Die meisten Krippen, Kitas und Kindertagespflegestellen sind gerade mitten in der Eingewöhnungszeit. Wie in dem Blogbeitrag: „Viele Modelle- ein Ziel“ bereits beschrieben, wird in den verschiedenen Einrichtungen mit unterschiedlichen Ansätzen eingewöhnt. Alle Eingewöhnungsmodelle haben folgende Ziele: „das Kind soll sich in der Betreuung emotinal wohlfühlen, gerne kommen und die Pädagogischen Fachkräfte als stressregulierende Bezugspersonen annehmen.“
Doch bis Du mit dem einzelnen Kind dort hinkommst, liegt ein langer und oftmals auch tränenreicher Weg vor Dir, dem Kind und seinen Eltern. Mal Hand aufs Herz, wünscht du Dir in diesen Tagen auch manchmal insgeheim, dass die Eingewöhnungszeit dieses Mal ohne Tränen abläuft? Ein Jahr, dass alle Kinder von Anfang an gerne kommen und nicht weinen müssen? Doch aus Erfahrung weißt, dass dies nicht so sein wird.
Deswegen möchte ich in diesem Blogbeitrag zum einen klären, warum Tränen so wichtig für die Kinder sind und wie Du damit kind- und bedürfnisorientiert umgehen kannst. Zum anderen möchte ich Dich auf die möglichen Fehlanzeichen aufmerksam machen, an denen pädagogische Fachkräfte oftmals fälschlicherweise festmachen, dass die Eingewöhnung für das Kind bereits abgeschlossen ist.
Die Bedeutung der Tränen
Durch das Weinen drücken die Kinder ihre Trauer über die Abwesenheit der Eltern aus. Sie sind Ausdruck des emotionalen Befindens und kindlichen Bedürfnisse. Für viele Eltern ist das sehr schmerzhaft, wenn ihr Kind weint und sie versuchen, diese Tränen zu vermeiden. Wichtig ist, dass Du mit den Eltern über die positive Bedeutsamkeit der Tränen sprichst. Es ist wünschenswert, dass ein Kind in der Lage ist seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ich vermittel daher den Eltern immer auf Elternabenden und in Elternberatungen, dass dies ein ganz natürliches und gesundes Verhalten des Kindes ist und dass das Kind ein Recht auf seine Trauer hat.
Die Eingewöhnung stellt große Herausforderungen an das Kind und sind daher für die Kinder mit einem erhöhten Stresspegel verbunden. Die Tränen unterstützen das Kind während des Eingewöhnungsprozesses, Anspannung und Stress abzubauen.
Tränen gehören also durchaus zu einer gelingenden Eingewöhnung. Es geht nicht darum sie zu vermeiden oder zu unterdrücken, es geht vielmehr darum, diese Tränen gemeinsam mit den Eltern achtsam und feinfühlig zu begleiten.
Die Dont’s im Umgang mit Tränen
Bitte vermeide deswegen dem Kind gegenüber Sätze wie:
„Du musst nicht traurig sein“ – damit verleugnest Du das Gefühl des Kindes. Das Kind ist in diesem Augenblick jedoch sehr traurig und fühlt diese Emotion. Besser wäre, ihm für seine Trauer Worte zu geben: „Du bist jetzt sehr traurig, dass Mama gegangen ist.“
„Schau mal was ich hier habe…“ – wird gerne als Ablenkungsmanöver genutzt. Auch das ist nicht sehr ratsam, da das Kind indirekt die Botschaft erhält, dass seine Gefühle nicht wichtig sind. Es soll die bestehenden Gefühle zurückstellen und unterdrücken. Es erhält keine Chance die eigenen Emotionen zu regulieren, was wiederum ein wichtiger Meilenstein in der emotionalen Entwicklung und der Resillienzförderung ist.
„Nimm deinen Schnuller, trink oder iss etwas…“ – damit lernt das Kind fälschlicherweise heftige Emotionen mit Hilfe von Essen und Trinken zu kompensieren. Dieses Verhalten kann den ersten Grundstein für ein gestörtes Essverhalten und Süchte legen.
Tränen achtsam begleiten
Was kannst Du also tun, um ein Kind achtam und feinfühlig durch die Eingewöhnungszeit zu begleiten?
Signalisiere dem Kind Verständnis für seine Trauer, sag ihm: „Ich verstehe, dass Du traurig bist!“
Vermittel dem Kind, dass Du ihm vertraust, dass es früher oder später diesen Entwicklungsschritt schaffen wird.
Gib dem Kind Worte für seine Gefühle. Damit zeigst Du ihm, dass Du diese Gefühle wahrnimmst und diese Gefühle sein dürfen.
