Ankommen in der Kita – wieviele Tränen dürfen sein?

In meiner aktuellen Beratungs- und Weiterbildungspraxis steht das Thema Eingewöhnung wieder einmal an vorderer Stelle.

Verunsicherte Eltern

In meiner Rolle als Elternberaterin wenden sich zunehmend verunsicherte Eltern an mich, die den Übergang ihrer Kinder in die Betreuungseinrichtung so sanft und tränenfrei wie möglich gestalten möchten und dabei nicht selten an eine bestimmte Grenzen stoßen. Sie machen sich Sorgen, ob es es richtig ist, ihr Kind überhaupt in eine Kinderbetreuung zu geben und was die Tränen ihrer Kinder wirklich zu bedeuten haben.
Nicht selten kommt dann auch die Frage auf, ob es nicht per se besser wäre, ihr Kind wieder aus der Kita heraus zu nehmen.
Das ist nicht pauschal zu beantworten und auch sehr abhängig von der Qualität der jeweiligen Kinderbetreuung, den individuellen Lebenssituationen und den alternativen Optionen, die einer Familie überhaupt zur Verfügung stehen. In jedem Fall lohnt es sich, als Eltern genau hinzuschauen, in sich hinein zu horchen und den Dialog mit den jeweiligen Fachkräften zu suchen.

Eine bedürfnisorientiert ausgerichtete Kinderbetreuung weiß darum, dass es in dieser entscheidenden Phase des Ankommens in der neuen Umgebung nicht nur um die emotionale Anpassung der Kinder geht, sondern auch um die Schaffung einer vertrauensvollen und unterstützenden Umgebung, die sowohl den Bedürfnissen der Kinder als auch den Ängsten der Eltern gerecht wird.

Darf das Kind weinen?

Die Fragen, ob Tränen überhaupt vermeidbar und wie viel Tränen während der Eingewöhnungsphase akzeptabel sind, bergen ein zentrale Aspekte bei der Gestaltung eines erfolgreichen Übergangs für Kinder in Kripp, Kita und Kindertagespflege.
Zunächst einmal sind Tränen mehr als menschlich und ein natürlicher Ausdruck von Emotionen, Trennungsschmerz und Anpassungsschwierigkeiten, insbesondere dann wenn Kinder sich von ihren primären Bindungspersonen trennen.

Das bedeutet, dass Tränen durchaus zu einem Ankommen in der Kindertagesbetreuung dazu gehören können. Die Herausforderung besteht darin, zu erkennen, wann die Tränen Ausdruck eines für das einzelne Kind gesundes Anpassungsverhalten darstellen und wann sie in der Situation Trennungs- und Verlustängste zum Ausdruck bringen.

Da muss das Kind durch

Für nicht wenige Fachkräfte besteht immer noch die Grundhaltung, dass Weinen einfach dazu gehört und Kindern wie Eltern früher oder später dadurch müssen.
Eltern werden dann oftmals viel zu früh zu ersten Trennungen genötigt, mit dem Hinweis, dass das normal ist und das Kind sich früher oder später schon beruhigen werde. Viele Eltern gehen dann mit einem schlechten Gefühl und je nach Persönlichkeit des Kindes, zieht dieses sich in sich selbst zurück und passt sich an, was dann als Beweis gewertet wird, dass es der richtige Weg ist oder aber es kommt zu anhaltenden Protest, der bedauerlicherweise nicht immer feinfühlig begleitet wird. Das Kind bleibt sich in beiden Fällen emotional selbst überlassen.
Ich möchte an dieser Stelle in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, dass hier emotional gewaltvoll gehandelt wird und völlig indiskutabel ist.

Es geht auch anders

Es braucht feinfühlige Fachkräfte, die den Unterschied erspüren, wann das Kind Trennungsangst hat oder einfach sein Traurigsein über den Abschied von den Eltern verspürt.
Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster beschreibt in letzterem Fall, die im Kind daraus vorhandene Ambivalenz, einerseits ungerne die Bindungspersonen gehen zu lassen und andererseits neugierig auf die anderen Kinder und die KitaWelt zu sein. In diesem Spannungsverhältnis kann es durchaus zu Tränen kommen. Hier helfen dann Trost und Zuwendung durch die Fachkraft. Das Kind braucht die Bestätigung: „Ich verstehe dein Traurigsein darüber, dass deine Bindungsperson geht. Du darfst traurig sein. Ich bin bei dir und gebe dir Halt.“ Sobald die Tränen getrocknet sind, kann sich das Kind in der Regel entspannt dem Spiel mit den anderen Kindern zuwenden.

Traurigsein auszuhalten ist gar nicht so leicht

Wenn Kinder in der Eingewöhnung im Spiel vertieft sind, kommen manche Bindungspersonen auf die Idee, sich ohne Verabschiedung zurückzuziehen. Sie erhoffen sich, so dem Kind und sich selbst das Trennungsleid und die Tränen zu ersparen.
Dies gilt es tunlichst zu vermeiden, da es einem Vertrauensbruch gleich kommt, wenn dem Kind dann die Abwesenheit auffällt. Die Gefahr, dass daraus tiefsitzende Ängste entstehen, ist zu groß. Wichtig ist hier, dass die Fachkraft bereit ist, diesen Abschied zu begleiten.
Bindungspersonen scheuen sich oftmals vor den Tränen ihrer Kinder, weil sie dadurch auch mit eigenen meist unbearbeiteten Kindheitserlebnissen in Kontakt kommen. Dies passiert unbewusst und unreflektiert.

Von Gefühlen ablenken als Schutzstrategie

Ähnlich ergeht es Fachktäften, die das Weinen eines Kindes kaum ertragen können und deswegen ein Kind versuchen schnell abzulenken.
Das gelingt zunächst auch ganz gut, das Kind beruhigt sich für einen Moment. Daraus entsteht nicht selten die Fehlannahme, das Kind würde sich beruhigen, weil es sich getröstet fühlt, das Gefühl verstehen und sich gut regulieren können. Vielmehf erhält es indirekt die Botschaft: „Das, was du fühlst, ist falsch!“, „Du bist nicht richtig!“ Das Kind schluckt dann das Gefühl herunter, verdrängt und schiebt es auf.
Die Fachkraft greift zu dieser Strategie aus Eigenschutz, weil es für sie kaum auszuhalten ist, das Kind so traurig ist.

Biografische Selbstreflexion als Schlüssel

In solchen emotionsreichen Situationen wird die Fachkraft immer auch mit ihren eigenen Gefühlen konfrontiert. Die eigenen Kindheitserfahrungen, eigene Bedürfnisse und verdrängte Traumata wollen gesehen und verarbeitet werden.

