Sei der Leuchtturm und nicht der Sturm! – Einführung in die Anker-Methode

In meinem Buch: „Schätze finden statt Fehler suchen“ beschreibe ich das kindliche Gehirn im Notfallprogramm und es wird schnell klar, dass wenn das Kind durch unterschiedlichste Auslöser und Ursachen bereits im Ausnahmezustand ist, es überhaupt nicht zuträglich ist, dass du als Fachkraft auch ausflippst. Da die Selbstregulierung der Kinder sich noch in der Entwicklung befindet, brauchen sie unsere Co-Regulation von außen. Und genau dafür müssen wir als Fachkräfte Wege finden, uns zunächst einmal selbst zu regulieren, um Ruhe zu bewahren und besonnen reagieren zu können.

Personalmangel, Schutzkonzepte, Partizipation, fordernde Eltern, herausfordernde Kinder… und dann sollst du bei dem ganzen Stress auch noch die Ruhe bewahren. Wie soll das gehen?

Selbstregulation vor Co-Regulation

Um das im turbulenten Alltag zu schaffen, braucht es: Innere Stärke, Kraft, Zuversicht, Kompetenz, Selbstbewusstsein und Vertrauen. Die große Kunst besteht immer wieder darin, diese Eigenschaften und Fähigkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu aktivieren. Am besten immer dann wenn du sie wirklich brauchst, nämlich mitten in einer Stressituation.

Wie klingt es für dich, wenn ich behaupte, dass es eine Methode gibt, wie du praktisch „auf Knopfdruck“ in einen ressourcenvollen Zustand kommen kannst? Ein Zustand indem du im Vollbesitz deiner Kräfte bist und ruhig und besonnen reagieren kannst?

Es handelt sich hierbei um die sogenannte Anker-Methode, die ich in meinen Weiterbildungen zur Traumapädagogin kennenlernen durfte und selbst schon viele Male in den unterschiedlichsten Lebensbereichen angewendet habe.

Die Anker-Methode

Die Methode nennt sich „Ankern“ oder auch „Moment of excellence“. Für mich ist sie ein wichtiger Baustein im Umgang mit herausfordernden und belastenden Situationen im pädagogischen Alltag.

Wie der Name es schon sagt, geht es darum etwas zu „verankern“. In diesem Fall werden mittels eines spezifischen Reizes/ Auslösers, positive Emotionen verankert. So kann bei Bedarf durch die Aktivierung des Reizes, die vorher verankerte Emotion wieder aktiviert werden.

Das „Ankern“ machst du vermutlich schon heute – meist geschieht dies jedoch unbewusst.

Denn „Ankern“ heißt eigentlich nur, dass es einen sinnesspezifischen Reiz (Auslöser) gibt, der bei einem Menschen eine bestimmte Reaktion bewirkt. Je nachdem welche Sinne am meisten angesprochen werden, kann man zwischen folgenden Ankern unterscheiden:

  • Visuelle Anker (Bild, Symbol, Zeichen, Landschaften, Menschen…).

Beispiel: Immer wenn ich merke, dass ich vor lauter Aufgabenwirrwarr und Terminstress nicht mehr klar denken kann. Dann versetze ich mich visuell in Gedanken ans Meer. Der weite Blick auf das Meer beruhigt mich innerlich und so kann ich meine Gedanken wieder viel besser sortieren. Die Weite verschafft mir Freiraum und Ruhe.

  • Auditive Anker (Musik, Geräusche, Stimmen, Worte…)

Beispiel: Ich glaube jeder von uns hat gewisse Lieder, die uns in Erfahrungen und Emotionen schwelgen lassen. Vielleicht gibt es ja für dich eine besondere Melodie, die du vor dich hin summen kannst, um dich zu beruhigen. Mir hilft es beispielsweise, wenn ich langsam von 10 rückwärts zähle.

  • Kinästhetischer Anker (Berührungen oder Bewegungen):

Beispiel: In ganz besonderen Momenten berühre ich meinen Ehering und verbnde mich so mit meinem Mann, der für mich haltgebend und wichtig ist. Ein Handschmeichler in der Hosentasche ist für viele auch ein bewährter Anker.

  • Olfaktorischer/ Gustatorischer Anker (Düfte, Gerüche, Geschmack)

Beispiel: Der Duft frischer Pfannekuchen erinnern mich an meine Kindheit im großelterlichen Haus, eine Zeit an die ich sehr gerne zurück denke. Für andere ist es ein besonderes Parfüm oder der Geschmack süßer Beerenfrüchte, die positive Emotionen wachrufen.

Finde deinen Anker

Die Kunst liegt nun darin, selbst einen „Anker“ zu finden und setzten. D.h. du verknüpfst bewusst einen Reiz (Auslöser) mit einer bestehenden Erfahrung.

Schritt 1:

Zunächst einmal solltest du überlegen, wann du in deiner täglichen Arbeit an deine Grenzen kommst und dringend einen Anker brauchen könntest. Welche Eigenschaft bräuchtest du in diesem Augenblick am allermeisten.

Erst wenn du weißt, wann du einen Anker brauchst, kannst du auch gezielt einen „Anker“ setzen. Durch die Aktivierung des „Ankers“ mittels eines bewussten Auslösers, versetzt du dich wieder in einen ressourcenvollen Zustand, so dass sich die Aufregung und Nervosität legt und du besonnen reagieren kannst.

Schritt 2:

Dann erinnere dich an eine Situation oder ein Ereignis, in der du Emotionen empfunden hast, du die gerne verankern möchtest. Erlebe dabei in deiner Erinnerung die Situation mit allen Sinnen nochmal nach:

  • Was siehst du?
  • Was hörst du?
  • Was spürst du?
  • Was riechst du?
  • Was schmeckst du?

In meinem Fall habe ich ein ganz klares Bild vor Augen. Ich stehe an der Ostsee und schaue auf das weite Meer. Der Wind bläst mir ins Gesicht. Ich schmecke ein bisschen Salz auf meinen Lippen. Ich schaue den über den Wellen segelnden Möwen zu. Ich fühle mich frei und unbeschwert.