Sprich mit dem Kind über seine Gefühle.
Vermeide dem Kind gegenüber Bedauern über seine Trauer zu äußern. Es geht in erster Linie um Mitgefühl und nicht um Mitleid.
Selbsreflexion als Basis für Empathie
Selbsreflexion als Basis für Empathie
Überprüf Deine eigenen Gefühle und Haltung bezüglich der Eingewöhnung. Gerade wenn die Kinder noch sehr jung sind, solltest Du Dich reflektieren, inwieweit Du es als richtig und wichtig empfindest, dass dieses Kind schon in einer Kindertagesbetreuung betreut wird. Kannst Du die Entscheidung der Eltern wertfrei stehen lassen? Oder bist Du der Meinung, dass das Kind zu Hause viel besser aufgehoben wäre?
Deine eigene Haltung überträgt sich auch immer auf Dein pädagogisches Handeln. Bist Du der Überzeugung, dass das Kind zu Hause besser aufgehoben wäre, dann wirst Du die Tränen des Kindes vermutlich unter diesem Blickwinkel betrachten. In diesem Fall ist der Schritt vom Mitgefühl zum Mitleid für das Kind nur noch ein ganz kleiner. Unbewusst läufst Du Gefahr, dem Kind mit dieser Haltung den Einstieg zu erschweren. Nicht nur Eltern, denen es schwer fällt loszulassen, übertragen ihre Gefühle auf das Kind. Auch Du als pädagogische Fachkraft sendest nonverbal Haltung und damit verbundene Erwartungen an das Kind.
Bis du also der Überzeugung, dass das Kind bei Dir gut aufgehoben ist und dass es diese Herausforderung aktiv und kompetent meistern wird, wirst Du mit den Tränen des Kindes ganz anders umgehen können und das Kind wird sich gemäß dieser Erwartungen anders verhalten.
Mögliche Fehlinterpretationen im Eingewöhnungsprozess
So unterschiedlich die Kinder und Familien sind, so unterschiedlich verlaufen die verschiedenen Eingewöhnungsprozesse. In Deiner Praxis begegnen Dir neben den weinenden Kindern einzelne, bei denen tatsächlich keine Tränen auftreten oder die Tränen sehr schnell verschwunden sind. In diesen Fällen besteht dann die Gefahr der Fehleinschätzung, dass das Kind bereits gut angekommen und damit die Eingewöhnung abgeschlossen ist.
Hier ein paar Beispiele:
ein Kind spielt ununterbrochen und begibt sich neugierig auf Entdeckungstour. Es ist sehr beschäftigt mit dem neuen Raum, den neuen Spielmaterial und den neuen Kindern. Durch den Reiz des Neuen bleibt ihm zunächst keine Zeit für Trauergefühle. Es trennt sich gut und unproblematisch von den Eltern. Der Einbruch kommt dann oftmals nach 6-8 Wochen, wenn der Reiz des Neuen aufgebraucht ist. Jetzt tritt erstmals Langeweile auf und die Trauer um die Eltern setzt ein. Das Kind wird traurig, weinerlich und manchmal auch aggressiv. Es zeigt jetzt seine Emotionen in voller Bandbreite. Trau dich die Eltern zu bitten, vorübergehend einen Moment länger zu bleiben und die Traurigkeit des Kindes entsprechend zu begleiten.
Kinder, die von der Persönlichkeit her offen, zugänglich und kommunikativ sind, werden manchmal überfordert und verschätzt. Durch ihre fröhliche und aufgeschlossene Art wird die Vermutung aufgestellt, dass die Eingewöhnung ganz schnell und unkompliziert stattfinden wird. Dadurch wird der Eingewöhnungsprozess dann gerne verkürzt, was bei manchen dieser Kinder dazu führt, dass sie dann bei längerer Abwesenheit der Eltern auf einmal viel gehemmter und zurückhaltender werden. Lass Dich also nicht von einem solchen Verhalten auf die falsche Fährte führen. Der Gradmesser ist immer das beobachtbare Spielverhalten, sobald die Eltern länger abwesend sind.
bei einem anderen Kind, dass zunächst unbekümmer mit der neuen Situation umgeht und dadurch die Trennung von den Eltern vorzeitig herbeigeführt wird, kann die Trauerphase auch erst zeitverzögert einsetzen. Ähnlich der Veränderungskurve nach Kübler-Ross, kommt das Kind nach dem ersten Schock und der Verdrängung der Realität in das Tal der Tränen. Auch hier darfst Du den Mut haben, die Eltern noch einmal zurück und den verpassten Loslösungsprozess nachzuholen.
