Die Zeitkapsel – Botschaft an die Zukunft

Wir erleben gerade eine historische Zeit, an die wir und die Kinder uns in besonderer Form erinnern werden. Einige ältere Kinder erleben diese Zeit sehr bewusst. Andere, meist jüngere Kinder, können das Erlebte aufgrund ihrer Entwicklung noch nicht versprachlichen. Sie speichern daher die Ereignisse in ihrem Körper- und Gefühlsgedächtnis. Um mit Kindern das aktuell Erlebte zu bearbeiten, möchte ich heute ergänzend zu dem im letzten Beitrag benannten Portfolio die Zeitkapsel als weitere Methode vorstellen. Durch das gemeinsame Gestalten einer Zeitkapsel mit den Kindern erfahrt Ihr, wie Eure Kinder aktuell die Situation wahrnehmen, was ihnen wichtig ist und welche Themen sie gerade beschäftigen. Das gemeinsame Tun bietet einen Gesprächsanlass über die Gefühlswelt der Kinder. Sie merken, dass sie nicht alleine mit ihrem Erleben und ihren Gefühlen sind. Das eröffnet Raum zum gemeinsamen traurig, ängstlich und wütend Sein und es tut auch gut, immer wieder gemeinsam zu lachen. Das alles zusammen kann für viele Kinder eine befreiende und angstlösende Wirkung haben.

Was ist eine Zeitkapsel?

Eine Zeitkapsel ist ein Behälter gefüllt mit verschiedenen zeittypischen Dinge. Dieses Behältnis wird verschlossen und für einen vereinbarten Zeitraum aufbewahrt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder sie wieder geöffnet. Manchmal wird eine Zeitkapsel auch für spätere Generationen vergraben, um den Findern in der Zukunft über das gegenwärtige Leben zu berichten.

Wann wird eine Zeitkapsel erstellt und gestaltet?

Zeitkapseln werden zu unterschiedlichsten Anlässen zusammengestellt.:

  • bei persönlichen Anlässen
    • Geburt
    • Hochzeit
    • Schuleintritt
    • kurz vor dem nahenden Tod
  • bei historischen Anlässen
    • Naturkatastrophen
    • Jahrtausendwechsel
    • Pandemien
Ab welcher Altersstufen ist diese Methode einsetzbar?

Da die Kinder von ihrer kognitiven Entwicklung ausgehend, eine Vorstellung von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit haben sollten, eignet sich die Methode für Kinder im Alter ab ca. 4 Jahren.

Welche Behälter sind geeignet?

Das ist davon abhängig, wo und wie lange die Zeitkapsel gelagert werden soll. In der Regel reicht ein Karton oder eine Metalldose, die für die vereinbarte Zeit in einem Regal oder an einem trockenen Ort gelagert wird. Soll die Zeitkapsel irgendwo vergraben werden, ist es wichtig, dass das Behältnis möglichst wasserdicht und rostfrei ist.

Was gehört in eine Zeitkapsel?

Alles, was den Kindern für diese Zeit wichtig und typisch ist: selbstgemalte Bilder, Fotos, Briefe, Smileys, Gefühlskarten, Gegenstände wie Mundschutz, Abspeerband, Toilettenpapier, Nudeln etc. Euren Kindern wird bestimmt ganz viel dazu einfallen.

Wann sollte eine Zeitkapsel wieder geöffnet werden?

Den Zeitpunkt, wann die Zeitkapsel wieder geöffnet werden soll, solltet Ihr gemeinsam mit den Kindern festlegen. Das kann einen Zeitraum von 3 Monaten über 1 Jahr bis hin zu mehreren Jahren umfassen.

Welche Variationsmöglichkeiten gibt es?

Ihr könnt, z.B.

  • mit allen angehenden Schulkindern gemeinsam eine Zeitkapsel verpacken und Euch im kommenden Jahr dazu verabreden, sie gemeinsam wieder zu öffnen.
  • mit jedem einzelnen Kind eine persönliche Zeitkapsel zusammenstellen, die bei Euch gelagert wird und die dem Kind in 3 Monaten oder einem Jahr zugestellt wird.
  • mit den älteren Kindern eine Zeitkapsel für die jüngeren Kinder packen, die Jüngeren dann öffnen können, wenn sie selbst zur Schule kommen.

Ich bin überzeugt davon, dass Ihr gemeinsam mit den Kindern viele kreative Ideen entwickeln werdet. Damit ich ein bisschen daran teilhaben kann, bitte ich Euch, mir Fotos von euren Zeitkapseln zu schicken. Schreibt mir begleitend ein paar Zeilen zu Eurer Gruppe, Eurer aktuellen Situation und Eurem Zeitkapselprojekt. Alle Fotos*, die bis zum 30.06.2020 über anjacantzler@t-online.de bei mir eingehen, werde ich im Juli hier in meinem Blog veröffentlichen.

