von Anja Cantzler | 29.10.2024 | Allgemein, Herausfordernde Kinder, Methoden
In der pädagogischen Arbeit begegnen Fachkräfte häufig Kindern, die durch ihr Verhalten an die Grenzen des Erwachsenen stoßen. Dabei kann es immer wieder zu intensiven Momenten kommen, in denen das Verhalten des Kindes nicht nur für das Kind selbst, sondern auch für die Fachkraft emotional belastend und schwer zu handhaben ist. Genau hier setzt die Interaktionsanalyse an – ein reflektiver Ansatz, der nicht nur das Verhalten des Kindes, sondern auch das eigene Handeln der Fachkraft in den Fokus nimmt.
Die Bedeutung des eigenen Verhaltens
Eine zentrale Überzeugung dieser Interaktionsanalyse lautet: „Wenn ich möchte, dass das Kind sein Verhalten ändert, muss ich zuerst prüfen, ob ich mein Verhalten gegenüber dem Kind verändern sollte.“ Diese Herangehensweise zielt darauf ab, das Verhalten der Fachkraft als Teil der Dynamik zu verstehen. Denn das Verhalten des Kindes und das der Fachkraft stehen in einer ständigen Wechselwirkung.
Kinder, die herausforderndes Verhalten zeigen, reagieren oft besonders empfindsam auf bestimmte Verhaltensweisen von Erwachsenen. Dies bedeutet, dass jede Reaktion der Fachkraft in diesen Situationen eine direkte oder indirekte Gegenreaktion beim Kind auslösen kann. Wenn also ein Kind durch sein Verhalten immer wieder an die Belastungsgrenze der Fachkraft stößt, ist es hilfreich, nicht nur das Verhalten des Kindes zu analysieren, sondern auch das eigene Handeln.
Schrittweise Reflexion
Die (traumapädagogische) Interaktionsanalyse (n. Schmid) so wie ich Sie in meiner traumapädagogischen Weiterbildung kennenlernen durfte, beginnt in der Regel mit der detaillierten Beschreibung einer konkreten Situation: Wo hat sich die Situation abgespielt? Was hat das Kind gemacht? Wie hat die Fachkraft reagiert? Welche Gefühle wurden ausgelöst? Dabei wird nacheinander das Verhalten aus beiden Perspektiven betrachtet – der des Kindes und der der Fachkraft.
Hierbei stellt sich die Frage: Was trage ich als Fachkraft dazu bei, dass das Kind auf eine bestimmte Weise reagiert? Indem man diesen Blickwinkel einnimmt, wird die Fachkraft nicht nur zu einer:m passiven Beobachter:in, sondern auch zu einem aktiven Teil der Situation. Diese Perspektive schafft Raum für Veränderungen im eigenen Verhalten, die wiederum die Dynamik zwischen Fachkraft und Kind positiv beeinflussen können.
Lösungsfokussierte Herangehensweise
Nach der Analyse der Situation geht es um Lösungen – bedürfnissorientiert und konstruktiv. Der Fokus liegt darauf, alternative Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die sowohl die Bedürfnisse des Kindes als auch die der Fachkraft berücksichtigen. Besonders bei Kindern, die durch sie belastende Erlebnisse geprägt sind, ist es entscheidend, dass ihre emotionalen und beziehungsorientierten Bedürfnisse im Zentrum stehen.
Fragen, die in dieser Phase der Reflexion helfen können, sind zum Beispiel:
Was ist der „gute Grund“ für das Verhalten des Kindes?
Häufig verbirgt sich hinter dem herausfordernden Verhalten eines Kindes ein emotionales Bedürfnis, das in der Vergangenheit vielleicht nicht ausreichend erfüllt wurde. Hier geht es darum, dieses Bedürfnis zu erkennen und ihm auf alternative Weise gerecht zu werden.
Wie kann ich als Fachkraft meine Reaktionen so anpassen, dass das Kind neue Handlungsoptionen erlernt?
Anstatt impulsiv oder automatisch auf das Verhalten des Kindes zu reagieren, lohnt es sich, innezuhalten und zu überlegen, welche Handlung dem Kind helfen könnte, sich sicherer und verstanden zu fühlen.
Wie kann das Bindungs- und Beziehungsbedürfnis des Kindes in der Situation erfüllt werden?
