überlastet, dass erfuhr ich aber erst später. Ich wartete ganze 6 Tage. Jeden Tag kam ein Anruf der Leitung, ich solle Druck machen, Labore anrufen, nachfragen… geht übrigens gar nicht, könnte ja jeder sein, der da nachfragt. Dann kam am Tag 8 das Ergebnis, was glücklicherweise negativ ausfiel. Meine Krankheitssymptome waren aber weiterhin stark vorhanden, warum ich eine weitere Woche vom Arzt krank geschrieben wurde. Als ich dann in die Arbeit nach 2 Wochen in die Arbeit zurückkam, traf ich auf eine unerwartete Ablehnung im Team. Meine Gruppenkollegin sprach kein Wort mit mir und andere Teamkolleg*innen mieden mich. Über die Leitung erfuhr ich dann, dass mir keiner glaubte, dass ich das Testergebnis nicht nach 36 Std bekommen konnte. Mir wurde unterstellt, das Ganze verzögert zu haben. Bis heute begegnet mir das Team mit Ablehnung und Ausgrenzung. Ich fühle mich nicht mehr angenommen. Für mich ist das schwer nachvollziehbar, weil wir uns vorher gut im Team verstanden und gut zusammen gearbeitet haben.“

Schwierigkeiten potenzieren sich

Ich befürchte, dass diese Schilderung in der Praxis zur Zeit kein Einzelfall ist. Durch die Herausforderungen der letzten Monate arbeiten viele Pädägogische Fachkräfte am Limit ihrer Möglichkeiten und Kräfte. Zur Zeit kommen der ganz „normale“ Fachkräftemangel, zusätzliche Ausfälle von Kolleg*innen aufgrund von Risikoerkrankungen, präventives Fehlen der Mitarbeiter*innen bei Erkältungssymptomen, höhere Arbeitsbelastung aufgrund zusätzlicher Hygienevorschriften, verändertes konzeptionelles Arbeiten etc. erschwerend zusammen.

Und noch etwas kommt erschwerend dazu: anders als sonst ist von dieser Pandemie jede*r von uns betroffen – beruflich und privat.

In einer solchen Belastungs- und Krisensituation kann es nun zu zwei völlig entgegen gesetzten Phänomenen in einem Team kommen. Entweder solidarisieren sich die einzelnen Teammitglieder stärker und rücken näher zusammen. Dann herrscht eine empathische, unterstützende und stärkende Gemeinschaft. Oder jede*r versucht ersteinmal gut für sich selbst und seine eigene Familie zu sorgen. Es stehen die eigenen Wünsche und Bedürfnisse im Vordergrund. Daraus kann sich dann ein Gegeneinander entwickeln und jedes Tun und Handeln des Anderen wird kritisch beäugt und abgeurteilt.

Hinzu kommt, dass diese Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen und Herausforderungen nun schon über Monate hinweg andauern. Durch die Länge des Ausnahmezustandes schwinden bei einzelnen von uns die Kapazitäten und Ressourcen, zusätzliche Belastungen mit zu tragen und aufzufangen.

Zurück zur Ausgangssituation

Was aber ist in dem Eingangs benannten Beispiel passiert? Eine Kollegin erkrankt an Covidähnlichen Symptomen und unterzieht sich einem Test, dessen Ergebnis auf sich warten lässt. Am Ende wird ihr unterstellt, das Ergebnis nicht beschleunigt zu haben. Bei ihrer Rückkehr wird sie ausgegrenzt und sie fühlt sich falschen Unterstellungen ausgesetzt.

Wenn ich mich in die betroffene Kollegin hineinversetze und überlege, welche Botschaften bei ihr ankommen und welche Gefühle in ihr ausgelöst werden, könnte das wie folgt aussehen:

  • die Anderen glauben und vertrauen mir nicht
  • mir wird signalisiert, dass ich kein gutes Teammitglied bin
  • mir wird unterstellt, dass ich mich nicht genug eingesetzt habe
  • ich fühle mich ungerecht behandelt
  • ich bin traurig und enttäuscht
  • ich bin verunsichert, dass die vorherige gute Zusammenarbeit nicht mehr zählt

Wenn ich mit einem Perspektivwechsel aus Sicht der Teamkolleg*innen der Kolleg*Innen, die Situation betrachte, kommen mir folgende Gedanken:

  • ich bin wütend, dass das solange dauert
  • ich möchte in Urlaub fahren, was vielleicht dann nicht mehr geht
  • mich überfordert die Ungewissheit
  • ich bin hilflos, weil ich selbst nicht aktiv werden kann
  • ich möchte das Ganze beschleunigen
  • ich brauche ein Ventil für meine Wut und Unzufriedenheit

Diese ganzen Gefühle werden nun auf die Kolleg*in übertragen, die sie in diese Situation gebracht hat. Sie ist damit Auslöser für diese ganzen Unannehmlichkeiten und gegen eine Person kann ich wirksamer agieren als gegen diese unfassbare Pandemie. Das hat sich in der oben beschriebenen Situation so potenziert, dass auch mit Rückkehr der erkrankten Kolleg*in kein aufeinander Zugehen möglich ist.