Schritt 3:

Du bist nun mittendrin im (Nach)Erleben und kurz vor dem Höhepunkt des Erlebens, drückst du mit ein bis zwei Fingern für 8-10 Sekunden eine Körperstelle, deinen kleinen Finger, dein Ohrläppchen oder deinen Oberarm. Suche dir auf jeden Fall eine Stelle aus, die du jederzeit anfassen kannst. Ich lege gerne die Hand auf mein Herz.

Drücke diese Köperstelle und erlebe mit all deinen Sinnen, diese so kraftvolle Situation, die du für dich in Erinnerung gerufen hast.

Schritt 4:

Löse den Druck, lass die hervorgerufene Situation gedanklich wieder los und denke an was ganz Banales.

Schritt 5:

Teste dann über das Auslösen des Ankers, also durch das Drücken der besagten Körperstelle, ob sich die „verankerte Emotion“ bei dir wieder einstellt. Wiederhole das mehrmals. Falls sich die gewünschten Emotionen nicht einstellen sollte, bzw. du nicht das Gefühl eines ressourcenvollen Zustands hast, dann beginne nochmal bei 1.

Schritt 6:

Üben, wiederholen, üben, wiederholen: Anker wollen gepflegt sein! Aktiviere regelmäßig deinen Anker und fühle die Erfahrung und Emotionen, die du verankert hast.

Eine andere Möglichkeit seine Erfahrungen und Emotionen zu verankern, ist die Verwendung eines Gegenstandes, Talismanns oder einer Halskette. Prinzipiell ist das Vorgehen wie oben bereits beschrieben, nur drückst du dann keine Körperstelle, sondern den Gegenstand.

Ein gut gepflegter „Anker“ kann hilfreich sein!

Nicht selten begegnen wir unterschiedlichsten stressauslösenden Situationen: für Auszubildende kann das die anstehende Facharbeit oder Prüfungssituation sein. Im pädagogischen Alltag steht der nächste Elternabend oder ein schwieriges Elterngespräch an. Für einen Konflikt mit dem*r Kolleg*in brauchst du einen klaren Kopf. In diesen unterschiedlichen Situationen kann es wertvoll und hilfreich sein, auf deinen Anker zurück zu greifen.

Die Anker-Methode ist übrigens auch eine wichtige Methode für Teams, die regelmäßig biografische Selbstreflexion machen. Bei dieser Auseinandersetzung kann der*die Einzelne mit belastenden Anteilen der eigenen Geschichte in Kontakt kommen. Um sich in diesen Situationen gut schützen zu können, hilft die Anker-Methode, sich der eigenen inneren Kraft, Zuversicht und Stärke zu besinnen und positive Emotionen abzurufen.

Und nun wünsche ich dir viele möglichst stressfreie Zeiten mit Kindern, Eltern und Kolleg*innen.

Deine Anja

Meine aktuellen Bücher:

Cantzler, A. (2023): Schätze finden statt Fehler suchen, Herder Verlag

Wedewardt, L., Cantzler, A. (2022): Sich seiner selbst bewusst sein, Herder Verlag

Wedewardt, L., Cantzler, A. (2022): Workbook: Sich seiner selbst bewusst sein, Herder Verlag

Tag der Kinderbetreuung 2022 – Arbeiten am Limit

Zusammen mit den Gewerkschaften rufen die Fachkräfteverbände in Deutschland zu einem bundesweiten KiTa-Protest auf. In einem offenen Brief der Fachkräfteverbände heißt es:

„Unter dem Hashtag #kitasamlimit, #esreicht und #unsglangts (in Bayern) protestiert das Personal aus den Kitas. Sie sind am Limit und es ist kein Ende in Sicht. Sowohl die Personalsituation, als auch die schlechten Rahmenbedingungen, auf die immer wieder aufmerksam gemacht wird, führen unter den Kita-Fachkräften zu Frust und Ärger. Die Pandemie tut ihr Übriges, indem sie den Krankenstand in die Höhe treibt und die Gesundheit von Kindern, Personal und Familien bedroht.

Im Januar diesen Jahres legte die Agentur für Arbeit beeindruckende Zahlen vor: auf 100 freie Stellen kommen nur noch 79 Fachkräfte. Im Jahr 2010 waren es noch 253 Fachkräfte. Immer mehr Fachkräfte verlassen ihren Beruf und orientieren sich neu. Der Fachkräftemangel verstärkt sich weiter!

Mit der Aktion #kitasamlimit wollen wir, über die einzelnen Bundeslandgrenzen hinaus, auf die Bedingungen in den Kitas aufmerksam machen. Wir wollen den Kindern wieder eine verlässliche Betreuung und Bildung anbieten. Der Wert der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung dürfen der Pandemie, den schlechten Rahmenbedingungen und einem realitätsfernen Personalberechnungsschlüssel nicht zum Opfer fallen.

Kitas sind keine „Aufbewahrungsstätte“ für Kinder. Wir unterstützen Kinder in ihrem Handeln und legen den Grundstein für ihren weiteren Werdegang. Wir sind eine Bildungsstätte und das Sprachrohr der Kinder. Wir wollen mit ihnen lachen und Spaß haben, auf ihre Bedürfnisse eingehen und ihre Individualität sehen. Wir wollen Kinderrechte sichern und ein Schutzhaus für die Kleinsten sein. Doch es fehlt an Kapazität, es fehlt die Zeit, das Personal und inzwischen die Kraft.

Verbände für Kita Fachkräfte

Seit 2020 sind in vielen Bundesländern Verbände für Kita Fachkräfte entstanden, deren Mitglieder sich aktiv für die Verbesserung der Arbeits- und Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung aktiv einsetzen. Der Fachkräfteverband hier in NRW wendet sich beispielsweise regelmäßig mit Aufrufen und Briefen an das zuständige Ministerium des Landes NRW. Die aktuellen Missstände werden nicht mehr einfach so hingenommen und das ist gut so.

Auch wenn es in der Kinderbetreuung nicht darum gehen kann, einen ruhigen und störungsfreien Alltag mit den Kindern zu verbringen, in dem Kinder sich lieb und brav anpassen und einfach nur funktionieren.