In der pädagogischen Arbeit spielt die Beziehungsebene eine zentrale Rolle. Kinder benötigen Sicherheit und Stabilität in der passenden Balance zu Autonomie und Mitbestimmung. Eine Fachkraft, die diese Bedürfnisse erkennt und entsprechend handelt, kann präventiv dazu beitragen, Eskalationen zu vermeiden.
Die Fachkraft im Fokus
Neben der Analyse des kindlichen Verhaltens darf jedoch der Blick auf das eigene Befinden der Fachkraft nicht zu kurz kommen. Die Zusammenarbeit mit Kinderen, deren Verhalten herausfordernd ist, ist oft für Fachkraft emotional herausfordernd. Fachkräfte sind nicht nur professionelle Begleiter, sondern auch Menschen mit eigenen emotionalen Reaktionen, Bedürfnissen und Grenzen. Daher ist es wichtig, im Rahmen der Reflexion auch sich selbst zu fragen:
- Welche Gefühle wurden in mir ausgelöst?
- Wie kann ich besser mit diesen Emotionen umgehen, um auch in der nächsten Situation gelassen und professionell zu handeln?
- Welche Unterstützung benötige ich, um mich gestärkt zu fühlen?
Diese Selbstreflexion trägt maßgeblich dazu bei, dass Fachkräfte langfristig handlungsfähig bleiben und den Kindern die notwendige Stabilität bieten können.
Fazit: Veränderung beginnt bei uns
Die Interaktionsanalyse ist für mich zu einer wertvollen Methode in meinen Seminaren geworden, um herausfordernde Situationen nicht nur besser zu verstehen, sondern auch lösungsorientiert darauf zu reagieren. Dabei geht es vor allem darum, als Fachkraft den eigenen Anteil an der Dynamik zu erkennen und Handlungsalternativen zu entwickeln, die sowohl dem Kind als auch einem selbst helfen.
Indem wir unser eigenes Verhalten reflektieren und gezielt anpassen, schaffen wir die Grundlage für positive Verhaltensänderungen beim Kind. So können wir dazu beitragen, dass belastende Situationen nicht zu Eskalationen führen, sondern zu einem besseren gegenseitigen Verständnis und einer stabileren Beziehungsebene.
Veränderung beginnt bei uns – und genau das ist der zentrale Schlüssel für eine Beziehungs- und verstehensorientierte Pädagogik.
Mehr dazu findet ihr auch in meinen Buch: Schätze finden statt Fehler suchen, das 2023 im Herder Verlag erschienen ist.
von Anja Cantzler | 23.07.2024 | Bindung und Eingewöhnung, Gewaltfreie Pädagogik, Kinderschutz, Übergänge
Warum eine Bedürfnisorientierte Eingewöhnung Unverzichtbar ist: Ein Leitfaden für Fachkräfte in Krippe, Kita und Kindertagespflege
Die Eingewöhnung eines Kindes in die Krippe, Kita oder Kindertagespflege ist ein sensibler und essenzieller Prozess, der die Basis für eine erfolgreiche Betreuung und eine positive Entwicklung des Kindes legt. Eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung ist dabei von zentraler Bedeutung und sollte von allen Fachkräften als grundlegender Bestandteil des Kinderschutzes verstanden werden.
Die Bedeutung der Bedürfnisorientierten Eingewöhnung
Eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung berücksichtigt die individuellen Bedürfnisse und das Tempo jedes Kindes. Sie orientiert sich an den emotionalen, sozialen und physischen Bedürfnissen, die in dieser Übergangsphase besonders ausgeprägt sind. Die Basis hierfür bildet eine zugewandte und einfühlsame Begleitung, welche schrittweise und behutsam das Ankommen unterstützt und dem Kind die notwendige Sicherheit gibt, um sich in der neuen Umgebung wohlzufühlen.
Bedürfnisorientierte Eingewöhnung bedeutet, dass Fachkräfte jedes Kind als einzigartig betrachten und die Gestaltung des Übergangs auf seine individuellen Bedürfnisse abstimmen. Diese Herangehensweise fördert eine positive Einstellung des Kindes zur neuen Situation und stärkt sein Vertrauen in die Bezihungsspersonen.