eine weitere typische Situation ist, wenn ein Kind bei der Verabschiedung zwar weint, sich dann schnell wieder beruhigt, sobald die Eltern weg sind. In diesem Fall solltest Du das Kind gut beobachten, ob es dann wirklich fröhlich spielen geht. Manche Kinder legen dann ein lethargisches Verhalten an den Tag, haben permanent gerötete Augen, jammern still vor sich hin, werden anhänglich oder zeigen vielfältige Krankheitssymptome. Das alles sind ernstzunehmende Stresssymptome. In einem solchen Fall sind, wenn möglich die Eltern wieder mit ins Boot zu holen. Trau Dich, zum Wohle des Kindes mit Eltern zu besprechen, was möglich ist oder ob es eine andere Bindungsperson gibt, die das Kind noch begleiten kann. Ist dies seitens der Eltern nicht machbar, dann brauchen diese Kinder Dich als verlässliche Bezugsperson, die bereit ist, dem Kind viel Nähe und möglichst auch Körperkontakt anzubieten.
schließlich gibt es auch noch die Kinder, die vermeiden ihre negativen Gefühle in einer Trennungssituation zu zeigen. Sie reagieren nicht, wenn die Eltern gehen und sie zeigen auch keine freudige Raktion, wenn die Eltern wiederkommen. Während der Abwesenheit der Eltern nehmen sie selten Kontakt zu den pädagogischen Fachkräften auf. Auch wenn sie in der Eingewöhnung recht unbeeindruckt wirken, stehen diese Kinder unter einem sehr hohen Stresspegel. Sie bedürfen der besonderen Aufmerksamkeit und Ansprache, da sie erst lernen müssen, dass jemand ihre Gefühle wahr und ernst nimmt. Begleite die Kinder sprachlich. Benenne ihre Gefühle und signalisiere, dass Du für sie da bist.
Soweit die vielen kleinen Nuancen, die im Eingewöhnungsprozess zu beachten sind. Selbstverständlich gibt es auch Kinder, die ganz unkompliziert und schnell in der Kindertagesbetreuung ankommen. Kinder, die ihren Eltern beispielsweise vermitteln, dass das ein Kinder- und kein Elterngarten ist. Dies zeugt von positiven Vorerfahrungen mit der Trennung von den Eltern. Andere kulturelle Wurzeln und Kontexten, in denen nicht der Erwachsene die Bindungsperson Nr.1 für das Kind ist, sondern andere Kinder diese Rolle übernehmen, kann andererseits dafür ursächlich sein, dass diese Kinder schnell Anschluss an die Kindergruppe finden und sich wohl fühlen. Die Peer Group gibt dem Kind viel Halt und Sicherheit. (vgl. Kultursensitive Pädagogik nach Heidi Keller).
Die Bedeutsamkeit der PeerGroup
Aus der besonderen Bedeutung und Wirkung der Kindergemeinschaft für den Eingewöhnungsprozess hat sich die Eingewöhnung in der Peer Group entwickelt. Die Kinder unterstützen sich in dieser herausfordernden Situation gegenseitig und erfahren, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind. Sie lernen von und miteinander diese Übergangssituation zu meistern. Ein interessantes Modell, auf das ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal genauer eingehen werde.
Ich wünsche Dir noch eine gute und gelingende Eingewöhnungszeit- je nach Kind und Familie mit und ohne Tränen
Deine Anja
Ein Fortbildungstipp
Safe the Date! – Wenn Du mehr über die Eingewöhnung in der Peer Group erfahren willst. Am Samstag, 23.01.2021 von 9.30-12.00 Uhr biete ich wieder in Kooperation mit Haus Neuland eine Online- Seminar hierzu an.
Wie bereits angekündigt, stellt Euch diesmal Mareike Paic von den Sternstunden Seminaren ergänzend zu meinen Blogbeitrag: „Kuschel muss mit“ ihre Ich-Box als besondere Möglichkeit, den Übergangsobjekten der Kinder einen besonderen Platz zu geben vor. Ich wünsche Euch tolle Impulse und Anregungen für Eure Praxis.
Eure Anja
Vom „ICH-BUCH“ zur „ICH BOX“ – Eine bewährte Methode wird erweitert
ein Gastbeitrag von Mareike Paic
In vielen Krippen und Kindertagesstätten wird bereits mit den sog. Ich-Büchern gearbeitet. Dabei handelt es sich um ein kleines, persönliches Fotoalbum, das von der Familie des Kindes im Vorfeld gestaltet und am 1. Kindergartentag mitgebracht wird.