Fachkräftemangel, viele Erkrankungen der Mitarbeitenden, zu große Gruppen, fehlende Vorbereitungszeiten etc. erschweren das Arbeiten in der Kinderbetreuung. Ich erlebe gerade viel zu viele Fachkräfte, die am Ende ihrer Kräfte, ausgelaugt und frustriert sind. Das kann und darf nicht so weiter gehen.

Die Antwort hierauf kann und darf nicht lauten: „Ach, das schaffen Sie doch auch locker alleine. Das geht woanders doch auch.“ „Dann verzichten sie doch einfach auf die Pause.“ „Die Berichte können Sie doch auch zu Hause nach Feierabend schreiben.“ „1-2 Kinder mehr pro Gruppe ist doch kein Problem.“

Viele Fachkräfte fühlen sich gerade zu Recht von ihren Trägern und der Politik im Stich gelassen. Der aktuelle Streik für bessere Rahmenbedingungen ist mehr als überfällig und notwendig. Es geht darum, gemeinsam dafür einzutreten, dass die pädagogische Arbeit nicht immer mehr zur Kinderverwahrung verkommt.

Ein Jahr voller Krisen und Katastrophen

Der Beginn der Pandemie liegt nun schon zwei Jahre zurück und ist für dich und deine Kolleg*innen immernoch eine unliebsame Begleiterin. Nur wenige aus deinem Arbeitsfeld sind um eine Erkrankung herum gekommen. Die einen haben es ganz gut weggesteckt, andere leiden immernoch an den Folgen.

Aber es blieb nicht bei der Pandemie. Im vergangenen Sommer überraschten uns die Hochwasserkatastrophen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Besonders gebeutelt wurde das Ahrtal, das sich bis heute noch nicht erholt hat. Mittendrin Fachkräfte, die nicht nur ihr eigene Existenz verloren hatten, sondern gleichzeitig die zerstörte Infrastruktur der Kinderbetreuung wieder aufbauen mussten.

Die Nachricht über diese Hochwasserkatastrophe ereilte mich auf dem Weg in den Urlaub und ließ mich nicht mehr los. Ich schrieb mitten in der Nacht noch einen Blogartikel um Fachkräften Handlungsstrategien zur Begleitung der Kinder in den betroffenen Gebieten an die Hand zu geben. Ergänzend dazu erschien ein KitaTalk mit Corinna Scherwath mit dem Titel: Warum Reden manchmal doch Gold ist.

Und jetzt beherrscht schon seit Wochen der Ukraine Krieg unser Leben. Viele Kitas haben bereits Kinder mit Fluchterfahrung aufgenommen, ohne zusätzliche personelle Unterstützung.

Auskotzen als Psychohygiene

Im letzten Online Gruppencoaching für Leitungskräfte habe ich die Leitungskräfte dann auch dazu eingeladen, sich verbal einmal so richtig Luft zu machen. Mit den Fragen aus dem Buch von Daniel Hoch: Das Leben ist schön Scheisse, sind wir den Fragen nach gegangen.

  • Muss ich…  mich jetzt freuen, auch wenn es mir eigentlich schlecht geht und ich alles blöd finde? Ist es immer erforderlich, sich zu freuen?
  • Will ich… mich gerade überhaupt freuen?
  • Was will ich stattdessen?  Was hat mich bisher abgehalten meinen wahren Gefühlen zu folgen? – SAG PROAKTIV JA ZUM FLUCHEN!
  • Worauf fokussierst du dich?  – Denk einfach mal an alles, was du gerade nicht ändern kannst! Und genau dass darfst Du einfach mal SCH… finden!
  • Und was ist nun zu tun?  – Lass einfach mal alles raus!

Die Rückmeldung der Leitungskräfte war durchgängig positiv, weil es einfach mal gut getan hat in dieser Runde ein Ventil für den angestauten Frust der letzten Wochen, Monate und Jahre zu finden. Du kannst diese Antworten auch aufschreiben und dann verbrennen. Dann verabschiedest du dich ritualisiert von den Ärgernissen und Belastungen.

Einfach mal Danke sagen

Ich weiß, dass viele Fachkräfte und vielleicht auch du, sich mehr Anerkennung und Wertschätzung wünschen. Dazu möchte ich meinerseits den heutigen Tag, den Tag der Kinderbeteuung nutzen. Dieser Tag findet seit 2012  immer an dem Montag nach Muttertag statt. Mit Blick auf die nicht immer ganz einfache Situation, möchte den heutigen Tag dazu nutzen, dir und deinen Kolleg*innen einfach einmal Danke für die wichtige und wertvolle Arbeit zu sagen, die Du* Ihr tagein und tagaus leistet.

Ich danke hiermit allen pädagogischen Fachkräften, die

  • Tag für Tag für die Kinder da sind und seit 2 Jahren ihre Gesundheit riskieren
  • die Kinder ohne 1,50m Abstand und Maske in den Arm nehmen
  • Tagtäglich Tränen trocknen, Nasen putzen
  • auf die Gefühle, Sorgen und Ängste der Kinder eingehen
  • und eigene Sorgen und Ängste zurückstellen
  • ein offenes Ohr für die Nöte der Eltern haben
  • trotz eigener Sorgen liebevoll den Kindern und Familien in den Hochwassergebieten wieder einen sicheren und verlässlichen Ort bieten
  • Geflüchtete Kinder und Familien mit offenen Armen empfangen

Hoffentlich haben  wir jetzt wirklich bald das Licht am Ende des Tunnels erreicht.

Deine Anja

 

 

Auch Zusehen braucht Begleitung – mit Kindern über den Krieg sprechen

Ein weiteres Mal schreibe ich spontan aus einem aktuellen Anlass heraus diesen Blogartikel.

Eine Krise folgt der nächsten

Noch stecken wir mitten in der Pandemie, die Bilder der Hochwasserkatastrophe sind noch im Kopf, auf La Palma hat ein Vulkanausbruch Existenzen zerstört und jetzt ist Krieg in der Ukraine.