Deswegen gilt es als Fachkraft die aufkommenden Gefühle wahrzunehmen und mit der biografischen Brille zu reflektieren:

  • In welchen Situationen ertappst du dich dabei, die Gefühle der Kinder oder auch der Eltern herunterspielen und wegmachen zu wollen?
  • In welchen Momenten möchtest du das Kind von seinen Gefühle ablenken?
  • Was fühlst du in diesem Moment?
  • Was hat das eventuell mit dir selbst zu tun?
  • Was hat das mit deiner eigenen Kindheit und den damit verknüpften Erfahrungen zu tun?
  • Durftest du diese Gefühle als Kind zeigen und ausleben?

Jede Fachkraft ist verpflichtet, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, um dem Kind möglichst befürfnisorientiert begegnen zu können.

Kurze Zusammenfassung zum Schluss

Tränen dürfen in der Trennungssituation durchaus sein und sind nicht immer ganz vermeidbar. Sie können Ausdruck der im Kind vorhandenen Ambivalenz sein, die es im Übergang feinfühlig zu begleiten gilt. Um diese Feinfühligkeit zu gewährleisten, müssen Kind und Fachkraft bereits eine Beziehung zueinander aufgebaut haben. Dies ist auf keinen Fall bereits in den allerersten Tagen möglich.
Angst und Panik sind tunlichst zu vermeiden, in diesem Fall kann nur die weitere Anwesenheit der Bindungsperson zur Entspannung und zum Ankommen des Kindes beitragen. Ein Kind in seiner Not, sich selbst zu überlassen ist fahrlässig und gewaltvoll.
Als Fachkraft hast du die Verpflichtung, dich mit deiner eigenen Gefühlswelt ehrlich auseinander zu setzen, um Kinder und ihre Familien im Übergang zu Krippe, Kita und Kindertagespglege feinfühlig begleiten zu können.

Für weitere Fragen stehe ich auch gerne in meinen Beratungen für Fachkräfte und Eltern zur Verfügung.

Herzlichst
Anja

Und jedem Abschied folgt ein Neubeginn…

Mit diesem Gastbeitrag meine Kollegin Anja Klostermann werde ich die Themenreihe zur Teamarbeit in Zeiten von Pandemie und Krise vorerst abschließen. Die vorausgegangenen Beiträge „Teams in der Krise“ und „Warum glaubst Du mir nicht“ beschäftigten sich mit Lösungsmöglichkeiten in scheierigen Situationen. Manchmal lässt sich jedoch keine Lösung mehr finden und dann steht eine Entscheidung an, ein Team zu verlassen. Und genau mit diesem Kernthema beschäftigt sich der Gastbeitrag von Anja Klostermann. Der Titel: Und jedem Abschied folgt ein Neubeginn… macht Mut, diesen Schritt zu gehen, wenn es nach allem abwägen, keinen Sinn mehr ergibt zu bleiben. Ich wünsche Dir hilfreiche Erkenntnisse und ggfs. einen zielführenden Entscheidungsprozess.

Deine Anja Cantzler

Und jedem Abschied folgt ein Neubeginn

Ein Gastbeitrag von Anja Klostermann (Dipl. Pädagogin, Coach (DGfC), Supervisorin (DGSv))

Besonders diese Corona Zeit verlangt uns vieles ab. In der Teamarbeit fungiert sie als Lupe, als Spiegel oder auch Vergrößerungsglas der Zusammenarbeit. Gutes gelingt, Ressourcen des Teams kommen zum Tragen und der Zusammenhalt wird verstärkt. Ideen und Kreativität sprudeln und lassen immer neue Möglichkeiten der Umsetzung der Arbeit unter diesen doch so unbekannten und unsicheren Bedingungen entstehen. Auf der anderen Seite erscheinen Verdecktes oder auch schon bekannte Schwierigkeiten an der Oberfläche und führen verstärkt zu Missverständnissen, Missmut oder auch Unmut in der Bewältigung aller Aufgaben, mit Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und letztlich auch auf die Arbeit mit den Kindern und Eltern.

Gehen oder Bleiben?

Vielleicht tauchen dann bei der ein oder dem anderen hier und da Fragen auf wie: Bin ich hier noch gewollt? Möchte ich mich der Situation weiterhin aussetzen? Habe ich andere Möglichkeiten? Was kann ich tun, um wieder mehr Freude an der Arbeit zu haben?

In einer der letzten Supervisionen wurde ich gefragt: Wann muss ich mein Team verlassen? Ich würde für mich die Antwort folgendermaßen formulieren: Spätestens dann, wenn ich mich nicht mehr wohl fühle, mir Freude und Motivation an der Arbeit fehlen, Anerkennung und Wertschätzung verloren gegangen sind und ich keine Möglichkeiten mehr sehe, mich dafür einzusetzen, dass ich für mich oder auch gemeinsam mit Team und der Leitung für diesen Arbeitsplatz eine Lösung sehe.

Vielschichtige Bewegründe

Die Beweggründe ein Team zu verlassen, können sehr vielschichtig und vielfältig sein. Relativ eindeutig ist die Entscheidung, die sich durch eine Veränderung der privaten Lebenswelt oder des Umfelds ergibt, wie z.B. Umzug, berufliche Weiterentwicklung, Übernahme einer Leitungsstelle oder die Gründung einer Familie.

Neben diesen Beispielen gibt es aber auch andere Überlegungen oder Situationen, ein Team verlassen zu wollen. Ich beschreibe hier einmal eine kleine Auswahl

