„Es ist nicht wichtig, Kinder zu beschäftigen, sondern sich damit zu beschäftigen, was Kinder wohl beschäftigt.“

Dieses Zitat stammt von Janusz Korcak, einem polnischen Kinderartzt, der sich zeit seines Lebens der Pädagogik widmete. Er leitete in Warschau ein Waisenhaus, schrieb Kinderbücher und verfasste viele Schriften über Kinder und Kindheit, die bis heute hochaktuell sind. Im August 1942 begleitete er 200 ihm anvertraute Kinder im Konzentrationslager Treblinka in den Tod.

Ich begegnete Janusz Korczak und seiner Pädagogik erstmalig als meine Tochter in die weiterführende Schule wechselte – die Janusz Korczak Gesamtschule. Gemeinsam mit meiner Tochter begab ich mich auf eine spannende Entdeckungsreise zu dem Leben und Denken des Namensgebers dieser Schule. Seit 12 Jahren beschäftige ich mich nun schon mit Janusz Korczak und für mich ist er einer der größten Pädagogen. Die moderne Pädagogik findet in seinen Schriften viele ihrer Ursprünge und Wurzeln. Seine Gedanken und Aussagen sind mehr als bemerkenswert (!des Merkens wert!) – auch mit Blick auf dem geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund, vor denen sie entstanden sind.

Dieser Blogbeitrag ist zum einen eine Hommage an einen großartigen Menschen und Kinderversteher und zum anderen bin ich der Überzeugung, dass wir gerade jetzt sein Gedankengut sehr gut brauchen können, um Kinder achtsam durch diese Pandemie zu begleiten.

Sein Bild vom Kind

Für Janusz Korczak war das Kind von Anfang an ein vollwertiger Mensch mit eigenen Bedürfnissen, Interessen und Fähigkeiten. Demzufolge bedurfte es aus seiner Sicht keiner Erziehung, um das Kind zum Menschen zu machen. Er hinterfragte bereits den Adultismus als Machtinstrument in der Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind  und formulierte in der Magna Charta Libertatis folgende Grundrechte für das Kind: (vgl. Janusz Korczak, Wie mann ein Kind lieben soll, Vandenhoeck & Ruprecht, 2018)

  1. das Recht des Kindes auf seinen Tod
  2. das Recht des Kindes auf den heutigen Tag
  3. das Recht des Kindes, das zu sein, was es ist (s.S.31)

Diese Grundrechte erweiterte er 1929 um das Recht des Kindes auf Achtung!

Jedes Kind ist einzigartig und deswegen begegnete Korczak jedem Individuum mit einer Haltung des „Nichtwissens“. Beobachten, Beschreiben, ins Gespräch kommen und im Austausch bleiben eröffneten ihm den Blick für das Individuum. Janusz Korczak entwickelte keine allgemeingültigen Rezepte, sondern begenet den Kindern mit einer offenen und fragenden Haltung.

Seine Schlüsselthemen

Korczak nahm die Anliegen der Kinder genauso ernst wie die der Erwachsenen und entwickelte seine Schlüsselthemen für den Alltag mit den Kindern. Dabei beobachtet er das Kind und seine Entwicklungsschritte in den verschiedenen Lebenswelten. Er fordert uns als pädagogische Fachkräfte bis heute dazu auf, strukturelle und konzeptionelle Schwachstellen wahrzunehmen und aktiv zu verändern.

So trat er bereits für eine gewaltfreie Erziehung ein. Er betonte, dass die Gewaltausübung durch den Erwachsenen in jedweder Form einem Kind schadet und es dadurch keineswegs, wie häufig angenommen, gestärkt wird. Weiterhin war es ihm wichtig ,den Kindern zuzuhören und ihnen damit „echtes“ Interesse entgegenzubringen. Dazu gehört auch den Kindern zu glauben, wenn sie sich mitteilen. Er betonte, dass Kinder „nicht weniger, nicht ärmlicher, nicht schlimmer als Erwachsene“ denken, sondern „nur anders“. Er möchte, dass Kinder ernst genommen und gewertschätzt werden und erkennt damit die Lebensphase der Kindheit als gleichwertig zu der der Erwachsenenphase an. Zur gelingenden Beziehung gehörte für ihn maßgeblich das Vertrauen des Kind in den Erwachsenen und seine Umgebung verbunden mit dem Gefühl sicher zu sein. Für diese Sicherheit und Geborgenheit übernimmt der Erwachsene die Verantwortung.