Lösungsweg aus dem Dilemma

Wie lässt sich eine solche Situation am Besten wieder auflösen? – Zunächst einmal sollte die betroffene Kolleg*in ein Gespräch mit der Leitung und der Gruppenkolleg*in suchen. Mit Hilfe der Gewaltfreien Kommunikation kann dann gemeinsam nach einer Lösung gesucht werden.

Ein solches Gespräch könnte wie folgt aufgebaut werden:

1.Schritt: Wertfreie Beobachtung

Was ist tatsächlich passiert? – Beschreibe die Situation möglichst wertfrei aus Deiner Sicht.

In unserer Ausgangssituation stellt sich die Sachlage in etwa wie folgt dar: Die Kollegin lässt sich auf Covid testen und das Testergebnis kommt nach 8 Tage. Die Teamkolleg*innen warten auf das Ergebnis. Nachdem die betroffene Kollegin nach 14 Tagen wieder ins Team kommt, wird nicht mehr mit ihr gesprochen.

2. Schritt: Wahrnehmung von Gefühlen:

Welche Gefühle sind hier mit im Spiel? – Frag Dich, welche Gefühle die Situation bei dir auslöst. Das ist ein wichtiger Schritt, weil wir unsere Gefühle gerne beiseiteschieben und schnell ein Urteil zur Hand haben. Gleichzeitig kannst Dich auch Deinem Gegenüber öffnen und seine Gefühle wahrnehmen. Ein „echtes“ Gefühl erkennen Du daran, dass Du sagen kannst „Ich bin…“

Die betroffene Kollegin kann sagen: Ich bin traurig und enttäuscht, dass Ihr nicht mehr mit mir sprecht, seitdem ich wieder zurückgekommen bin. Ich verstehe, dass meine Kollegin in der Situation hilflos und wütend, weil sie sich der Situation ausgeliefert fühlte.

3. Schritt: Bedürfnisse erkennen

Was braucht die Kollegin, die nun ausgegrenzt wird? Welches Bedürfnis wurde nicht gestillt? – Hinter jedem Gefühl von uns steckt ein Bedürfnis. Wichtig für die Klärung und Lösungsfindung ist es, diese Bedürfnisse zu erkennen und zu benennen.

In unserem Fall geht es auf jeden Fall auch um das Bedürfnis der Zugehörigkeit. So sollte die betroffene Mitarbeiterin in diesem Fall formulieren: „Ich möchte wieder Dazugehören.

4. Schritt: Bitten zur Bedürfnis-Erfüllung formulieren

Die vorangegangenen Schritte helfen Dir, zu erkennen, was Dich in den einzelnen Situationen belastet. Das hilft Dir, Dich und Dein Gegenüber besser zu verstehen. Anstatt Dich in Urteilen zu verlieren oder Dich im Stillen zu ärgern, hilft Dir die Gewaltfreie Kommunikation in die Handlung zu kommen und aktiv zu werden. Im Gespräch äußerst Du Deine Bitte.

In meinem Beispiel könnte die Kolleg*in sagen: „Ich merke, dass es mich unsicher und traurig macht, dass Du nicht mehr mit mir sprichst, seitdem das Ergebnis meines Covid Tests ohne mein Verschulden so lange hat auf sich warten lassen. Ich möchte wieder so mit Dir zusammenarbeiten wie wir das zuvor getan haben. Siehst Du eine Möglichkeit das Ganze zu vergessen und mit mir einen Neubeginn zu machen?“

Love it, change it or leave it

In manchen Fällen ist die Situation jedoch so verfahren, dass dann nur noch Supervision oder Mediation weiterhelfen können. Dann solltest Du auf jeden Fall die Leitung mit ins Boot holen. Steckst Du selbst als Leitung in einem ähnlichen Konflikt, ist es auf jeden Fall sinnvoll, Dir Unterstützung von außen zu holen, wenn sich die Situation nicht durch ein Gespräch klären lässt.

Nach dem Prinzip „change it or leave it“, solltest Du gut für Dich abwägen, was für Dich zu tun ist. Wenn etwas auch mit der entsprechenden Hilfe von außen nicht veränderbar ist, dann gilt es die entsprechende Konsequenz daraus zu ziehen.

Ich wünsche Dir und Deinem Team einen achtsamen Umgang miteinander, so dass es zu solchen Situationen und Konsequenzen gar nicht erst kommen muss.

Deine Anja