  • Unzufriedenheit mit dem Träger – Leitbild und Konzeption entsprechen nicht meinen Vorstellungen und meiner Haltung, so dass ich ständig in einem Spannungsfeld zwischen eigenem Anspruch und unsinnig empfundenen Vorgaben stecke.
  • Zugehörigkeit zum Team – Wie muss ein Team beschaffen sein, damit ich mich darin wohlfühle und freudvoll, motiviert arbeiten kann? Ein Abwägen dessen, was ich in meinem Team von dem vorfinde, was ich brauche und dem was ich nicht ertragen kann, zeigt mir den Weg zum Bleiben oder Gehen.
  • Altersmischung im Team – Angehörige der sogenannten X-, Y- und Z- Generationen haben unterschiedliche Sozialisationserfahrungen, die nicht immer kompatibel sind. Fällt es mir schwer Verhaltensweisen oder den Umgang mit z.B. Verantwortungsübernahme für das Gelingen der Arbeit nicht nachvollziehen zu können oder ich empfinde es gar als übergriffig, und kann das Verhalten meiner Kolleg*innen überhaupt nicht verstehen, ist es dringend angeraten, mich damit auseinanderzusetzen. Sollte eine Annäherung nicht gelingen, ist über einen Wechsel nachzudenken.
  • Ungelöste Konflikte – Es ist nicht gelungen, Konflikte in meinem Team offen zu klären. Auch die Unterstützung durch meine Leitung oder mit den Kolleg*innen hat keine Lösung ermöglicht. Besonders Konflikte, die auf der persönlichen Ebene entstehen und nicht aufgearbeitet werden, schwelen weiter und können eine funktionierende Teamarbeit immerzu blockieren. Die Atmosphäre im Team ist gekennzeichnet von Unzufriedenheit, Unsicherheit oder gar Neid oder Missgunst. Konflikte auf der persönlichen Ebene können mit Verletzungen, Kränkungen, Beschuldigungen, Beschämung oder Bloßstellen einhergehen. Demütigungen sind ebenfalls möglich. Werden bewusst Angriffe gegen eine/n Kolleg*in ausgeführt, ist besondere Aufmerksamkeit geboten. Fühle ich mich z.B. bloßgestellt, beschämt oder meiner Privatsphäre beraubt, ist der eigene Schutz an die erste Stelle zu stellen und das Verlassen des Teams geboten.
  • Veränderungen, die gesellschaftlich bedingt sind – die Zusammensetzung der Kita-Gruppen haben sich verändert. Themen wie z.B. Gewalt- und Fluchterfahrungen, Eltern mit psychischen Erkrankungen, Sprachbarrieren oder unterschiedliche kulturelle Hintergründe gehören inzwischen zum Alltag. Die Zusammenarbeit mit den Eltern oder die Arbeit mit den Kindern wird als herausfordernder als früher erlebt. Spüre ich, dass die Themen mich zu stark fordern, gilt es eine gute Lösung zu finden.
  • Alarmzeichen des Körpers – In einigen Fällen erschweren körperliche Einschränkungen, die tägliche Arbeit oder machen manche Aufgaben gar unmöglich. Das führt zu persönlichem Stresserleben, zu Überforderungen und kann im Burn-out münden. Die eigenen Grenzen werden infrage gestellt, überschritten oder gar tief verletzt. Chronische Beschwerden wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen oder dauerhafte Erschöpfung sind Alarmzeichen des Körpers und sollten ernst genommen werden. Spüre ich schon am Morgen, dass das Aufstehen mir schwerfällt und mein Körper mir deutlich zeigt, so geht es nicht weiter, dann ist an diesem Punkt dringend geraten, sich mit beruflichen Perspektiven auseinanderzusetzen.
  • Fehlende Anerkennung und Wertschätzung – Anerkennung und Wertschätzung sind wesentliche menschliche Grundbedürfnisse. Auch der Wunsch nach Weiterentwicklung und Selbstverwirklichung gehört dazu. Ein Team verlassen zu wollen, kann daraus entstehen, dass diese Grundbedürfnisse befriedigt werden wollen. Wächst meine eigene Unzufriedenheit mit der täglichen Arbeit in der Kita, dann sollte ich prüfen, ob ein Wechsel des Teams die Situation verbessern würde.

Bleibe ich und investiere Energie und Kraft in die Veränderung der Zusammenarbeit? Oder ist es an der Zeit, das Team mit Würde und einer guten Verabschiedung zu verlassen, um neue Wege zu gehen? Die Antwort auf die Frage steht und fällt mit der Auseinandersetzung mit der eigenen Person.

Wenn es an der Zeit ist, zu gehen…

Spielst du vielleicht gerade mit dem Gedanken, dein Team zu verlassen, dann schau genau hin, was deine eigenen Bedürfnisse sind und wie es um dein eigenes Wohlbefinden steht. Eine solche Analyse bildet die Grundlage, um deine Entscheidung treffen zu können. Ist die Entscheidung gefallen, folgt der Verabschiedungsprozess möglichst so, dass alle Beteiligten unbeschadet neue Wege gehen können.

Und dann steht deinem Neubeginn nichts mehr im Wege….

Deine Anja Klostermann

Bist Du neugierig geworden und möchtest mehr über Anja Klostermann erfahren, dann besuch am besten ihre Website: www.anja-klostermann.de

Darüber hinaus war Anja Klostermann zu Gast bei mir in den YouTube Kita Talks. Schau doch einfach mal rein: Teamarbeit in Zeiten von Corona

P.S. Hast Du noch weitere Themen, die Dich im Moment im Team und in der Zusammenarbeit im Team beschäftigen, dann freue ich mich über Deine Anregung in den Kommentaren oder schreib mir einfach eine Email an: anjacantzler@t-online.de

Sollte durch diese Blogbeiträge bei Dir ein Beratungsbedarf entstanden sein. Anja Klostermann oder ich stehen Dir auf Anfrage gerne auch Online als Coaches und Supervisorinnen zur Verfügung. komm einfach auf uns zu und wir klären dann alles Weitere. In einem telefonischen Erstkontakt können wir die Modalitäten und Konditionen besprechen.

„Tschüss, Arrividercie und Goodbye“ Abschied von den Schulanfängern

Schon bald kommen die angehenden Schulkinder in die Schule und das, nachdem viele von ihnen nach dem Lockdown gerade erst wieder in die Kitas und die Kindertagespflege zurück gekehrt sind. Je nach Bundesland werden die angehenden Schulkinder nur 3 bis max. 8 Wochen ihre Gruppen besuchen.

Dies stellt Euch vor besondere Herausforderungen. In diesem begrenzten Zeitraum sind das Wiederankommen, die Vorbereitung auf den anstehenden Übgang zur Schule und die baldige Verabschiedung zu gestalten.

Dem Wiederankommen und der Gestaltung des Übergangs habe ich bereits in den vergangenen Wochen zwei Blogbeiträge* gewidmet. Diesmal geht es um die Verabschiedung.

Jahr für Jahr verlassen die angehenden Schulkinder den Kindergarten und die Kindertagespflege im Sommer. Das ist ein ganz normales wiederkehrendes Ereignis. Viele Kitas und Kindertagespflegestellen haben über die Zeit hinweg Abschiedsrituale und liebgewonnene Traditionen entwickelt. Einige dieser Rituale und Traditionen, wie z.B. Übernachtungsfeste mit den Kindern und Abschiedsgottesdienste mit allen Familien, sind aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen dieses Jahr nicht oder nur teilweise umsetzbar.