Mittendrin in dieser Bilder- und Nachrichtenflut stehen unsere Kinder. Für sie ist der Krieg weit weg und doch so unglaublich nah.

Das transgenerationale Erbe überwinden

Und wieder einmal möchte ich dich daran erinnern, unser transgenerationales Erbe nicht weiter auf die Kinder zu übertragen. Damit meine ich die Bürde, dass wir als Kriegsenkel und -urenkel gelernt haben, über solch schlimme Ereignisse, nicht zu sprechen. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ – das wurde vielen von uns mit in die Wiege gelegt. Um so wichtiger ist es, dass wir gerade jetzt das Schweigen brechen und beginnen über unser Erleben zu sprechen und unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Die Kinder brauchen jetzt erwachsene Vorbilder, die ihnen Halt und Worte geben. Darüber habe ich im vergangenen Jahr einen KitaTalk mit Corinna Scherwath veröffentlicht: „Warum Reden doch manchmal Gold ist“. Da hatten wir noch keine Ahnung, dass wir tatsächlich wieder einen Krieg auf europäischen Boden bekommen werden.

Auch wenn es richtig und wichtig ist, die Kinder vor der nun entstehenden Medienflut zu schützen, gibt es viele Kinder, die Bilder von diesen Krieg durch Medien sehen und Erwachsene darüber reden hören. Diese Kinder brauchen den Raum und zugewandte Erwachsene, um für ihre Gefühle und Eindrücke Worte zu finden.

Kinder auf das Gesehene und Gehörte ansprechen

Und wir müssen nicht immer erst warten, bis ein Kind von sich aus beginnt, darüber zu reden oder dem Ganzen in seinem Spiel Ausdruck zu verleihen. Es besteht genauso die Möglichkeit, gemeinsam in einer Gesprächsrunde einmal nachzufragen, was die Kinder von den Kriegshandlungen mitbekommen haben. Frag sie nach ihren Gedanken und Gefühlen dazu. Sprich über das vermeintlich Unaussprechliche ohne zu dramatisieren. Wie immer ist hierbei, den Grundsatz der Freiwilligkeit zu beachten. Das bedeutet, dass jedes Kind über seine Gefühle sprechen kann aber nicht muss.

Kathrin Mikan hat einen sehr wertvollen Beitrag auf ihrer Internetseite mit dem Titel: Wie spreche ich mit Kindern über den Krieg? veröffentlicht. Sie gibt viele gute Anregungen. Dort findest du auch Informationen zu ihren Gefühlehelden, die dich gerade jetzt wunderbar in deiner Arbeit mit den Kindern unterstützen. Weitere kindgerecht aufbereitete Informationen bietet aktuell auch kika – der Kinderkanal von ZDF.

Außerdem hat der AV1- Pädagogikfilmverlag einen sehr wertvollen Film zum Thema „Kinder und Krieg“ mit dem Kinder- und Jugentherapeuten Prof. Dr. Ulrich Müller und der pädagogischen Leitung Melanie Bringmann zum Download bereit gestellt. Dort bekommst du viele Anregungen für die Praxis. Ein Film der sich wunderbar zur eigenen Vorbereitung im Team eignet. Und das Tollste daran ist, dass der Erlös des Filmes 1:1 Kindern in der ukraine zu Gute kommt.

Gefühlen und Sorgen Raum geben

Solltest Du feststellen, dass die Sorgen und Ängste tiefer sitzen, möchte ich Dich wiedereinmal an Mareike Paics Gastbeitrag über „Phil, den Sorgenschmelzer und seine Kummerkumpel“ erinnern. Ergänzend zum Thema Gefühle hat Mareike einen weiteren wertvollen Beitrag über den Einsatz der „Gefühlsuhr“ geschrieben.

Gundula Göbels Trosttankstelle ist auch eine wertvolle Anregung, die Kinder in ihrer Resilienz zu stärken. Sie sagt: Trost bedeutet für Kinder in schwierigen Situationen Zuversicht und Ermutigung zu erfahren.

Ein Ressourcen- und lösungsfokussierter Blick

Wichtig ist auf jeden Fall auch dieses Mal wieder ressourcen- und lösungsfokussiert auf das Geschehen zu schauen. Die Demonstrationen gegen den Krieg zeigen, dass viele Menschen sich zusammentun, weil sie gegen diesen Krieg sind. Das gibt die Möglichkeit auch über Hoffnung, Verbundenheit und Zusammenhalt zu sprechen. Die kleinen und großen Heldengeschichten nicht aus den Augen zu verlieren, stärken den lösungsfokussierten Blick. Vielleicht möchten die Kinder auch etwas Gutes für die Menschen in den Kriegsgebieten tun und sich an Spendenaktionen für humanitäre Hilfen beteiligen.

Meine Vision

Meine Vision Ich möchte dazu beitragen, dass wir es irgendwann schaffen, unser Erbe des transgenerational bedingten Schweigens hinter uns zu lassen. Ich wünsche mir, dass die nachfolgenden Generationen Worte finden, um ihre Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken zu können. Und das ohne sich dafür rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen. Es werden noch viele Krisen und Katastrophen und vielleicht auch Kriege folgen. Die heranwachsenden Kinder brauchen andere, erweiterte Kompetenzen, um damit umzugehen und die Erlebnisse zu verarbeiten. Dafür braucht es jetzt Erwachsene, die Kindern in Gleichwürdigkeit begegnen und die die in all ihren Facetten und Gefühlsebenen ernst nehmen. Soweit meine Gedanken und Anregungen zum aktuellen Geschehen.
Meine Gedanken sind gerade bei den vielen Familien mit ihren Kindern, die diesen Krieg in der Ukraine und in Russland erleiden müssen.
Deine Anja
P.S. Für die Arbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung habe ich einen weiteren Talk mit Corinna Scherwath aufgenommen: Die Kita als sicherer Ort für Kinder mit und ohne Fluchterfahrung

„Jetzt grinst der mich auch noch frech an…“ – Was wirklich dahinter steckt!