Ich freue mich auf Eure Fotos und Geschichten

Eure Anja

*Bitte achtet aus Datenschutzgründen darauf, dass keine Kinder auf den Fotos abgebildet sind.

Was hat das Portfolio mit Biografiearbeit zu tun?

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit den Chancen und Grenzen von Biografiearbeit in den Arbeitsfeldern Kindertagesstätte und Kindertagespflege. In diesem Arbeitskontext treffen die Biografien von Kindern, Eltern und pädagogischen Fachkräften zusammen. In diesem Entwicklungsabschnitt prägen die Erwachsenen und die verschiedenen Ereignisse maßgeblich die Biografien der Kinder. Meine zentrale Erkenntnis bei der Auseinandersetzung mit Biografiearbeit im pädagogischen Kontext ist, dass Ihr im Rahmen der Bildungs- und Entwicklungsdokumentation Biografiearbeit betreibt, ohne dass es Euch bewusst ist.

Eine Biografie beschreibt die Lebensgeschichte eines Menschen. In Unterscheidung zum Lebenslauf geschieht dies weniger chronologisch und selten vollständig. Bedeutsame und prägende Stationen und Erlebnisse werden herausgegriffen und fokussiert. Die sog. Persönlichkeitsbiografie setzt sich aus verschiedenen Teilaspekten zusammen, z.B.: kulturelle, soziale, wert- und normgeprägte, geschlechtsspezifische, gesellschaftliche und nationale Aspekte. Jeder Aspekt für sich ist bedeutsam für die individuelle Entwicklung eines Menschen.

Die Portfolioarbeit greift viele dieser Aspekte auf und dokumentiert so den Bildungs- und Entwicklungsweg des einzelnen Kindes. Mit Hilfe des Portfolios ermöglicht Ihr dem Kind, sich zu einem späteren Zeitpunkt an verschiedene Erlebnisse und Ereignisse zu erinnern und einzuordnen.

Die Geschehnisse in den letzten Wochen nehmen gerade weitreichenden Einfluss auf unser Leben. Das damit verbundene Erleben gehört von jetzt an zu unserer Biografie und zu der der Kinder und Familien.

Die Kinder erleben diese Zeit genauso intensiv wie wir Erwachsenen – auch wenn ihr Umgang damit aufgrund ihres Entwicklungsstandes und Alters sich unterscheidet. Für ihre weitere Entwicklung ist es daher wichtig und wertvoll, die zurückliegenden Wochen im Rahmen der Portfolioarbeit aufzugreifen, aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Dies unterstützt die spätere Erinnerung an das Geschehene.

Bei meinen Recherchen im Internet habe ich verschiedene Vorlagen für spezifische Portfolioseiten entdeckt, die im Kern folgende Aspekte mit Blick auf die Zeit im Lockdown abfragen und dokumentieren:

  • So geht es mir
  • So fühle ich mich
  • Das habe ich zu Hause gemacht
  • Das war das Schönste in der Zeit, in der ich zu Hause war
  • Das habe ich am meisten vermisst
  • Das hat mich am meisten genervt
  • Darauf freue ich mich jetzt am meisten
  • Das waren meine Lieblingsbeschäftigungen, damit ich mich nicht langweile

Älteren Kindern könnt Ihr noch folgende Frage stellen:

  • Woran möchte ich mich später erinnern, wenn ich groß bin?

Zu der Portfolio-Arbeit gehört auch das Einbeziehen der Eltern mit ihrer Sichtweise auf die Entwicklung der Kinder. Durch den Lockdown sind die Eltern viele Wochen intensiv mit ihren Kindern zusammen gewesen. Daher bietet es sich an, eine Seite im Portfolio den Eltern zu widmen, auf der sie das Erleben des Kindes beschreiben und dokumentieren. Das kann in Form eines kurzen Interviews stattfinden, dass Ihr mit den Eltern führt.

Im Anhang findet Ihr eine Vorlage für ein „Corona-Potfolio“, dass mir freundlicher Weise Veronika Schütz zur Veröffentlichung frei gegeben hat. Vielen Dank hierfür. Dieses Portfolio zeichnet sich dadurch aus, dass auch die Eltern dazu befragt werden, wie sie selbst diese Zeit erlebt haben. Dadurch werden die Gefühle und Sichtweisen der Eltern auf ganz besondere Weise berücksichtigt und in das Portfolio miteinbezogen.

Am kommenden Donnerstag stelle ich Euch dann eine Methode für die Erinnerungsarbeit mit den angehenden Schulkindern vor.

Bis dahin, passt weiterhin gut auf euch auf.

Eure Anja

Das Corona-Portfolio

von Veronika Schütz

Biografiearbeit:

https://www.nifbe.de/component/themensammlung?view=item&id=641:spurensuche-wie-biographiearbeit-paedagogisches-handeln-aendert
A. Cantzler: Spurensuche: Wie Biographiearbeit pädagogisches Handeln ändert