Auswirkungen einer Fehlenden Eingewöhnung
Eine nicht bedürfnisorientierte oder gar fehlende Eingewöhnung kann schwerwiegende Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes haben:
- Kinder, die ohne behutsamen Übergang in eine neue Betreuungssituation kommen, erleben häufig Stress und Angst. Dies kann zu dauerhafter emotionaler Unsicherheit führen, die sich negativ auf ihr Wohlbefinden und ihre Entwicklung auswirkt. Solche Kinder zeigen oft erhöhtes Trennungsangstverhalten und Schwierigkeiten, sich auf die neue Umgebung einzulassen.
- Ohne eine sanfte Eingewöhnung fällt es vielen Kindern schwer, stabile Beziehungen zu den Betreuungspersonen aufzubauen. Ein sicheres Verbundensein ist jedoch entscheidend für das Vertrauen und die soziale Entwicklung des Kindes. Kinder benötigen verlässliche Beziehungspersonen, um ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu entwickeln.
- Stress und Unsicherheit können sich in herausforderndem Verhalten äußern, wie z. B. Rückzug, Aggressivität oder verstärktes Klammern an die Bindungspersonen. Diese Verhaltensweisen können den Alltag in der Betreuungseinrichtung zusätzlich belasten und die Integration des Kindes erschweren.
- Chronischer Stress kann das Immunsystem schwächen und das Kind anfälliger für Krankheiten machen. Auch Schlafprobleme und Essstörungen können die Folge sein. Kinder, die sich nicht wohlfühlen, haben häufig auch Schwierigkeiten, sich auf Aktivitäten und Lernprozesse einzulassen, was ihre kognitive und motorische Entwicklung beeinträchtigen kann.
Bedürfnisorientierte Eingewöhnung als Kern des Kinderschutzes
Der gelebte Kinderschutz beginnt bereits mit der Eingewöhnung. Eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung stellt sicher, dass das Kind in einer neuen Umgebung sicher und geborgen ankommen kann. Dies umfasst mehrere wichtige Elemente:
- Wertschätzung und Empathie: Die Fachkräfte nehmen die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes ernst und reagieren sensibel darauf. Sie bieten Trost und Unterstützung, wenn das Kind sie braucht. Diese empathische Haltung schafft Vertrauen und Sicherheit, die für die emotionale Stabilität des Kindes essenziell sind.
- Zeit und Geduld: Jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Die Eingewöhnung sollte flexibel gestaltet sein, um dem Kind die Zeit zu geben, die es braucht, um sich sicher zu fühlen. Ein starres Eingewöhnungsschema kann das Kind überfordern und zusätzlichen Stress verursachen. Flexibilität und Geduld seitens der Fachkräfte sind daher unerlässlich.
- Partizipation der Eltern: Eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern ist entscheidend. Sie kennen ihr Kind am besten und können wertvolle Hinweise geben. Gleichzeitig vermittelt die Anwesenheit der Eltern dem Kind Sicherheit. Durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern wird die Eingewöhnung erleichtert und die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit gelegt.
- Rituale und Struktur: Vertraute Rituale und eine haltgebende Struktur geben dem Kind Orientierung und Sicherheit in der neuen Umgebung. Rituale helfen dem Kind, den Tagesablauf vorherzusehen und sich darauf einzustellen, was ihm ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit gibt.
- Kontinuierliche Beobachtung und Reflexion: Die Eingewöhnungsphase sollte durch ständige Beobachtung und Reflexion begleitet werden, um auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes flexibel reagieren zu können. Fachkräfte sollten regelmäßig den Übergangsprozess evaluieren und bei Bedarf Anpassungen vornehmen. Eine enge Dokumentation und der Austausch im Team sowie mit den Eltern sind dabei hilfreich.
Fazit
Eine bedürfnisorientierte Eingewöhnung ist nicht nur eine Frage der pädagogischen Qualität, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil des Kinderschutzes. Sie legt den Grundstein für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Kind und Betreuungsperson und unterstützt die gesunde Entwicklung des Kindes. Fachkräfte in Krippe, Kita und Kindertagespflege tragen eine große Verantwortung, diesen sensiblen Prozess mit Empathie, Geduld und Fachwissen zu gestalten. Nur so können wir sicherstellen, dass jedes Kind die bestmögliche Grundlage für seine weitere Entwicklung erhält.