Kommt Dir das bekannt vor? Ein Kind schubst, haut oder beißt ein anderes Kind und grinst Dich dann breit an, wenn Du dazwischen gehst. Oder ein anderes Kind übertritt eine Regel, schaut zu Dir und grinst Dich auch noch an. Vermutlich kannst Du noch viele solcher Situationen aus Deinem Alltag aufzählen, in den Kinder mit Lächeln, breitem Grinsen oder gar lautem Lachen reagieren, ein Verhalten das für Dich in diesem Moment unangemessen ist. Hand aufs Herz: Du hast Dich bestimmt auch schon mal in einem solchen Moment sehr über dieses Lächeln, Grinsen oder Lachen geärgert und Dich von dem Kind provoziert gefühlt.

Lächeln als Verlegenheitsgeste

Während meiner Praxis als pädagogische Fachkraft habe ich mit Kindern im Alter von 0-14 Jahren gearbeit und dabei ist mir immer wieder aufgefallen, dass bei den meisten Kindern etwas ganz anderes hinter diesem vermeintlich „frechem Grinsen“ steht.
Vor einigen Jahren Habe ich dann erstmalig in einem Lehr-Video „Babys Signale“ von der Deutschen Liga fürs Kind habe ich dann erstmalig die Bestätigung gefunden, dass es ein „Verlegenheitslächeln“ bei Kindern gibt. Ein Lächeln, das Kinder zeigen, wenn sie verlegen oder verunsichert sind.
Das Video findest Du hier. Bei der näheren Beschäftigung mit diesem Verlegenheitslächeln habe ich dann viele verschiedene Auslöser für dieses Lächeln gefunden z.B. Verlegenheit, Scham, Verunsicherung, Erschrecken.

Schnell entdeckte ich auch Parallelen zu Verhaltensweisen von Erwachsenen. Wenn wir einmal genauer nachdenken, lächeln auch wir oftmals in Situationen, die uns peinlich oder unangenehm sind. Ich selbst kenne es durchaus auch, dass in mir Lachen aufsteigt, wenn ich mich in Situationen, in denen ein anderer sich verletzt oder stürzt, fürchterlich erschrecke. Aus Sorge, dass das mir als Schadenfreude ausgelegt werden könnte, versuche ich dieses Lachen zu unterdrücken, was mir aber nicht immer gelingt. Dieses Lachen ist in dem Augenblick dann wie eine Übersprungshandlung. Vielleicht kennst Du ja solche Situationen bei Dir selbst. Spür doch mal nach, wann hast Du das letzte Mal in einer Situation selbst den Kopf schief gelegt und Dein Gegenüber angelächelt, weil Dir gerade etwas unangenehm oder peinlich war. Oder wann Du das letzte Mal laut aufgelacht hast, wo Du eigentlich sehr erschrocken warst.

Neurowissenschaftliche Erklärung

Bei näherer Betrachtung handelt es sich hierbei um eine der klassischen Verlegenheits- bzw. Beschwichtigungsgesten. Darunter zählen: sich klein machen, sich leicht wegdrehen, den Kopf schief halten, den Blick senken und eben das Lächeln bzw. Lachen in seinen verschiedenen Facetten.
Das gehört zum ganz normalen Verhaltensrepertoire von uns Menschen.

Auf einer Fachtagung über „Neurowissenschaften und Coaching“ bekam ich dann  bei dem Vortrag von Dr. Martin Meyer die neurowissenschaftliche Erklärung für dieses Verhalten. Dieses Lächeln wird demzufolge auch als „subdominantes Lächeln“ bezeichnet und führt uns zurück zu unserer evolutionären Entwicklung.

Schauen wir uns doch einfach mal unsere nächsten „Verwandten“ genauer an, um den Entwicklungsverlauf und die Überbleibsel besser zu verstehen. Wenn Halbaffen beispielsweise ihrem Gegenüber die Zähne zeigen, handelt es sich hier nicht, wir zunächst vielleicht vermuten, um eine Drohgebärde, sondern um eine ausgeprägte Beschwichtigung. Indem ein Halbaffe seine Zähne deutlich zeigt, signalisiert er, dass er diese nicht benutzen will. Denn wer breit grinst, kann seine Zähne gerade nicht zum Beißen verwenden. Auch bei den menschenähnlicheren Primaten, wie den Lemuren oder den Rhesusaffen, ist das Zeigen der Zähne eine ausgeprägte Demutsgeste. Und bei Pavianen gibt es sogar ein Beschwichtigungsritual – sie verbeugen sich, strecken dem Widersacher ihren Po entgegen, schmatzen laut und grinsen breit. Das soll dem dem anderen Signalisieren: „Ich entschuldige mich!“

Genau diese Beschwichtigungsgesten und -rituale sind bei uns Menschen rudimentär erhalten geblieben und bei Kindern oftmals noch ausgeprägter zu beobachten. Laut Dr. Meyer ist das hier beschriebene Lächeln verstärkt in hierarchischen Beziehungen und Abhängigkeiten , z.B. bei einem Kind in der Interaktion mit einem Erwachsener, zu beobachten. Demzufolge können wir uns mit wissenschaftlicher Unterstützung davon verabschieden, dass das Kind uns mit diesem Verhalten provozieren möchte.

Provokation ergibt für ein Kind keinen Sinn

Hilfreich ist auch, sich immer wieder zu verdeutlichen, dass ein bewusstes Provozieren erst dann möglich ist, wenn das Kind über ausreichend Empathie verfügt. Um jemanden absichtlich zu provozieren , muss das Kind sich in die Gedanken- und Gefühlswelt eines anderen einfühlen können. Dieser Perspektivwechsel ist entwicklungsgemäß erst mit etwa vier bis sechs Jahren der Fall (Theory of mind). Deswegen gilt für Kinder zwischen einem und vier Jahren also fast immer, dass es sich bei ihrem (vermeintlich) frechen Grinsen in de Regel um eine Beschwichtigungsgeste handelt.

Das Lachen eines Kindes in Konfliktsituationen macht uns oftmals wütend, weil wir es nicht als Beschwichtigung empfinden, sondern als Provokation. Das Grinsen wird  vom Erwachsenen dann übersetzt mit: „Red doch soviel wie Du willst! Ich höre Dir sowieso nicht zu! Es ist mir völlig egal was Du sagst!“
Das stimmt in den meisten Fällen aber nicht, denn die eigentliche Botschaft des Kindes lautet: „Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun dürfen. Es tut mir leid, sei bitte nicht mehr ärgerlich“.