Nun steht Ihr vor der Aufgabe, herauszufinden, was trotz der Abstands- und Hygieneregelungen möglich ist. Dabei sind folgende Fragestellungen hilfreich:

  • Was habt Ihr im Einzelnen mit den Kindern und Eltern bisher zur Verabschiedung gemacht?
  • Was kann von diesen Ritualen und Traditionen unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygieneregeln wie bisher übernommen und umgestzt werden? (z.B. Abschiedsbriefe, Abschiedsgeschenke, Abschiedskreis mit den Kindern etc.)
  • Auf welche Rituale und Traditionen müsst Ihr unter diesen Umständen verzichten? (z.B. gemeinsame Abschlussrunde mit allen Eltern in der Gruppe)
  • Welche Alternativen findet Ihr stattdessen?

Bei genauerer Betrachtung werden Euch viele Alternativen einfallen, die den Abschied zu einem unvergesslichen Erlebnis für die Kinder machen. Hier ein paar Ideen und Anregungen, wie Ihr den Abschied gestalten könnt:

  • Gestaltung eines gemeinsamen Frühstücks mit den angehenden Schulkindern
  • Durchführung eines Abschiedskreises, in dem jedes Kind erzählt, woran es sich gerne erinnert und worauf es sich in der Schule freut
  • feierliches Überreichen der Abschiedsgeschenke und Portfolios, mit einer tosenden „Rakete“ und Applaus für jedes Kind
  • Feiern eines Abschiedsgottesdienstes mit den Familien unter freiem Himmel
  • Einladung zu einem Grillnachmittag im Außengelände oder Picknick im Park mit den Familien unter Beachtung der Abstandsregeln
  • Gemeinsames Spazierengehen der pädagogischen Fachkräften mit den einzelnen Kindern und ihren Familien, um sich in diesem Gespräch ganz persönlich zu verabschieden
  • Gestalten einer Zeitkapsel* gekoppelt mit der Vereinbarung, sich in einem Jahr wiederzusehen und die Zeitkapsel gemeinsam feierlich zu öffnen
  • Packen eines Koffers oder Trollyes mit allen persönlichen Gegenständen des Kindes, mit dem das Kind am letzten Tag feierlich aus der Kita „auszieht“
  • „Sprung ins Leben“: Aufbau eines Bewegungs- und Kletterparcours, den die Kinder unter Applaus der Fachkräfte und Eltern bewältigen und mit einem letzten Sprung über die Schwelle der Kita-Tür in den Armen ihrer Eltern landen

Ich bin überzeugt davon, dass Ihr gemeinsam mit den Kindern gute Wege finden werdet, diesen Abschied angemessen und stimmungsvoll zu gestalten. Für die Kinder ist es so oder so ihr ganz besonderer und persönlicher Abschied von der Kita und Kindertagespflege. Es liegt in Euren Händen, wie sich die Kinder daran erinnern werden. Wenn Ihr ihnen das Gefühl gebt, dass sie aufgrund der Rahmenbedingungen etwas verpassen und ihnen vieles nicht möglich ist, werden sie das Verlustgefühl viel stärker wahrnehmen. Denkt an das Prinzip, dass wenn Ihr etwas zum Problem macht, dies auch zum Problem wird. Haltet Euch in der Vorbereitung nicht zu sehr damit auf, was gerade nicht geht. Überlegt, was möglich ist und den Kindern Spaß macht. Für die Kinder ist es wichtig, dass Ihr ihnen einen schönen Abschied bereitet, an den sie sich gerne erinnern.

Erfreut Euch gemeinsan mit den Kindern an diesen ganz besonderen Abschied.

Viel Spaß dabei!

Eure Anja

* Hier ein paar Links zu den Blogbeiträgen, auf die ich mich in diesem Beitrag bezogen habe:

Übergänge gestalten – (Wieder-) Ankommen in der Kita

Übergänge gestalten – Von der Kita in die Schule

Die Zeitkapsel – Botschaft an die Zukunft

„Wie lange dauert traurig sein?“- Interview über Abschied, Tod und Trauer (2)

Heute folgt, wie angekündigt, der 2. Teil des Interviews mit Vanessa Pivit, Trauerbegleiterin und Erzieherin. Der Schwerpunkt liegt diesmal darauf, wie Ihr als Pädagogische Fachkräfte Kinder und Familien in Trauerprozessen begleiten und unterstützen könnt.

Das Interview

A.C.: Liebe Vanessa, nachdem wir uns zunächst mit dem beschäftigt haben, wie Kinder trauern, stellt sich heute die Frage: Wie pädagogische Fachkräfte die Kinder und Familien in Trauerprozessen begleiten und unterstützen können?

V.P: Vieles ist möglich. Die Teams sollten sich im Vorfeld eine Haltung und einen Leitfaden erarbeiten: Wie gehen wir generell mit Trauer um und wo sind unsere Grenzen als Mitarbeiter und als Team? Wer kann uns unterstützen, wenn wir nicht mehr weiter wissen? Mittlerweile bieten unterschiedliche Organisationen Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte an. Darüberhinaus gibt es Trauerbegleiter, die Einrichtungen und Familien vor Ort unterstützen.

Ein Trauerfall wirft eine Familie häufig aus ihrer gewohnten Tagesstruktur. Eltern müssen schnell Vieles entscheiden und regeln. Es bleibt oftmals wenig Zeit für die Kinder und deren Befindlichkeiten. In diesen Situationen könnten pädagogische Fachkräfte Familien entlasten, indem sie beispielsweise die Betreuungszeit vorübergehend ausweiten. Eltern hätten so den Rücken frei, um sich um die notwendigen Formalitäten zu kümmern und die Kinder würden in einer vertrauten Umgebung aufgefangen. Für das trauernde Kind ist es wichtig, dass es so angenommen wird, wie es jetzt gerade in diesem Augenblick ist. Das Kind darf sich so verhalten, wie es das braucht und es der Rahmen hergibt. Darin besteht der größte Schatz, den man ihm in dieser Situation schenken kann. Fachkräfte sollten auf jeden Fall mit den verschiedenen Trauerphasen (s. Link im Anschluss) vertraut sein, um die verschiedenen Gefühlsschwankungen, die mit dem Trauerprozesse verbunden sind, besser verstehen und begleiten zu können. Das Kind braucht in dieser Zeit eine vertraute Bezugsperson. Wie im ersten Teil bereits erwähnt, sollte mit dem Kind nur über den Verlust geredet werden, wenn das Kind das Bedürfnis äußert. Es darf ihm nichts übergestülpt werden, wozu es in diesem Moment noch nicht bereit ist. Das Kind gibt den Weg vor und wir schenken ihm Vertrauen. Das Kind braucht die Gewissheit, dass die Pädagogische Fachkraft immer da ist, sein Verhalten aushält und ihm hilft, mit der Situation umzugehen.