Indem wir die individuellen Bedürfnisse der Kinder respektieren und auf sie eingehen, schaffen wir eine Umgebung, in der sie sich sicher und geborgen fühlen. Dies ist die Grundlage für ihre emotionale, soziale und kognitive Entwicklung. Bedürfnisorientierte Eingewöhnung ist daher ein wesentlicher Bestandteil des gelebten Kinderschutzes und sollte von allen Fachkräften als solcher verstanden und praktiziert werden.
Deswegen gehört die Auseinandersetzung mit der Gestaltung des Übergangs von der Familie in die Kita auch grundlegend mit in die Kinderschutzkonzepte und sollten jedes Jahr aufs neue evaluiert werden.
von Anja Cantzler | 31.10.2023 | Bindung und Eingewöhnung, Gewaltfreie Pädagogik
In meiner aktuellen Beratungs- und Weiterbildungspraxis steht das Thema Eingewöhnung wieder einmal an vorderer Stelle.
Verunsicherte Eltern
In meiner Rolle als Elternberaterin wenden sich zunehmend verunsicherte Eltern an mich, die den Übergang ihrer Kinder in die Betreuungseinrichtung so sanft und tränenfrei wie möglich gestalten möchten und dabei nicht selten an eine bestimmte Grenzen stoßen. Sie machen sich Sorgen, ob es es richtig ist, ihr Kind überhaupt in eine Kinderbetreuung zu geben und was die Tränen ihrer Kinder wirklich zu bedeuten haben.
Nicht selten kommt dann auch die Frage auf, ob es nicht per se besser wäre, ihr Kind wieder aus der Kita heraus zu nehmen.
Das ist nicht pauschal zu beantworten und auch sehr abhängig von der Qualität der jeweiligen Kinderbetreuung, den individuellen Lebenssituationen und den alternativen Optionen, die einer Familie überhaupt zur Verfügung stehen. In jedem Fall lohnt es sich, als Eltern genau hinzuschauen, in sich hinein zu horchen und den Dialog mit den jeweiligen Fachkräften zu suchen.
Eine bedürfnisorientiert ausgerichtete Kinderbetreuung weiß darum, dass es in dieser entscheidenden Phase des Ankommens in der neuen Umgebung nicht nur um die emotionale Anpassung der Kinder geht, sondern auch um die Schaffung einer vertrauensvollen und unterstützenden Umgebung, die sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch den Ängsten der Eltern gerecht wird.
Darf das Kind weinen?
Die Fragen, ob Tränen überhaupt vermeidbar und wie viel Tränen während der Eingewöhnungsphase akzeptabel sind, bergen ein zentrale Aspekte bei der Gestaltung eines erfolgreichen Übergangs für Kinder in Kripp, Kita und Kindertagespflege.
Zunächst einmal sind Tränen mehr als menschlich und ein natürlicher Ausdruck von Emotionen, Trennungsschmerz und Anpassungsschwierigkeiten, insbesondere dann wenn Kinder sich von ihren primären Bindungspersonen trennen.
Das bedeutet, dass Tränen durchaus zu einem Ankommen in der Kindertagesbetreuung dazu gehören können. Die Herausforderung besteht darin, zu erkennen, wann die Tränen Ausdruck eines für das einzelne Kind gesundes Anpassungsverhalten darstellen und wann sie in der Situation Trennungs- und Verlustängste zum Ausdruck bringen.
Da muss das Kind durch
Für nicht wenige Fachkräfte besteht immer noch die Grundhaltung, dass Weinen einfach dazu gehört und Kindern wie Eltern früher oder später dadurch müssen.
Eltern werden dann oftmals viel zu früh zu ersten Trennungen genötigt, mit dem Hinweis, dass das normal ist und das Kind sich früher oder später schon beruhigen werde. Viele Eltern gehen dann mit einem schlechten Gefühl und je nach Persönlichkeit des Kindes, zieht dieses sich in sich selbst zurück und passt sich an, was dann als Beweis gewertet wird, dass es der richtige Weg ist oder aber es kommt zu anhaltenden Protest, der bedauerlicherweise nicht immer feinfühlig begleitet wird. Das Kind bleibt sich in beiden Fällen emotional selbst überlassen.
Ich möchte an dieser Stelle in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass hier emotional gewaltvoll gehandelt wird und völlig indiskutabel ist.