Versuch doch einfach das nächste Mal, wenn ein Kind Dich vermeintlich frech angrinst, mit „Oh, ich sehe, es tut Dir leid“ oder „Oh, ich merke, Es ist Dir unangenehm“ oder „Du weißt gerade gar nicht, was Du tun sollst“ zu reagieren. Ich bin schon gespannt, was Du dann berichten kannst, wie das Kind darauf reagiert hat. Du kannst mir gerne per Mail darüber berichten.

Im Laufe der Zeit habe ich zum Thema zusätzlich aufgesammelt, dass die vorsätzliche Provokation eigentlich gar nicht im Verhaltensrepertoire von Kindern vorgesehen ist. Evolutionsbiologisch und bindungstheoretisch gesehen ergibt es gar keinen Sinn, dass sich Kinder gegen Erwachsene, von denen sie abhängig sind, grundlos auflehnen. Für ein Kind ist es wenig sinnvoll, durch unangemessenes Verhalten diejenigen zu verärgern, die für ihr Überleben und Wohlergehen sorgen. Es liegt demzufolge überhaupt nicht in der Natur des Kindes, sich unkooperativ zu verhalten und Konflikte grundlos zu provozieren. Jesper Juul vertritt sogar die Meinung, dass Kinder eher zuviel mit den Erwachsenen kooperieren, manchmal auch mehr als es dem Kind selbst gut tut.

Das Prinzip des guten Grundes

Eine Kollegin hat einmal geäußert: „Alles, was mich länger als 15 Sekunden ärgert, hat mehr mit mir selbst zu tun, als mit meinem Gegenüber:“ Es lohnt durchaus, sich selbst zu reflektieren, was das Kind gerade in Dir triggert und womit Du in Kontakt kommst.

Und sollte ein Kind in Deiner Gruppe also das nächste Mal grinsen oder lachen, um tatsächlich zu provozieren, dann solltest Du gut überlegen, warum es das gerade tut. Möglicherweise ist sein Zuwendungs-und Aufmerksamkeitstank leer. Oder es ist gerade einfach mit der Situation überfordert und es findet keinen anderen Weg, dieses Bedürfnis auszudrücken. Manchmal sind Kinder dann in diesen Ausdrucksweisen gefangen und wissen keine andere Handlungsalternative, als weiter zu machen.
Versuch am besten die dahinterstehenden Bedürfnisse zu ergründen und diese für das Kind zu benennen. Ich nutze dazu gerne das „Prinzip des guten Grundes“, um diese tieferliegenden Bedürfnisse zu ergründen. Dazu habe ich bereits einen anderen Blogbeitrag geschrieben, in dem es im Kern zwar um die guten Gründe von Eltern geht.  Der Ansatz ist jedoch genauso gut auf Kinder übertragbar.

So und jetzt freue ich mich über Dein Feedback und Deine Erfahrungen mit vermeintlich frechem Grinsen und provozierendem Verhalten. Schreib mir gerne hierzu etwas in die Kommentare. Vielleicht hast Du ja nach gute Tipps und Tricks, was Dir hilft, nicht in diese Provokationsfalle zu tappen und auf das Bedürfnis des Kindes eingehen zu können.

Deine Anja

 

Tipps zur Vertiefung des Themas:

Podcast: Feas Naive Welt

Buch: Kathrin Hohmann – Gemeinsam durch die Wut – Edition Claus, 2020

Worte und Wege finden in Krisen und Katastrophen

Zur Zeit sind wir gebeutelt von Krisen und Katastrophen. Die Pandemie rückt gerade ein wenig in den Hintergrund, obwohl es schon wieder erste warnende Stimmen vor einer weiteren Welle gibt. Trotzdem kommt es zu keiner echten Entspannung, da durch die Überschwemmungen in mehreren Regionen Deutschlands viele Familien ihre Lebensgrundlage von einem Augenblick auf den nächsten zerstört wurde.

Das transgenerationale Erbe

Wir haben schreckliche Bilder gesehen, die wir sonst nur mit Katastrophen in anderen Ländern verbinden. Unsere Kanzlerin sprach von einem Ausmaß, für das uns in der deutschen Sprache die Worte fehlen.
Und da ist es wieder: unser transgenerationales Erbe. Damit ist gemeint, dass wir als Kriegsenkel gelernt haben, über solch schlimme Ereignisse, nicht zu sprechen, sondern lieber zu schweigen. Sogar einer so klugen, gebildeten Frau wie Angela Merkel fehlen die Worte.
Um so wichtiger ist es, dass wir gerade jetzt das Schweigen brechen und beginnen über unser Erleben zu sprechen und unseren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Die Kinder brauchen jetzt erwachsene Vorbilder, die ihnen Halt und Worte geben.

Psychosoziale Notfallversorgung

Ich denke zum einen an die Kinder, die die Hochwasserkatastrophe und ihre Auswirkungen hautnah erleben. Zum anderen gibt es viele Kinder, die die Bilder im Fernsehen und in der Zeitung gesehen haben und die Gespräche der Erwachsenen mitbekommen.