Eine weitere Möglichkeit wäre, dass eine Fachkraft das Kind während der Beisetzung begleitet. Für viele Eltern wäre das eine hilfreiche Entlastung. Sie wüssten dann, dass ihr Kind gut aufgehoben ist und könnten sich der anschließenden Beerdigung uneingeschränkt widmen. Bedauerlicherweise fehlen in der Praxisnhierzu oftmals die zeitlichen Ressourcen.

Des Weiteren kann über einen Verlust oder Tod auch im Gruppenverband gesprochen werden, vorausgesetzt, dass die Eltern des betroffenen Kindes damit einverstanden sind. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass wir als Pädagogische Fachkräfte in allen Belangen der Schweigepflicht unterliegen. Wenn mir ein Kindergartenkind etwas erzählt, dass nicht für andere Ohren bestimmt ist, ziehe ich mich möglichst in einen geschützten Raum mit dem Kind zurück, damit es dort frei und ungestört sprechen kann.

A.C.: Wie und wodurch bestärkst Du Eltern, ihre Kinder mit in den Trauerprozess mit einzubeziehen?

V.P.: Das verdeutliche ich am besten an einem Beispiel aus meiner Praxis. Ich hatte neulich ein Entwicklungsgespräch mit einer Mutter. Sie wusste nichts von meiner Ausbildung als Trauerbegleiterin. Sie fragte, ob wir vielleicht wüssten, wann, wie und ob überhaupt sie mit ihren Kindern, 3 & 5 Jahre alt, über die Krankheit des Opas und den bevorstehenden Tod sprechen könne und solle. Ich spürte an ihrer Unsicherheit, dass das nicht in 5 Minuten zu beantworten war. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit als Trauerbegleiterin und bot ihr eine erneute Verabredung an, um in Ruhe darüber sprechen zu können. Ich merkte, wie dieses Angebot sie bereits etwas beruhigte. Wir trafen uns ein paar Tage später und ich ließ sie erst einmal erzählen, um mir auch ein Bild von der Situation zu machen. Da ich die Kinder bereits kannte, erleichterte es mir, die Mutter entsprechend zu beraten. Im Gespräch wurde ihre Verunsicherung sehr deutlich. Sie äußerte, ihre Kinder schützen zu wollen. Glücklicherweise konnte ich sie in ihrem bisherigen Handeln bestärken. Es stellte sich heraus, dass die Familie sich schon auf einem guten Weg der Trauerarbeit befand. Der Mutter war dies bislang nur nicht bewusst. Mit zunehmender Erleichterung kam ein immer stärkeres Strahlen in ihr Gesicht. Es wuchs die Erkenntnis in ihr, dass sie bislang „alles richtig“ gemacht hatte. Der Weg dieser Familie bestand darin, dass die Mutter den Kindern erklärte, wie es dem Opa geht und die Fragen der Kinder beantwortete. Sie durften den Opa besuchen, wenn sie es wünschten. Bei näherer Betrachtung braucht sie mich eigentlich nicht. Unser Gespräch diente zu Ihrer Bestärkung, die ihr die bisherige Verunsicherung nahm. Ergänzend habe ich ihr zur Unterstützung meinen Trauerkoffer angeboten. Darin befinden sich u.a. Fachbücher für Erwachsene, Bilderbücher für Kinder, Bilderrahmen zum Gestalten, Kerzen, Keilrahmen und Malzubehör. (Anm.: Der Trauerkoffer wird in einem eigenen Beitrag am kommenden Donnerstag konkreter vorgestellt)

In meiner Praxis als Erzieherin und Trauerbegleiterin bekomme ich von Eltern immer wieder die Rückmeldung, dass wenn sie sich trauen, mit ihren Kindern offen über Sterben, Tod und Trauer zu sprechen, dass das eine Bereicherung für die ganze Familie ist. Mein Ziel besteht darin, dass Kinder die Gelegenheit bekommen, gerade dann, wenn es ihnen nicht gut geht bzw. sie verunsichert sind, mit ihren Fragen und Empfindungen gehört und gesehen werden. Sie haben ein Recht darauf. Das Leben hat immer mehrere Seiten und Blickwinkel – auch die Schattenseiten gilt es in den Blick zu nehmen.

A.C.: Wann stößt Du in dieser Arbeit an Grenzen?

V.P.: Ich stoße immer dann an Grenzen, wenn ich Menschen begegne, die sich auf der beruflichen Ebene diesem Thema verschließen und somit den Kindern, die ihnen anvertraut sind, das Recht nehmen, sich mit ihrer Trauer und den damit verbundenen Gefühlen offen auseinandersetzen zu dürfen. Ich wünsche mir, dass der Umgang mit Gefühlen und Empfindungen wie Trauer, Angst und Wut genauso wichtig genommen wird wie andere Bildungsbereiche. Was bringt einem Kind, eine gute Stifthaltung für die Schule zu haben andererseits nicht seine Gefühle bei einem „Nein“ einordnen zu können, weil sie in dieser von uns begleiteten wichtigen Entwicklungszeit ihre Gefühle nicht ausleben dürfen.

A.C.: Was möchtest Du den KollegInnen in den Kitas abschließend mit auf den Weg geben?

V.P.: Gebt auch dem Bereich Trauer einen angemessenen Platz in der Kitaarbeit. Trauer setzt nicht erst beim Tod ein. Wir erleben tagtäglich so viele Trauerprozesse, die wahrzunehmen und zu begleiten sind. Die Trennung morgens von der Mutter, die man doch nochmal küssen möchte, der vergessene Teddy, der uns gerade trösten könnte…. Wir brauchen behutsame KollegInnen, die das Kind gerade hier in seinem Sein annehmen und die Traurigkeit aushalten kann. Und nicht die, die sagen, ach, ist doch nicht so schlimm, die Mama kommt später, der Teddy ist später für dich da. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, der Klassiker aus meiner Kindheit. Aber Kinder brauchen in genau diesem Augenblick, dass sie jemand in den Arm nimmt und wertschätzt. Ich würde mir wünschen, dass in der Schnelllebigkeit der bisherigen Zeit wieder mehr Raum und Zeit für Gefühle, Wärme, Nächstenliebe gegeben wird. Gerade die Arbeit im U3 Bereich braucht einen besonders feinfühligen Umgang zum Beispiel in der Eingewöhnung. Es ist m.E. für das Kind wenig ratsam eine zügige Trennung zu vollziehen, um Eltern möglichst schnell die Rückkehr in die Arbeit zu ermöglichen. Es geht darum schrittweise Vertrauen aufzubauen, damit das Kind sich bei uns wohlfühlen kann. Das funktioniert nur Hand in Hand mit den Eltern. Dabei geht es auch um Aushalten und Geduld, bis das Kind bereit ist. Für mich ist das vergleichbar mit einem Trauerprozess – Mama/Papa geht und ich bleibe in der Kita. Und so begegnen uns viele kleine Abschiede in der Kitazeit, die es gut zu begleiten gilt. Abschließend komme ich noch einmal zurück auf das Thema Tod: Das Sprechen darüber ist oftmals gar nicht so schwer. Es gilt erst einmal einen Anfang zu wagen. Wenn wir den Kindern Vertrauen und Gehör schenken, kommt vieles ganz von alleine.