Zur Aktualität seiner Pädagogik

Im Sinne der Pädagogik von Janusz Korczak solltest Du gerade jetzt wieder ganz genau hinschauen. Wer ist dieses Kind, das da gerade vor Dir steht? Was hat es erlebt? Wie drückt es sein Erleben aus? Was braucht es gerade, um sich sicher zu fühlen? Hör dem Kind zu und bring ihm „echtes“ Interesse entgegen. Stell Fragen und verzichte auf Interpretationen. Glaub dem Kind, wenn sie sich Dir mitteilt. Versuche sein Denken, Fühlen und Handeln zu verstehen. Frag, was es von Dir jetzt braucht. Nimm das Kind ernst und signalisiere ihm, dass Du es wertschätzt.

Vergiss nicht! Jetzt findet die Kindheit dieser Kinder statt – egal ob mit oder ohne Pandemie! Sie haben nur diese eine Kindheit. Sie brauchen jetzt aufmerksame Erwachsene, die sie in all ihren Facetten ernst nehmen und für sie da sind. Du hast die Verantwortung dafür, dass das Kind sich bei Dir wohl und geborgen fühlen kann- ganz unabhängig davon, was es gerade erlebt hat, was es mitbringt und wie es sein Erlebtes mit Dir teilt. Finde heraus, was das Kind gerade beschäftigt. Sei für das Kind da, wenn es Fragen, Sorgen und Ängste hat – leistungs- und urteilsfrei.

Deine Anja

 

Eine kleine Materialsammlung

Um herauszufinden, womit sich Kinder aufgrund der pandemischen Situation beschäftigen, habe ich habe in den letzten Wochen ergänzend einige KitaTalks und Blogbeiträge zusammengestellt. Diese verschiedenen Beiträge wollen Dich in Deiner wertvollen Arbeit mit den Kindern unterstützen. Hier eine kleine Übersicht. (Durch Klicken auf die rote Schrift, kommst Du direkt zu den einzelnen Beiträgen)

Studien haben ergeben, dass jedes 3. Kind unter psychischen Belastungen seit dem 2. Lockdown leidet. Die verletztlichen Kinderseelen gilt es daher sehr achtsam zu begleiten. Mit Gundula Göbel spreche ich darüber, wie wichtig für die Kinder es gerade ist, in ihren Ängsten achtsam begleitet zu werden, dazu gehört viel Nähe und Trost. Anja Klostermann sensibilisiert in einem weiteren KitaTalk für das Seelenbauchweh, für das einige Kinder jetzt aufmerksame und zugewandte Erwachsene brauchen.

Ergänzend dazu hat Mareike Paic einen wundervollen Gastbeitrag geschrieben, in dem sie Phil, den Sorgenschmelzer und seine Kummerkumpel vorstellt. Fea Finger beschäftigt sich in ihrem Gastbeitrag mit den Starken Fachkräften für starke Kinder und beleuchtet die Bedeutung der Resilienzförderung in diesen Zeiten.

Mark Kitzig gibt die Bühne frei! für das Erfühlen und Ausprobieren von Gefühlen. Dirk Fiebelkorn eröffnet Handlungsräume für den Umgang mit medialisierten Spielverhalten von Kindern mit dem Tiel: „Wenn Kinder Chucky, die Mörderpuppe spielen“..

Kinderärzte schlagen Alarm. Durch den Lockdown leiden vermehrt Kinder unter Beewegungsmangel und es treten vermehrt Sprachentwicklungsverzögerungen auf. Dazu gibt es zwei KitaTalks, die zur vermehrten Anregung von Bewegung und Sprache einladen: Sprachbildung trotz(t) Corona mit Mareike Paic und Let´s move! Bewegung, die Spaß macht mit Britta Bartoldus.

Wenn Du weitere Rückfragen oder Themenwünsche hast, kannst Du mir dies gerne hier in den Kommentaren mitteilen. Ich bin über Anregungen jederzeit sehr dankbar.