Für die Kinder, die die Katastrophe miterleben, bedarf es einer psychosozialen Notfallversorgung durch zugewandte Erwachsene.
Dazu gehört:

  • ein Sicherheitsgefühl zu vermitteln: die Kinder brauchen zumindest in Teilen die Wiederherstellung des ihnen vertrauten Tagesablaufs. Wenn dies nicht möglich ist, sollten sie viel Nähe durch die Eltern und durch andere wichtige Bezugspersonen wie z.B. Tagespflegepersonen, Päd.Fachkräfte und Lehrer*in en erfahren.
  • Kinder mit einzubeziehen: Kinder möchten dabei sein und nicht ausgeschlossen werden. Sie möchten sich an den Aufräumarbeiten beteiligen. Sollte es vorüber nötig werden, die Kinder bei näherstehenden Verwandten oder Freunden unterzubringen, sollte dies nachvollziehbar mit den Kindern kommuniziert werden.
  • Einblick in die Gedanken und Gefühle der Erwachsenen: Die Kinder spüren sehr deutlich die Sorgen und Ängste der Erwachsenen. Wenn wir als Erwachsene einen offenen Umgang damit pflegen, kommen wir aus dem erlernten Schweigen heraus. Die Kinder dürfen die Erfahrung machen, das es gut tut, über das Erleben zu reden und leidvolle Erfahrungen teilen zu dürfen. Das trägt zur psychischen Entlastung bei.
  • das Geschene nicht zu bagatellisieren: Oftmals geschieht dies aus dem Bedürfnis heraus, Kinder schützen zu wollen. Viele Erwachsene meinen, das Kinder noch zu klein sind, das zu verstehen oder zu verkraften. Mit starken und ehrlichen Erwachsenen an der Seite, wachsen Kinder in diesen Situationen und gewinnen eine Menge Widerstandskraft (Resilienz) für ihr weiteres Leben hinzu.
  • das Geschehene nicht zu überdramatisiert: Trotzdem sollte nichts geäußert werden, dass das Kind über Gebühr ängstigt.
  • Kinder aktiv beteiigen, wenn sie das wollen: Einige Kinder wollen sich aktiv an den Aufräumarbeiten beteiligen und sich nützlich machen. Auch hier gilt es eine gute Balance zu wahren: die Kinder einzubeziehen ohne sie körperlich oder psychisch zu überfordern.
  • Kinder Kindsein zu ermöglichen: Mit Freunden treffen, spielen und das tun, was gut tut. Es gibt gerade einzelne Angebote für Kinder in den Krisengebieten, wie z.B. ein Zirkus, der betroffene Kinder kostenlos in sein Ferienangebot aufnimmt. Hier dürfen die Kinder für ein paar Stunden Kind sein und ein bisschen Abwechslung genießen. Auch das ist als Ausgleich sehr wichtig.
  • das Erlebte thematisieren: Ganz zentral ist das schließlich die Möglichkeit über das Gesehene und Erlebte sprechen zu können und jemanden zu haben, der interessiert und zugewandt zuhört.

 

Die von mir dargestellten Punkte habe ich in Anlehnung an die Psychosoziale Notfallversorgung von Harald Karutz formuliert. Vieles hiervon lässt sich auch gut auf andere Krisen und Katastrophen übertragen.

Wieder einmal kommt mir der Grundsatz von Janusz Korczak in den Kopf: „Jedes Kind hat das Recht auf den heutigen Tag.
Die Betroffenen Kinder haben demzufolge ein Recht darauf, an diesem Hier und Jetzt der Katastrophe einbezogen und beteiligt zu werden, damit sie eine Chance haben das Ganze zu verstehen. Soweit ersteinmal zu den Kindern, die unmittelbar betroffen sind.

Auch Zusehen aus der Ferne braucht Begleitung

Auf der anderen Seite gibt es viele Kinder, die diese Katastrophe im Fernsehen gesehen und Erwachsene darüber reden gehört haben.
Auch diese Kinder brauchen den Raum und zugewandte Erwachsene, um für ihre Gefühle und Eindrücke Worte zu finden.
Und wir müssen nicht immer erst warten, bis ein Kind von sich aus beginnt, darüber zu reden oder dem Ganzen in seinem Spiel Ausdruck zu verleihen.

Es besteht genauso die Möglichkeit, gemeinsam in einer Gesprächsrunde einmal nachzufragen, was die Kinder von den Überschwemmungen mitbekommen haben. Frag sie nach ihren Gedanken und Gefühlen dazu. Sprich über das vermeintlich Unaussprechliche ohne zu dramatisieren.
Wichtig ist hierbei, den Grundsatz der Freiwilligkeit zu beachten. Das bedeutet, dass jedes Kind über seine Gefühle sprechen kann aber nicht muss.
Solltest Du feststellen, dass die Sorgen und Ängste tiefer sitzen, möchte ich Dich an Mareike Paics Gastbeitrag über „Phil, den Sorgenschmelzer und seine Kummerkumpel“ erinnern. Ergänzend zum Thema Gefühle hat Mareike einen weiteren wertvollen Beitrag über den Einsatz der „Gefühlsuhr“ geschrieben.

Wichtig ist auf jeden Fall ressourcen- und lösungsfokussiert auf das Geschehen zu schauen. Es ist wirklich sehr bemerkenswert, wieviele freiwillige Helfer sich bereits gefunden haben und vor Ort tatkräftig mit anpacken. Diese kleinen und großen Heldengeschichten wie Corinna Scherwath (Autotrin des Buches: Liebe lässt Gehirne wachsen) sie nennt, stärken den lösungsfokussierten Blick. Vielleicht möchten ein paar Kinder auch etwas Gutes tun und es entsteht eine kleine Spendenaktion. Ganz aktuell gibt es bedauerlicherweise auch Kindertagespflegestellen und Kindergärten, die ganz von vorne anfangen müssen. Vielleicht können hier Kontakte hergestellt und irgendetwas zum Wiederaufbau beigesteuert werden.

Eine Zukunft ohne Schweigen

Ich hoffe, dass wir es irgendwann schaffen, unser Erbe des transgenerational bedingten Schweigens hinter uns zu lassen. Ich möchte dazu beitragen, dass die nachfolgenden Generationen Worte finden, um ihre Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken zu können. Und das ohne sich dafür rechtfertigen oder entschuldigen zu müssen.

Es werden noch viele Krisen und Katastrophen folgen, die heranwachsenden Kinder brauchen andere Kompetenzen, um damit umzugehen und die Erlebnisse zu verarbeiten. Dafür braucht es jetzt Erwachsene, die Kindern in Gleichwürdigkeit begegnen und die die in all ihren Facetten und Gefühlsebenen ernst nehmen.

Soweit meine Gedanken und Anregungen zum aktuellen Geschehen. Ich wünsche Dir viel Kraft und Energie, falls Du dies als Betroffene*r lesen solltest. Auf jeden Fall wünsche ich Dir als Betroffene*r oder Begleitende*r den Mut, das Schweigen zu brechen und mit den Kindern in einen offenen, klärenden und bestärkenden Dialog zu kommen.