Puh!. Das Thema Trauer ist so umfangreich und spannend, dass dieses Interview dafür bei weitem nicht ausreicht. Ich hoffe, ich konnte ein paar von den Leser*innen motivieren, sich mit auf den Weg zu machen und sich mehr mit Tod und Trauer beschäftigen. Letztlich ist eine Tatsache unumstößlich, vor dem eigenen Tod können wir nicht weglaufen. (Ende 2. Teil)

Mit verändertem Blick in die Praxis

Wenn wir auf das Geschehen der letzten Wochen zurückschauen, möchte ich mich Vanessas Plädoyer für einen feinfühligen Umgang mit den Kindern anschließen. Viele Kinder waren jetzt längere Zeit nicht in der Kita und müssen sich erneut von den Eltern verabschieden. Einige werden darüber sehr traurig sein. Die Vorgaben zum Infektionsschutz erschweren die Abschiedsprozesse. Es müssen neue stützende Rituale gefunden werden. Umso wichtiger ist es, die Trauer und das Traurigsein der Kinder (und ggfs. der Eltern) ernst zu nehmen und für alle Beteiligten möglichst gute Brücken zu bauen.

Darüber hinaus kommen die Kinder in eine veränderte Situation zurück. Auch hier heißt es für viele Kinder Abschied nehmen von Gewohntem und Liebgewonnenen. Manche Kinder müssen auch hier erst neue Handlungsstrategien entwickeln, um diese Veränderungen annehmen zu können. Und es ist sehr traurig, wenn das Kind nicht mit dem Freund aus der anderen Gruppe spielen darf.

Zu guter Letzt solltet Ihr Euch darauf einstellen, dass einige Kinder tatsächlich Verluste in der zurück liegenden Zeit erlebt haben. Das muss nicht zwangsläufig durch Corona verursacht sein. Aber aufgrund der Be- und Einschränkungen des Besuchsrechts in Pflegeheimen und Krankenhäusern und den Auflagen für Beerdigungen haben wir mit veränderten Trauermöglichkeiten zu tun. Die Kinder erleben das hautnah mit und brauchen gerade jetzt sehr aufmerksame und achtsame Erwachsene, die Ihnen Raum zu der individuellen Verarbeitung ihrer Gefühle geben. Ihr legt damit einen wichtigen Grundstein für die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder und stärkt sie in ihrer Resilienz.

Abschließend für heute gilt mein besonderer Dank Vanessa Pivit, die sich letzte Woche spontan bereit erklärt hat, mit mir dieses Interview zu führen. Am kommenden Donnerstag wird sie ihren Trauerkoffer noch etwas genauer vorstellen. Eine tolle Anregung für die Praxis, wie ich finde.

Alles Liebe und Gute

Eure Anja

Weiterführender Link zu Vertiefung:

www.wikipedia.org/wiki/Trauer

Kontaktdaten Vanessa Pivit – Trauerbegleiterin:

trauerbegleitung-pivit@t-online.de / Tel.: 0160 – 947 43 683

https://www.trauerbegleitung-pivit.de/

Link zu einem Webinar- Replay:

Ergänzend ein Webinar-Replay von Bianca Hofmann (Praxis-Kita): Zum Thema „Abschied von Liebgewonnenem und Gewohntem“ Dauer: ca 60 Minuten – Danke liebe Bianca, dass ich den Link hier zur Verfügung stellen kann. In diesem Webinar gelingt meines Erachtens ein wundervoller Transfer von dem Thema Tod und Trauer zu den Befindlichkeiten der Kinder in den aktuellen Zeiten von Corona.

https://www.edudip.com/de/webinar-aufzeichnung/246b476a-2a03-412e-ac58-af7bac65b6f8 .

„Wie lange dauert traurig sein?“ – Interview über Abschied, Tod und Trauer (1)

In meinem Blogbeitrag „Übergänge gestalten – (Wieder)Ankommen in der Kita“ habe ich darüber geschrieben, dass Eure Kinder nach so langer Zeit mit den unterschiedlichsten Befindlichkeiten und Stimmungen z.B. Freude, Angst, Wut oder Trauer in die Kita zurückkehren. Eure Krippen und Kita-Kinder befinden sich altersentsprechend mitten in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung. Alles was sie in dieser Phase erleben, wirkt auf ihre Persönlichkeitsentwicklung. Emotionssausdruck, Emotionswissen und Emotionsregulierung sind die zentralen Lern- und Entwicklungsaufgaben. Die Kinder brauchen gerade in dieser Phase eine feinfühlige Begleitung durch Erwachsene, die den unterschiedlichen Emotionen Raum geben und den Kindern zuhören.

Am liebsten würden viele von Euch die unangenehmen Gefühle und Erinnerungen, die mit den zurückliegenden Wochen verknüpft sind, hinter sich lassen und mit den Kindern eine schöne Zeit verbringen. Das ist durchaus richtig und wichtig. Schaut trotzdem genau hin, welches Kind in den nächsten Tagen und Wochen starke Erwachsene braucht, die diesen unangenehmen Gefühlen genauso viel Stellenwert einräumen wie den angenehmen Gefühlen. Gebt ihnen dadurch das Gefühl, dass auch diese Emotionen sein dürfen.

Ich möchte hier in diesem Blog, Gefühlen wie Trauer, Angst und Wut ganz bewusst Beachtung schenken. Daher freue ich mich, Euch diese Woche an einem Interview mit Vanessa Pivit (V.P.), die als Erzieherin und Trauerbegleiterin arbeitet, teilhaben zu lassen.

Das Interview

A.C.: Du bist Erzieherin und Trauerbegleiterin. Wie bist Du zu dieser Kombination der Professionen gekommen?