Es geht auch anders
Es braucht feinfühlige Fachkräfte, die den Unterschied erspüren, wann das Kind Trennungsangst hat oder einfach sein Traurigsein über den Abschied von den Eltern verspürt.
Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster beschreibt in letzterem Fall, die im Kind daraus vorhandene Ambivalenz, einerseits ungerne die Bindungspersonen gehen zu lassen und andererseits neugierig auf die anderen Kinder und die KitaWelt zu sein. In diesem Spannungsverhältnis kann es durchaus zu Tränen kommen. Hier helfen dann Trost und Zuwendung durch die Fachkraft. Das Kind braucht die Bestätigung: „Ich verstehe dein Traurigsein darüber, dass deine Bindungsperson geht. Du darfst traurig sein. Ich bin bei dir und gebe dir Halt.“ Sobald die Tränen getrocknet sind, kann sich das Kind in der Regel entspannt dem Spiel mit den anderen Kindern zuwenden.
Traurigsein auszuhalten ist gar nicht so leicht
Wenn Kinder in der Eingewöhnung im Spiel vertieft sind, kommen manche Bindungspersonen auf die Idee, sich ohne Verabschiedung zurückzuziehen. Sie erhoffen sich, so dem Kind und sich selbst das Trennungsleid und die Tränen zu ersparen.
Dies gilt es tunlichst zu vermeiden, da es einem Vertrauensbruch gleich kommt, wenn dem Kind dann die Abwesenheit auffällt. Die Gefahr, dass daraus tiefsitzende Ängste entstehen, ist zu groß. Wichtig ist hier, dass die Fachkraft bereit ist, diesen Abschied zu begleiten.
Bindungspersonen scheuen sich oftmals vor den Tränen ihrer Kinder, weil sie dadurch auch mit eigenen meist unbearbeiteten Kindheitserlebnissen in Kontakt kommen. Dies passiert unbewusst und unreflektiert.
Von Gefühlen ablenken als Schutzstrategie
Ähnlich ergeht es Fachktäften, die das Weinen eines Kindes kaum ertragen können und deswegen ein Kind versuchen schnell abzulenken.
Das gelingt zunächst auch ganz gut, das Kind beruhigt sich für einen Moment. Daraus entsteht nicht selten die Fehlannahme, das Kind würde sich beruhigen, weil es sich getröstet fühlt, das Gefühl verstehen und sich gut regulieren können. Vielmehf erhält es indirekt die Botschaft: „Das, was du fühlst, ist falsch!“, „Du bist nicht richtig!“ Das Kind schluckt dann das Gefühl herunter, verdrängt und schiebt es auf.
Die Fachkraft greift zu dieser Strategie aus Eigenschutz, weil es für sie kaum auszuhalten ist, das Kind so traurig ist.
Biografische Selbstreflexion als Schlüssel
In solchen emotionsreichen Situationen wird die Fachkraft immer auch mit ihren eigenen Gefühlen konfrontiert. Die eigenen Kindheitserfahrungen, eigene Bedürfnisse und verdrängte Traumata wollen gesehen und verarbeitet werden.
Deswegen gilt es als Fachkraft die aufkommenden Gefühle wahrzunehmen und mit der biografischen Brille zu reflektieren:
- In welchen Situationen ertappst du dich dabei, die Gefühle der Kinder oder auch der Eltern herunterspielen und wegmachen zu wollen?
- In welchen Momenten möchtest du das Kind von seinen Gefühle ablenken?
- Was fühlst du in diesem Moment?
- Was hat das eventuell mit dir selbst zu tun?
- Was hat das mit deiner eigenen Kindheit und den damit verknüpften Erfahrungen zu tun?
- Durftest du diese Gefühle als Kind zeigen und ausleben?
Jede Fachkraft ist verpflichtet, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, um dem Kind möglichst befürfnisorientiert begegnen zu können.
Kurze Zusammenfassung zum Schluss
Tränen dürfen in der Trennungssituation durchaus sein und sind nicht immer ganz vermeidbar. Sie können Ausdruck der im Kind vorhandenen Ambivalenz sein, die es im Übergang feinfühlig zu begleiten gilt. Um diese Feinfühligkeit zu gewährleisten, müssen Kind und Fachkraft bereits eine Beziehung zueinander aufgebaut haben. Dies ist auf keinen Fall bereits in den allerersten Tagen möglich.