Deine Anja

P.S.
Eine weitere wertvolle Handreichung zur Unterstützung von Kindern in Krisen hat Gundula Göbel zusammengestellt. Hier kommst Du direkt zum kostenlosen Download.

Ein interessantes Online-Seminar zum Thema „Alles wieder gut?!- Pädagogik in (post-)pandemischer Zeit“ bietet aktuell Corinna Scherwath an.

Tag der Kinderbetreuung – Einfach mal Danke sagen

Seit 2012 findet immer an dem Montag nach Muttertag der Tag der Kinderbetreuung statt. Dieses Jahr fällt dieser Tag auf den 10. Mai und ich möchte den heutigen Tag dazu nutzen, Dir und Deinen Kolleg*innen einfach einmal Danke für die wichtige und wertvolle Arbeit zu sagen, die Du* Ihr tagein und tagaus leistet.

Ein Jahr voller Herausforderungen

Im März des letzten Jahres begann der 1. Lockdown und wir befanden uns alle von heute auf morgen im Schockzustand. Du und Deine Kolleg*innen mussten auf einmal ganz neu denken und Eure Arbeit komplett umstellen. In vielen Kinderbetreuungsstellen waren zunächst nur sehr wenige Kinder zu betreuen und viele pädagogische Fachkräfte wurden ins Home Office geschickt. Endlich war einmal Zeit, viel Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Gleichzeitig wurde versucht, irgendwie den Kontakt zu Kindern, Eltern und Kolleg*innen aufrecht zu erhalten. Es entstanden viele gute Ideen und Projekte – und wieder einmal zeigten Pädagogische Fachkräfte ihre Felexibilität und Kreativität, sich den Herausforderungen zu stellen.

Zurück in die Zukunft

So überschrieb ich im letzen Sommer einen Blogbeitrag als die Kinderbetreuung vor gut einem Jahr dann in den eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren durfte. Wir alle wähnten uns bereits in einer gewissen Sicherheit, dass diese Pandemie nun bald ein Ende nehmen würde. Natürlich gab es viel zu berücksichtigen und zu bedenken, aber das Gröbste schien überstanden zu sein. Auch in dieser Phase haben die Mitarbeitenden in Krippe, Kita und Kindertagespfelege versucht das Beste aus der Situation zu machen. Du hast mit Deinen Kolleg*innen die Kinder wiedereingewöhnt, Schulkinder verabschiedet und neue Kinder in Empfang genommen. Parallel hast Du Dich um Deine eigenen privaten und familiären Belange gekümmert. In dieser Aufzählung klingt das gerade erstaunlich „normal“, aber in der Realität war da mal gar nichts normal. Betreuung in strikt getrennten Gruppen, Betretungsverbot für die Eltern, keine Dienstbesprechungen, Einhalten von verschärften Hygienevorschriften, vielerorts Masken tragen …

Dann ein erneuter Rückschritt

Seit Ende letzten Jahres befinden wir uns erneut in der sognenannten Notbetreuung, die vielerorts bei näherer Betrachtung ein Regelbetrieb mit verkürzten Betreuungszeiten ist. Anstatt klarer Vorgaben, welches Kind die „Notbetreuung“ nutzen kann, erfolgt ein Appell an die Eltern, der nach Gutdünken auslegbar ist. Viele pädagogische Fachkräfte fühlen sich schon seit längerem nicht mehr ernst und wahr genommen. Sie stehen mit an vorderster Front und bekommen den Unmut der Eltern geballt und ungefiltert ab. Die pädagogischen Fachkräfte und Eltern befinden sich seit Monaten im Ausnahmezustand und dadurch gerät die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft oftmals auf den Prüfstand. Auch hierzu habe ich bereits mehrere Beiträge in diesem Blog bzw. in meinen KitaTalks auf YouTube veröffentlicht.

Einfach mal Danke sagen

Unter diesen Umständen ist es wirklich nicht leicht, immer wieder gut für sich selbst zu sorgen, um dann Tag für Tag mit neuer Kraft für Kinder und Eltern da zu sein. Und deswegen möchte ich an dieser Stelle einfach mal Danke sagen.

Ich danke allen pädagogischen Fachkräften, die

  • Tag für Tag für die Kinder da sind und ihre Gesundheit riskieren
  • die Kinder ohne 1,50m Abstand in den Arm nehmen
  • ohne Plexiglasscheibe Tränen trocknen und Nasen putzen
  • auf die Gefühle, Sorgen und Ängste der Kinder eingehen
  • und eigene Sorgen und Ängste zurückstellen
  • ein offenes Ohr für die Nöte der Eltern haben
  • die ihre eigenen Kinder von anderen zu Hause betreuen lassen, um zur Arbeit zu kommen
  • Dokumentationen im HomeOffice schreiben, während die eigenen Kinder HomeSchooling haben

Ich danke im Speziellen allen Leitungskräften, die

  • den Überblick in diesen ständig sich verändernden gesetzlichen Bestimmungen behalten
  • die Einhaltung der Hygienevorschriften gewährleisten
  • ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen haben, obwohl es ihnen oftmals ähnlich geht
  • den Dienstplan bei allen Schwierigkeiten von Personalschlüssel und Infektionsrisiko organisieren
  • oftmals am Wochenende die Pläne der Regierungen umsetzen mussten
  • trotz erschwerter Bedingungen versuchen, die Teams zusammen zu halten

Licht am Ende des Tunnels

Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, dass wir jetzt wirklich bald das Licht am Ende des Tunnels erreichen. Dann gibt es immernoch viel zu tun und ich bin sehr gespannt, wie die Arbeit in der Kindertagesbetreuung zukünftig aussehen wird. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass es auch im kommenden Jahr wieder Vieles geben wird, für das ich Dir und Deinen Kolleg*innen danken kann.

Deine Anja

 

Hier noch einmal zur Erinnerung die im Text angesprochenen Blogartikel:

 

Und KitaTalks auf YouTube: