Die meisten Krippen, Kitas und Kindertagespflegestellen sind gerade mitten in der Eingewöhnungszeit. Wie in dem Blogbeitrag: „Viele Modelle- ein Ziel“ bereits beschrieben, wird in den verschiedenen Einrichtungen mit unterschiedlichen Ansätzen eingewöhnt. Alle Eingewöhnungsmodelle haben folgende Ziele: „das Kind soll sich in der Betreuung emotinal wohlfühlen, gerne kommen und die Pädagogischen Fachkräfte als stressregulierende Bezugspersonen annehmen.“
Doch bis Du mit dem einzelnen Kind dort hinkommst, liegt ein langer und oftmals auch tränenreicher Weg vor Dir, dem Kind und seinen Eltern. Mal Hand aufs Herz, wünscht du Dir in diesen Tagen auch manchmal insgeheim, dass die Eingewöhnungszeit dieses Mal ohne Tränen abläuft? Ein Jahr, dass alle Kinder von Anfang an gerne kommen und nicht weinen müssen? Doch aus Erfahrung weißt, dass dies nicht so sein wird.
Deswegen möchte ich in diesem Blogbeitrag zum einen klären, warum Tränen so wichtig für die Kinder sind und wie Du damit kind- und bedürfnisorientiert umgehen kannst. Zum anderen möchte ich Dich auf die möglichen Fehlanzeichen aufmerksam machen, an denen pädagogische Fachkräfte oftmals fälschlicherweise festmachen, dass die Eingewöhnung für das Kind bereits abgeschlossen ist.
Die Bedeutung der Tränen
Durch das Weinen drücken die Kinder ihre Trauer über die Abwesenheit der Eltern aus. Sie sind Ausdruck des emotionalen Befindens und kindlichen Bedürfnisse. Für viele Eltern ist das sehr schmerzhaft, wenn ihr Kind weint und sie versuchen, diese Tränen zu vermeiden. Wichtig ist, dass Du mit den Eltern über die positive Bedeutsamkeit der Tränen sprichst. Es ist wünschenswert, dass ein Kind in der Lage ist seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich vermittel daher den Eltern immer auf Elternabenden und in Elternberatungen, dass dies ein ganz natürliches und gesundes Verhalten des Kindes ist und dass das Kind ein Recht auf seine Trauer hat.
Die Eingewöhnung stellt große Herausforderungen an das Kind und sind daher für die Kinder mit einem erhöhten Stresspegel verbunden. Die Tränen unterstützen das Kind während des Eingewöhnungsprozesses, Anspannung und Stress abzubauen.
Tränen gehören also durchaus zu einer gelingenden Eingewöhnung. Es geht nicht darum sie zu vermeiden oder zu unterdrücken, es geht vielmehr darum, diese Tränen gemeinsam mit den Eltern achtsam und feinfühlig zu begleiten.
Die Dont’s im Umgang mit Tränen
Bitte vermeide deswegen dem Kind gegenüber Sätze wie:
- „Du musst nicht traurig sein“ – damit verleugnest Du das Gefühl des Kindes. Das Kind ist in diesem Augenblick jedoch sehr traurig und fühlt diese Emotion. Besser wäre, ihm für seine Trauer Worte zu geben: „Du bist jetzt sehr traurig, dass Mama gegangen ist.“
- „Schau mal was ich hier habe…“ – wird gerne als Ablenkungsmanöver genutzt. Auch das ist nicht sehr ratsam, da das Kind indirekt die Botschaft erhält, dass seine Gefühle nicht wichtig sind. Es soll die bestehenden Gefühle zurückstellen und unterdrücken. Es erhält keine Chance die eigenen Emotionen zu regulieren, was wiederum ein wichtiger Meilenstein in der emotionalen Entwicklung und der Resillienzförderung ist.
- „Nimm deinen Schnuller, trink oder iss etwas…“ – damit lernt das Kind fälschlicherweise heftige Emotionen mit Hilfe von Essen und Trinken zu kompensieren. Dieses Verhalten kann den ersten Grundstein für ein gestörtes Essverhalten und Süchte legen.
Tränen achtsam begleiten
Was kannst Du also tun, um ein Kind achtam und feinfühlig durch die Eingewöhnungszeit zu begleiten?
- Signalisiere dem Kind Verständnis für seine Trauer, sag ihm: „Ich verstehe, dass Du traurig bist!“
- Vermittel dem Kind, dass Du ihm vertraust, dass es früher oder später diesen Entwicklungsschritt schaffen wird.
- Gib dem Kind Worte für seine Gefühle. Damit zeigst Du ihm, dass Du diese Gefühle wahrnimmst und diese Gefühle sein dürfen.
- Sprich mit dem Kind über seine Gefühle.
- Vermeide dem Kind gegenüber Bedauern über seine Trauer zu äußern. Es geht in erster Linie um Mitgefühl und nicht um Mitleid.
- Selbsreflexion als Basis für Empathie
Selbsreflexion als Basis für Empathie
Überprüf Deine eigenen Gefühle und Haltung bezüglich der Eingewöhnung. Gerade wenn die Kinder noch sehr jung sind, solltest Du Dich reflektieren, inwieweit Du es als richtig und wichtig empfindest, dass dieses Kind schon in einer Kindertagesbetreuung betreut wird. Kannst Du die Entscheidung der Eltern wertfrei stehen lassen? Oder bist Du der Meinung, dass das Kind zu Hause viel besser aufgehoben wäre?
Deine eigene Haltung überträgt sich auch immer auf Dein pädagogisches Handeln. Bist Du der Überzeugung, dass das Kind zu Hause besser aufgehoben wäre, dann wirst Du die Tränen des Kindes vermutlich unter diesem Blickwinkel betrachten. In diesem Fall ist der Schritt vom Mitgefühl zum Mitleid für das Kind nur noch ein ganz kleiner. Unbewusst läufst Du Gefahr, dem Kind mit dieser Haltung den Einstieg zu erschweren. Nicht nur Eltern, denen es schwer fällt loszulassen, übertragen ihre Gefühle auf das Kind. Auch Du als pädagogische Fachkraft sendest nonverbal Haltung und damit verbundene Erwartungen an das Kind.
Bis du also der Überzeugung, dass das Kind bei Dir gut aufgehoben ist und dass es diese Herausforderung aktiv und kompetent meistern wird, wirst Du mit den Tränen des Kindes ganz anders umgehen können und das Kind wird sich gemäß dieser Erwartungen anders verhalten.
Mögliche Fehlinterpretationen im Eingewöhnungsprozess
So unterschiedlich die Kinder und Familien sind, so unterschiedlich verlaufen die verschiedenen Eingewöhnungsprozesse. In Deiner Praxis begegnen Dir neben den weinenden Kindern einzelne, bei denen tatsächlich keine Tränen auftreten oder die Tränen sehr schnell verschwunden sind. In diesen Fällen besteht dann die Gefahr der Fehleinschätzung, dass das Kind bereits gut angekommen und damit die Eingewöhnung abgeschlossen ist.
Hier ein paar Beispiele:
- ein Kind spielt ununterbrochen und begibt sich neugierig auf Entdeckungstour. Es ist sehr beschäftigt mit dem neuen Raum, den neuen Spielmaterial und den neuen Kindern. Durch den Reiz des Neuen bleibt ihm zunächst keine Zeit für Trauergefühle. Es trennt sich gut und unproblematisch von den Eltern. Der Einbruch kommt dann oftmals nach 6-8 Wochen, wenn der Reiz des Neuen aufgebraucht ist. Jetzt tritt erstmals Langeweile auf und die Trauer um die Eltern setzt ein. Das Kind wird traurig, weinerlich und manchmal auch aggressiv. Es zeigt jetzt seine Emotionen in voller Bandbreite. Trau dich die Eltern zu bitten, vorübergehend einen Moment länger zu bleiben und die Traurigkeit des Kindes entsprechend zu begleiten.
- Kinder, die von der Persönlichkeit her offen, zugänglich und kommunikativ sind, werden manchmal überfordert und verschätzt. Durch ihre fröhliche und aufgeschlossene Art wird die Vermutung aufgestellt, dass die Eingewöhnung ganz schnell und unkompliziert stattfinden wird. Dadurch wird der Eingewöhnungsprozess dann gerne verkürzt, was bei manchen dieser Kinder dazu führt, dass sie dann bei längerer Abwesenheit der Eltern auf einmal viel gehemmter und zurückhaltender werden. Lass Dich also nicht von einem solchen Verhalten auf die falsche Fährte führen. Der Gradmesser ist immer das beobachtbare Spielverhalten, sobald die Eltern länger abwesend sind.
- bei einem anderen Kind, dass zunächst unbekümmer mit der neuen Situation umgeht und dadurch die Trennung von den Eltern vorzeitig herbeigeführt wird, kann die Trauerphase auch erst zeitverzögert einsetzen. Ähnlich der Veränderungskurve nach Kübler-Ross, kommt das Kind nach dem ersten Schock und der Verdrängung der Realität in das Tal der Tränen. Auch hier darfst Du den Mut haben, die Eltern noch einmal zurück und den verpassten Loslösungsprozess nachzuholen.
- eine weitere typische Situation ist, wenn ein Kind bei der Verabschiedung zwar weint, sich dann schnell wieder beruhigt, sobald die Eltern weg sind. In diesem Fall solltest Du das Kind gut beobachten, ob es dann wirklich fröhlich spielen geht. Manche Kinder legen dann ein lethargisches Verhalten an den Tag, haben permanent gerötete Augen, jammern still vor sich hin, werden anhänglich oder zeigen vielfältige Krankheitssymptome. Das alles sind ernstzunehmende Stresssymptome. In einem solchen Fall sind, wenn möglich die Eltern wieder mit ins Boot zu holen. Trau Dich, zum Wohle des Kindes mit Eltern zu besprechen, was möglich ist oder ob es eine andere Bindungsperson gibt, die das Kind noch begleiten kann. Ist dies seitens der Eltern nicht machbar, dann brauchen diese Kinder Dich als verlässliche Bezugsperson, die bereit ist, dem Kind viel Nähe und möglichst auch Körperkontakt anzubieten.
- schließlich gibt es auch noch die Kinder, die vermeiden ihre negativen Gefühle in einer Trennungssituation zu zeigen. Sie reagieren nicht, wenn die Eltern gehen und sie zeigen auch keine freudige Raktion, wenn die Eltern wiederkommen. Während der Abwesenheit der Eltern nehmen sie selten Kontakt zu den pädagogischen Fachkräften auf. Auch wenn sie in der Eingewöhnung recht unbeeindruckt wirken, stehen diese Kinder unter einem sehr hohen Stresspegel. Sie bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit und Ansprache, da sie erst lernen müssen, dass jemand ihre Gefühle wahr und ernst nimmt. Begleite die Kinder sprachlich. Benenne ihre Gefühle und signalisiere, dass Du für sie da bist.
Soweit die vielen kleinen Nuancen, die im Eingewöhnungsprozess zu beachten sind. Selbstverständlich gibt es auch Kinder, die ganz unkompliziert und schnell in der Kindertagesbetreuung ankommen. Kinder, die ihren Eltern beispielsweise vermitteln, dass das ein Kinder- und kein Elterngarten ist. Dies zeugt von positiven Vorerfahrungen mit der Trennung von den Eltern. Andere kulturelle Wurzeln und Kontexten, in denen nicht der Erwachsene die Bindungsperson Nr.1 für das Kind ist, sondern andere Kinder diese Rolle übernehmen, kann andererseits dafür ursächlich sein, dass diese Kinder schnell Anschluss an die Kindergruppe finden und sich wohl fühlen. Die Peer Group gibt dem Kind viel Halt und Sicherheit. (vgl. Kultursensitive Pädagogik nach Heidi Keller).
Die Bedeutsamkeit der PeerGroup
Aus der besonderen Bedeutung und Wirkung der Kindergemeinschaft für den Eingewöhnungsprozess hat sich die Eingewöhnung in der Peer Group entwickelt. Die Kinder unterstützen sich in dieser herausfordernden Situation gegenseitig und erfahren, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind. Sie lernen von und miteinander diese Übergangssituation zu meistern. Ein interessantes Modell, auf das ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal genauer eingehen werde.
Ich wünsche Dir noch eine gute und gelingende Eingewöhnungszeit- je nach Kind und Familie mit und ohne Tränen
Deine Anja
Ein Fortbildungstipp
Safe the Date! – Wenn Du mehr über die Eingewöhnung in der Peer Group erfahren willst. Am Samstag, 23.01.2021 von 9.30-12.00 Uhr biete ich wieder in Kooperation mit Haus Neuland eine Online- Seminar hierzu an.
Hallo 🙂
Wie lange darf ein Kind maximal bei der Trennung weinen?
Liebe Grüße
Das ist nicht pauschal zu beantworten. Letztlich geht es darum, wie lange seid ihr schon in der Eingewöhnung, welchen Zugang hat die Fachkraft zum Kind und ganz wichtig: wie weint das Kind. Ist es traurig, weil du gehst oder ist es eher panisch? Letzteres muss sofort unterbrochen werden! Ersteres darf sein, solange es von der Fachkraft sicherheitsgebend begleitet wird.
Hallo liebe Anja,
vielen Dank für den hilfreichen Beitrag!
ich habe mich und unsere aktuelle Situation in deinen Ausführungen direkt wiedererkannt. Die Eingewöhnung unseres Sohnes (20 Monate) verlief, abgesehen von vielen Krankheitstagen sehr zügig. Er ist offen und neugierig und hat sich super schnell in die neue Umgebung eingefunden. Wir haben auch recht schnell die ersten Trennungen durchgeführt, die alle ohne Tränen und Protest funktioniert haben.
Seit etwa zwei Wochen jedoch, steigert sich bei unserem Sohn ein Blockadeverhalten gegenüber der Abgabe-Situation. Mittlerweile ist es so stark, dass er sich auf meinem Arm festklammert und wieder mit nach Hause möchte. Er lässt sich dann nur unter großem Protest an die Erzieher übergeben. Die mich fühlen sich die Tränen nach Verlustangst an. Er lässt sich dann zwar ziemlich schnell wieder beruhigen. Aber ich habe das Gefühl, dass er in diesem Trennungsprozess eine andere Begleitung braucht, um sie wirklich gut verarbeiten zu können.
Daher habe ich mir gewünscht, für einige Zeit noch einmal mit in den Gruppenraum kommen zu können, um ihm den Übergang zu erleichtern. Dieser Wunsch würde von den Erziehern ziemlich klar abgelehnt mit der Begründung, es würde unsrleren Sohn nur verwirren und wir würden mit der Eingewöhnung bei Null anfangen.
Nun bin ich etwas ratlos, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Darauf vertrauen, dass unser Sohn irgendwann mit der Situation besser klarkommt oder beharrlich bleiben und meinem Wunsch folgen.
Ich habe einfach das Gefühl, dass wir den Trennungsprozess für unseren Sohn zu hastig abgewickelt haben.
Vielen Dank und herzliche Grüße
Marcus