Angst und Panik sind tunlichst zu vermeiden, in diesem Fall kann nur die weitere Anwesenheit der Bindungsperson zur Entspannung und zum Ankommen des Kindes beitragen. Ein Kind in seiner Not, sich selbst zu überlassen ist fahrlässig und gewaltvoll.
Als Fachkraft hast du die Verpflichtung, dich mit deiner eigenen Gefühlswelt ehrlich auseinander zu setzen, um Kinder und ihre Familien im Übergang zu Krippe, Kita und Kindertagespglege feinfühlig begleiten zu können.
Für weitere Fragen stehe ich auch gerne in meinen Beratungen für Fachkräfte und Eltern zur Verfügung.
Herzlichst
Anja
von Anja Cantzler | 11.07.2023 | Bindung und Eingewöhnung
Der Übergang von der Familie in Krippe, Kita und Kindertagespflege und das damit verbundene Ankommen in einer neue Umgebung kann für jedes Kind eine Herausforderung darstellen.
Besonders bei jüngeren Kindern, die noch nicht sprechen können, ist es von entscheidender Bedeutung, auf ihre feinen Signale zu achten, sie zu verstehen und angemessen darauf einzugehen.
Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit den Signalen von Kindern und warum die Wahrnehmung dieser feinen Signale so wichtig ist. Das Verstehen der einzelnen Signale kann bedeutsam dazu beitragen, dass sich die Kinder in ihrer neuen Umgebung sicher und wohl fühlen.
Kommunikation ohne Worte
Ich selbst habe einige Jahre mit Kindern von 0-3 Jahren gearbeitet und die Erfahrung gemacht, dass nur wenige, sich bereits sprachlich ausgereift mit Worten verständigen können. In den meisten Fällen teilen sie sich daher nonverbal mit Hilfe von Gestik, Mimik, Körperhaltung oder durch bestimmte Geräusche mit.
So bedeutet nicht jedes Gähnen gleich Müdigkeit oder ein Lächeln Freude und Aufgeschlossenheit. Beides kann auch Unsicherheit zum Ausdruck bringen. Ein Kind, dass die Hände ineinandergelgt hat, ruht nicht unbedingt in sich. Es kann auch darauf hinweisen, dass das Kind versucht sich selbst an die Hand zu nehmen und sich Sicherheit zu geben. Auch ein Kind, dass vor uns auf dem Boden sitzt und zu seinen Füßen greift, tut dies in neuen Situationen, um sich selbst festzuhalten. Ein Klammern und Festhalten an Gegenständen und Personen oder auch das Eindrehen der Fäuste kann auf Anspannung, Unwohlsein und Stress hinweisen.
Eine ausgesteckte Hand, deren Handfläche nach vorne zeigt und die Finger dabei gespreizt sind, will darauf aufmerksammachen, dass das Kind irritiert, unsicher und überfordert ist.
Weitere kleine Zeichen können darüberhinaus ein abgewandter Blick oder ein Wegdrehen des Körpers sein. Und nicht selten versuchen sich Kinder vom Schoß oder aus den Armen der Erwachsenen herauszuwinden, in dem sie ihren Rücken nach hinten durchbiegen und sehr zappelig sind. Damit zeigen sie, dass sie sich in der Situation nicht wohlfühlen. Das Verstecken des Gesichts hinter den Händen kann Überforderung ausdrücken.
Mehr hierzu findest du auf YouTube unter: Signale des Babys.
Indem wir auf diese oftmals sehr kleinen Signale achten, sie erkennen und darauf eingehen, ermöglichen wir den Kindern, ihre Bedürfnisse und Gefühle mitzuteilen, auch wenn sie noch nicht sprechen können.
Ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen schaffen
Die Eingewöhnung in eine neue Umgebung kann für ein Kind äußerst beängstigend sein. Indem wir uns bewusst auf die feinen Signale konzentrieren, zeigen wir den Kindern, dass wir sie verstehen wollen und für sie da sind. Dies hilft, eine Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit zu schaffen, die für eine positive Eingewöhnung von entscheidender Bedeutung ist.
Indem wir auf ihre Signale eingehen, fühlen sich die Kinder gehört und respektiert, was ihnen das nötige Selbstvertrauen gibt, um ihre neue Umgebung zu erkunden.