V.P.: Ich bin seit 1994 mit Leib und Seele Erzieherin. Ich wusste seit meiner Kindheit, dass ich mit Kindern arbeiten möchte und bis heute liebe ich diese Arbeit. Aufgrund verschiedener persönlicher und emotionaler Erfahrungen merkte ich 2014, dass ich etwas in meinem Leben verändern möchte. Ein Prospekt vom Ambulanten Hospiz und Palliativdienst brachte mich auf einen neuen Weg. Ich begann eine Weiterbildung zur Sterbebegleiterin. Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten, sprach mich sofort im Herzen an. Es war eine große Herausforderung und Bereicherung zugleich, schon alleine dadurch, dass ich mich sehr viel mit mir selbst und meiner Lebensgeschichte auseinandersetzte. Leider merkte ich schon bei der ersten Begleitung, dass ich für diese Aufgabe nicht die richtige Person bin. Nach 10 Minuten auf der Intensivstation erlitt ich einen Kreislaufkollaps und bündelte die Zuwendung der Ärzte und Pflegerinnen auf meine Person. Dies sollte für meinen Geschmack eine einmalige Erfahrung bleiben. Meine „Ausbilderin“ empfahl mir daraufhin, mich als Trauerbegleiterin weiterzubilden. So begann ich meine Weiterbildung zur Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche bei der Akademie des Kinder- und Jugendhospizes Olpe. Trotz der Widerstände in meinem persönlichen Umfeld bin ich diesen Weg weitergegangen und das hat viel bzgl. meiner Haltung und meines Handelns verändert.Neben meiner Vollzeitstelle im Kindergarten fuhr ich an 8 Wochenenden nach Olpe in ein Kloster. Der Kontakt mit den anderen Teilnehmer*innen war sehr intensiv und emotional. Eine anstrengendeund sehr bereichernde Zeit.

A.C.: Wie verstehst Du Deine Rolle als Trauerbegleiterin?

V.P.: Die Trauerbegleitung ist ein sensibler Bereich, der einem „liegen“ muss. Empathie für das Gegenüber und das Annehmen seiner Situation zählt zu den Grundwerten. In Trauerzeiten sind wir mitunter in einer anderen Verfassung als üblich. Als Trauerbegleiterin musste ich lernen mich abzugrenzen. Das war und ist für mich nicht immer ganz leicht, Empathie und Mitgefühl nur bis zu einem gewissen Grad zu zeigen. Das ist ein langer und andauernder Lernprozess. Als Trauerbegleiterin habe ich die Aufgabe, den Menschen in seinem Trauerprozess als neutrale Frau zur Seite zu stehen. Ihn in seiner Trauer anzunehmen, auszuhalten und Möglichkeiten der Verarbeitung auf dem Trauerweg zu geben. Es geht um die Erkenntnis und Annahme, dass es dazugehört, ein Leben lang um einen Verstorbenen zu trauern. Der Trauernde kommt schrittweise zu der Erkenntnis, dass das, was sich dabei verändern wird, die Intensität der Traurigkeit ist. Deshalb verstehe ich mich in erster Linie als Begleiterin. Es geht nicht darum, die Trauer zu bewältigen, sondern es geht darum, andere Wege zu finden, um dem Verstorbenen einen neuen Platz im Leben der Hinterbliebenen zu geben. Das ist ein großer Unterschied.

A.C.: Während meiner Zeit als Pädagogische Fachkraft und Leitung in der Kita habe ich die Erfahrung gemacht, dass Themen wie Tod und Trauer Tabuthemen in unserer Gesellschaft sind. Viele Erwachsene tun sich selbst schwer darüber zu sprechen. Oftmals sind sie der Meinung, dass Kinder den Tod noch nicht verstehen und vermeiden es die Kinder miteinzubeziehen. Wie erlebst Du das als Erzieherin einerseits und als Trauerbegleiterin andererseits?

V.P.: Als ich mich für die Weiterbildung entschied, traf ich bei Familie, Freunden und Arbeitskollegen oft auf Erstaunen und Befremden. Reaktionen wie: „Wow, so ein schweres Thema. Hut ab.“, begegnete ich häufig. Stimmt, Trauer und Tod sind schwere Themen, wenn wir sie schwer machen. Ich habe diese Reaktionen erst einmal so stehen lassen. Ich entwickelte das Vertrauen, dass sich mein Gegenüber weiter mit den Gedanken beschäftigt. Daraus entwickelten sich oftmals schöne intensive Gespräche über eigene Verluste und Erfahrungen. Dadurch haben sich viele Beziehungen und Freundschaften sehr verändert. Als Erzieherin muss ich sagen, dass seitens der Kita-KollegInnen diesen Themen oftmals weniger Offenheit und Verständnis entgegengebracht wird. Gespräche miteinander oder mit Kinder und Eltern hierzu finden seltener statt. Umgang mit Trauer und Trauerbegleitung haben wenig Raum in der Arbeit. Da empfinde ich das Tabu stärker. In der Zusammenarbeit mit Eltern erlebe ich Interesse und Offenheit gepaart mit der Unsicherheit, wieviel sie ihrem Kind zumuten können. Dazu später noch ein bisschen mehr.

A.C. Ich persönlich durfte das als Kind anders erleben. Meine Eltern haben mich von Anfang an mit zu Beerdigungen genommen. Sie haben mir sehr offen vorgelebt, mit Tod und auch der damit verbundenen Trauer umzugehen. Du arbeitest in Deiner Profession als Trauerbegleiterin mit unterschiedlichsten Familien zusammen. Warum ist es aus Deiner Sicht wichtig, dass mit Kindern Tod und Trauer angesprochen und bearbeitet werden?

V.P.: Der Tod gehört zum Leben dazu. Kinder sind von Natur aus neugierig und wissbegierig. Sie erleben fast täglich Trauersituationen. Sie sehen den toten Vogel, die überfahrene Katze am Straßenrand. Sie wollen wissen, was passiert ist und was mit dem toten Tier weiter geschieht. Wo kommt es hin, wo lebt es weiter… Die englische Hilfsorganisation „Winstons Wish“ hat eine Charta für trauernde Kinder und Jugendliche entwickelt. Dort wird in 10 Punkten aufgelistet, dass Kinder u.a. das Recht auf eine kindgerechte, angemessene Information haben und in Entscheidungen mit einbezogen werden sollten. Ein weiteres Recht, das ihnen zugestanden wird, besteht darin, ihre Geschichte erzählen und ihre Gefühle ausleben zu dürfen.

Die Praxis erlebe ich persönlich stellenweise anders. Kindern wird seltener die Möglichkeit gegeben, selbst zu entscheiden, ob sie z.B. den Verstorbenen noch einmal sehen oder mit zur Beerdigung gehen möchten. Oftmals erhalten sie nicht einmal die Gelegenheit, ihre Fragen stellen zu können. Das passiert in der Regel aus bester Absicht. Eltern wollen Kinder beschützen. Erwachsene meinen irrtümlicherweise, dass Kinder das Geschehene nicht mitbekommen. Aber Kinder spüren, wenn etwas nicht dem „Normalablauf“ entspricht. Kinder brauchen diese wichtigen Erfahrungen, den Umgang mit schwierigen Situationen zu erlernen, und die kindgerechte Begleitung dabei. Sie müssen lernen mit dem Geschehenen und den damit verbundenen Gefühlen umzugehen. Vermutlich wird das Kind durchaus verunsichert reagieren, weinen und sich vielleicht auch vorübergehend mit Rückzug oder Aggression verhalten. All das gehört dazu und ist völlig normal. Es geht uns Erwachsenen doch ganz ähnlich bei unbekannten Ereignissen. Und da spreche ich nicht mal vom Tod. Ungewohntes und Neues braucht seine Zeit, um seinen Platz in unserem Inneren zu bekommen. Abschied nehmen von etwas Vertrautem und Liebgewonnen fällt schwer. Die Erwachsenen sind auf diesem Weg wichtige Vorbilder und Begleiter für die Kinder.

A.C.: Wie erleben Kinder im Alter von 0-6 Jahren den Tod? Wie gehen sie damit um?

V.P.: Jedes Kind sollte in seinem eigenen kognitiven und sozial emotionalen Entwicklungsstand gesehen werden und behandelt werden. Jedes Kind hat eine andere Herangehensweise an die jeweilige Situation. Das eine Kind stürmt gleich neugierig und interessiert drauf los und das nächste Kind braucht mehr Begleitung und Erklärung. So erleben auch Kinder den Tod sehr unterschiedlich. Schon in einem Alter von 6 Monaten können Kinder ein verändertes Verhalten an ihren Eltern wahrnehmen und in ihrem eigenen Verhalten spiegeln. Das Bindungsverhältnis ist stark beeinflusst von den Emotionen, die die Eltern aussenden. Vom 6. – 18. Lebensmonat verstehen Kinder erste Ansätze von Trauer, wenn jemand nicht wieder kommt. Sie sehen den Tod jedoch noch als etwas Vorübergehendes an. Sie haben noch keine Vorstellung von der Endlichkeit. Die Person ist weg, sie erwarten deren Wiederkommen. Zwischen 3 bis 5 Jahren kann man mit Kindern bereits über den Tod und dessen Bedeutung sprechen. Die Dauerhaftigkeit des Todeseins erahnen sie aber erst ab 6 Jahren. Sie beginnen dann zu verstehen, dass der Verstorbene nicht mehr wiederkommen wird. Ab 9 Jahren bis zum 12. Lebensjahr verstehen Kinder die Realität des Todes und entwickeln ein normales Interesse an den biologischen Aspekten des Todes. Sie erfragen Einzelheiten zum Sterben, Tod sein und zur Beerdigung. 13- jährige entwickeln schließlich eine ähnliche Denkweise und Vorstellung wie der Erwachsene. Während der Trauerbegleitung von Kindern und Jugendlichen ist es wichtig, nur soweit auf Fragen zu antworten, die die Kinder konkret stellen. Kinder und Jugendliche kennen unbewusst ihre eigenen Grenzen. Sie fragen in der Regel nur so viel, wie sie verarbeiten können. Sie brauchen die Chance auf ihre Art und Weise zu trauern und ihre Gefühle entsprechend zeigen zu können. Unterdrückte Trauer macht einsam und hilflos. Daraus können Verlustängste, Wut, Schuldgefühle, verändertes Sozialverhalten, Trennungsängste etc. entstehen. Daher braucht das Kind einfühlsame und feinfühlige Erwachsene, die es in seiner Befindlichkeit begleiten können.

Wenn mich beispielsweise die Tochter einer Freundin anschreibt und fragt, ob es nach 2 Jahren ohne den geliebten Opa in Ordnung ist, dass sie ihn vermisst und auch manchmal weint, dann weiß ich, dass die Eltern vieles richtig gemacht haben. Sie haben ihr Kind wahr und ernst genommen, um es gut begleiten.

A.C.: Wie zeigen Krippen- und Kindergartenkinder ihre Trauer? Was unterscheidet das kindliche Verhalten von dem des Erwachsenen?

V.P.: Wie eben schon erwähnt, leben Kinder ihr Leben neugierig, offen und spontan. Ganzheitlich und gefühlsbetont. Fähigkeiten, die bei Erwachsenen über die Jahre oftmals verloren gegangen sind. Kinder stellen ihre Fragen, weil die Fragen für sie in diesem Moment wichtig sind und sie JETZT eine Antwort haben möchten. Kinder orientieren sich an den Erwachsenen und „lesen“ in Ihnen wie in einem Buch. Sie spüren auch, ob sie ehrliche Antworten bekommen oder ob etwas vor ihnen verheimlicht wird. Trauer ist ein wichtiger und notwendiger Zwischenschritt der Heilung und Verarbeitung des Geschehenen. Trauer heißt, von Gefühlen gepackt, traurig und verzweifelt zu sein, die gemeinsame Zeit mit dem Verstorbenen in Gedanken passieren zu lassen und langsam ein Leben ohne ihn zu gestalten. Durch den schmerzlichen Prozess lösen wir uns von der alten Lebenssituation und finden neue Wege und Möglichkeiten. Kinder stellen manchmal Fragen, mit denen wir nicht rechnen. Sie switchen dann auch schnell wieder um. Wenn wir denken, sie waren gerade noch beim Verlust, sind sie im nächsten Moment schon bei einem ganz anderen Thema. Ja, so ist Kindertrauer. Schnelllebig, sprunghaft und gut. Kinder gehen da mit dem ihnen eigenen kindlichem Humor dran und das sollten wir auch in angemessener Art und Weise mit ihnen tun. In der Trauer sollte auch der Humor einen wichtigen Platz haben. Es ist einfach schön, wenn man über eine Anekdote und eine gemeinsame Erinnerung lachen kann, nicht wahr? (Ende des 1. Teils)

Humor als Schlüssel

Letzterem kann ich nur beipflichten. Auch in der Trauer geht vieles mit Humor leichter. Und wie mein Coaching – Ausbilder Heinrich Fallner immer sagt: „Tiefe muss nicht schwer sein.“

Ich freue mich schon auf den 2. Teil des Interviews mit Vanessa, der morgen erscheint. Darin erfahrt ihr, wie Ihr als pädagogische Fachkräfte trauernde Kinder und ihre Familien unterstützen könnt.

Bis morgen

Eure Anja

Links: (zur Vertiefung)
https://www.ecosia.org/search?q=charta+Winstons+Wish&addon=firefox&addonversion=4.0.4
Linksammlung zu Winstons Wish

https://www.familienhandbuch.de/familie-leben/schwierige-zeiten/tod-trauer/hilfreicheunterstuetzungfuertrauerndekinder.php

Kontaktdaten von Vanessa Pivit – Trauerbegleiterin

trauerbegleitung-pivit@t-online.de / Tel.: 0160 – 947 43 683