Individuelle Bedürfnisse erkennen
Jedes Kind ist einzigartig und hat unterschiedliche Bedürfnisse und Vorlieben. Indem wir die feinen Signale wahrnehmen, können wir besser verstehen, was jedes einzelne Kind in der Eingewöhnungsphase benötigt. Manche Kinder brauchen vielleicht mehr Zeit, um sich an eine neue Umgebung zu gewöhnen, während andere schnell offener sind. Durch das Erkennen und Verstehen dieser Signale können wir den Eingewöhnungsprozess individuell gestalten und den Kindern das geben, was sie brauchen, um sich wohl und geborgen zu fühlen.
Die Entwicklung der Sprache unterstützen
Während der Eingewöhnungsphase ist es von besonderer Bedeutung, die sprachliche Entwicklung der Kinder zu unterstützen. Auch wenn sie noch nicht sprechen können, hören und nehmen sie die Sprache um sie herum auf. Indem wir ihre feinen Signale wahrnehmen und darauf eingehen, ermöglichen wir ihnen, ein Verständnis für Kommunikation aufzubauen und sprachliche Fähigkeiten zu entwickeln. Dies legt den Grundstein für ihre zukünftige Sprachentwicklung.
Einige Einrichtungen nutzen hier zur Begleitung die Gebärdenunterstützte Kommunikation – eine Verknüpfung von Sprache mit Worten. Mehr dazu erfährst du beispielsweise in den Online-Seminaren von Bilderkraft e.V.
Fazit: Die feinen Signale von Kindern während der Eingewöhnungsphase zu erkennen, zu verstehen und darauf angemessen einzugehen, ist von enormer Bedeutung. Indem wir diese Signale beachten, schaffen wir eine Atmosphäre des Vertrauens und der Sicherheit. Das ermöglicht ein individuelles Ankommen und unterstützt die sprachliche Entwicklung der Kinder.
Es ist unsere Verantwortung, aufmerksam zu sein und diesen Kindern die bestmögliche Unterstützung zu bieten, um ihnen einen gelingenden Start in ihre neuen Umgebungen zu ermöglichen.
von Anja Cantzler | 15.06.2023 | Allgemein, Gefühle, Herausfordernde Kinder, Methoden, Resilienzförderung
In meinem vorherigen Blogartikel ging es um Kinder von krebserkrankten Eltern. Manche Kinder reagieren in solchen Situationen mit starken Wutausbrüchen und in dem Zusammenhang habe ich auf eine Methode aus meinem Buch: „Schätze finden statt Fehler suchen“ hingewiesen, die ich hier einmal etwas näher beschreiben möchte.
Diese sog. Wut-Notfallbox kann selbstverständlich auch bei Wutausbrüchen jeglicher Art im pädagogischen Alltag zum Einsatz kommen, um die Kinder darin zu unterstützen ihre Wut zu kanalisieren und ihnen nach und nach Möglichkeiten zur Selbstregulation anbieten zu können.
Dafür wird eine solche Wut-Notffall-Box gemeinsam mit dem Kind zusammengestellt.
Dort können zum Beispiel:
- ein Kissen, in dass das Kind laut schreien oder rein boxen kann
- Knete, die nach Lust und Laune bearbeitet werden kann
- ein Knautschball, zum Kneten
- ein Igelball zum Massieren
- Papier zum Zerreißen und zerknüllen
- Luftpolsterfolie zum Luftbläschen zerdrücken
- eine Brötchentüte zum aufblasen und zerplatzen lassen
- ein Foto von draußen oder einem anderen Lieblings-Ruheort, mit dem das Kind der Fachkraft oder die Fachkraft dem Kind ohne Worte signalisieren kann, dass es jetzt gerne nach draußen gehen darf und kann, wenn es das gerade braucht
fest deponiert sein.
Zunächst wird die Fachkraft dem Kind die vereinbarte Möglichkeit zur Verfügung stellen. Erfahrungsgemäß wählen und nutzen die Kinder nach und nach selbst die für sie geeignete Selbstregulationsmöglichkeit.
Was bietest du den Kindern in deinem pädagogischen Alltag an, damit sie Wege finden, ihrer Wut Raum zu geben, ohne andere oder sich selbst zu verletzen?
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