Bilder sagen mehr als Worte
Beim ersten Kennenlernbesuch des Kindes erhalten die Eltern einen Blankohefter oder Ordner mit bis zu 8-10 Seiten, die dann von der Familie bis zum ersten Kita-Tag mit Bildern von wichtigen Personen und Dingen aus dem Lebensumfeld des Kindes bestückt werden. Das können Bilder von Bezugspersonen, Haustieren, Lieblingsorten, Rückzugsorten und ähnliches sein. Hilfreich für die Pädagogischen Fachkräfte ist eine kurze Beschriftung der Fotos mit Namen oder Bezeichnungen. In vielen Familien gibt es individuelle, familieninterne Begriffe und Bezeichnungen, so wird die Lieblingsspeise „Joghurt“ beispielsweise zum „Nano“ und wir erfahren, dass Ludwig nicht der Lieblingsonkel, sondern die Familienkatze ist, die wiederum vom Kind Lulu gerufen wird.
Wichtige Rituale – z.B. bevorzugte Einschlafpositionen und -helfer wie z.B. Bilderbuch, Schnuller oder Fläschchen können auf diesen Bildern ebenfalls dokumentiert werden. So verstehen wir als pädagogischen Fachkräfte das Kind und seine Bedürfnisse ohne viele Worte.
Das Ich-Buch wird oftmals zum wichtigen Halt für das Kind, wenn die Bindungspersonen nicht anwesend sind – besonders in der Eingewöhnungszeit. Dieses Büchlein gibt dem Kind dann Trost und Sicherheit.
Da die Ich-Bücher in der Regel über die gesamte Krippen- bzw. Kindergartenzeit in der Gruppe verbleiben werden sie zum wertvollen Tröster und Wegbegleiter auch über die Eingewöhnungszeit hinaus.
Wohin mit dem Schnuffeltuch?
Nach ein paar Jahren voller emotionaler „Ich-Buch-Momente“ beobachtete ich immer wieder, dass wertvolle Übergangsobjekte wie der Teddy oder auch das Schnuffeltuch oft keinen festen, geschützten Ort in der Gruppe hatten. Dies führte oftmals zu tränenreichen Suchaktionen. Ich suchte daraufhin nach einer Möglichkeit, den Lieblingsstücken des Kindes mehr Wertschätzung zukommen zu lassen. Bei einem Austauschtreffen erzählte mir eine Kollegin von persönlichen Schatztruhen, die sie für jedes Kind eingerichtet hatte. Diese Idee griff ich umgehend auf und entwickelte sie weiter.
Eine persönliche Schatzkiste: Die Ich-Box
Anstatt eines Ordners bekommen unsere Familien seitdem einen kleinen, leeren Karton mit nach Hause. Hierfür eignen sich Kinderschuhkartons, stabile Umverpackungen z.B. aus Drogerien und Parfümerien oder natürlich auch gekaufte Schmuckkartons – je nach Bezugsquelle und Etat.
Beim ersten Kennenlernbesuch kann sich ein Kind je nach Alter seinen Namen und eine Verzierung aus Buchstaben, Stickern und Klebebändern zusammenstellen und auf die Kiste kleben. Die Familien gestalten und füllen diese Schachtel zuhause als Vorbereitung auf die Eingewöhnung und das Kind bringt diese dann am ersten Tag mit in seine neue Gruppe. Neben den Fotos, die auch in einem Ich-Buch sind, finden in dieser persönlichen Schatzkiste auch ein kleiner Teddy, das Lieblingsauto, ein Schnuffeltuch oder ähnliches einen festen Ort. So wird diese Schatzkiste eine stärkende und tröstende Kiste der Erinnerungen für das Kind. Einige Kinder bringen dann auch ein Tuch mit dem Parfum der Mama oder den Bären mit dem Geruch von Papa mit in die Krippe oder den Kindergarten. Damit kann dann eigentlich nichts mehr schief gehen, oder?
Solche Seelentröster sind gut in einer solchen Kiste aufgehoben. Jede Kiste hat ihren festen Platz im Gruppenraum, wo das Kind jederzeit darauf zurückgreifen kann. Und selbstverständlich ziehen die persönlichen Schatzkisten mit dem Kind um, wenn es z.B. hausintern von der Krippe in den Kindergarten wechselt.
Schätze (wert-)schätzen
Das Kind entscheidet, wann seine Kiste geöffnet wird. Und wer mit hineinschauen möchte, muss erst einmal das Besitzerkind fragen. Auch über den Inhalt bestimmt das Kind.
Wichtig ist mir, das die Idee der Schatzkisten nicht mit dem Gedanken eines Eigentumsfaches vermischt werden. Der Inhalt dieser Box darf zwar wachsen und einzelne Stücke ausgewechselt oder erneuert werden. Sie sollte aber eine Schatztruhe mit kostbaren Einzelstücken bleiben. Für die Kunstwerke und Fundstücke des Tages steht daher weiterhin das Eigentumsfach zur Verfügung.
Persönliche Rituale der Kindheit
Vor einigen Jahren hatte ein Junge aus meiner Gruppe mit seiner Mama ein inniges Ritual, das mir sehr in Erinnerung geblieben ist. Die Mama hatte immer einen Lippenstift dabei. Wenn sie den Kindergarten verließ bekam ihr Sohn mit frisch geschminkten Lippen einen Kuss – mal auf die Stirn, mal auf die Wange. Unser Begrüßungsritual bestand dann daraus, das ich den Kuss finden und bestaunen sollte. Es war toll zu beobachten, wie der Junge mehrfach am Vormittag schnell mal zum Spiegel flitzte, um zu schauen, ob noch eine Spur von Mama zu sehen war. Für ihn war dies eine wichtige Brücke, um seinen Trennungsschmerz zu überwinden.
„Eine Dose Kussbonbons“
Nun kannst Du Dir bestimmt meine Begeisterung vorstellen, als ich das Buch „Eine Dose Kussbonbons“ entdeckte. Ein kleiner Eseljunge geht zum allerersten Mal auf Klassenfahrt. Bei aller Vorfreude macht ihn der Gedanke ohne Mama und Papa fahren zu müssen, traurig und unsicher. Mama Esel hat daraufhin eine geniale Idee: Sie „stempelt“ mit Eselpapa kleine Zettel mit ihren Küssen und packt einen ganzen Vorrat davon in eine bunte Bonbondose. Schon im Bus kann so ein kleiner „Kuss zum Mitnehmen“ den kleinen Esel trösten.
Diese Idee musste von da an mit in die Ich-Box! Als Ausgangspunkt erzähle ich den Eltern diese kleine Geschichte bereits beim Kennenlernen. Da die Geschichte recht kurz ist, lässt sie sich gut in den Kennenlernnachmittag einbauen und die Eltern können dann Kussbonbons zu Hause vorbereiten. Auch die Wartezeit während der ersten Trennungsversuche können damit verkürzt werden, wenn Eltern dazu eineladen werden Kuss-Bonbon-Gläser für ihr Kind zu gestalten und zu füllen.
So können die „Bonbons“ später vom Kind individuell und stärkend vernascht werden. Die Kinder lieben es, wenn ich Ihnen dabei die Geschichte vom kleinen Esel vorlese.
Ich wünsche Dir und den Kindern ganz viele innige „Ich-Momente“ während der Eingewöhnung und einen guten Start mit den neuen Kindern und Eltern
Deine
Mareike Paic (Sternstunden-Seminare)
Buch-Tipp:
Eine Dose Kussbonbons von Michel Gay , erschienen bei Beltz& Gelberg ISBN 978-3-407-76102-6
Mehr von Mareike Paic und den Sternstunden – Seminaren:
Als Sprachbildungskraft liegt Mareike schon seit vielen Jahen die Begleitung der Sprachentwicklung am Herzen. Hierzu hat sie im Rahmen der Stenstunden – Seminare eine DVD aufgenommen: „Überall steckt Sprache drin“. Die Beschreibung und Bezugsquelle findet Ihr hier im Download.
Schon bald kommen die angehenden Schulkinder in die Schule und das, nachdem viele von ihnen nach dem Lockdown gerade erst wieder in die Kitas und die Kindertagespflege zurück gekehrt sind. Je nach Bundesland werden die angehenden Schulkinder nur 3 bis max. 8 Wochen ihre Gruppen besuchen.
Dies stellt Euch vor besondere Herausforderungen. In diesem begrenzten Zeitraum sind das Wiederankommen, die Vorbereitung auf den anstehenden Übgang zur Schule und die baldige Verabschiedung zu gestalten.
Dem Wiederankommen und der Gestaltung des Übergangs habe ich bereits in den vergangenen Wochen zwei Blogbeiträge* gewidmet. Diesmal geht es um die Verabschiedung.
Jahr für Jahr verlassen die angehenden Schulkinder den Kindergarten und die Kindertagespflege im Sommer. Das ist ein ganz normales wiederkehrendes Ereignis. Viele Kitas und Kindertagespflegestellen haben über die Zeit hinweg Abschiedsrituale und liebgewonnene Traditionen entwickelt. Einige dieser Rituale und Traditionen, wie z.B. Übernachtungsfeste mit den Kindern und Abschiedsgottesdienste mit allen Familien, sind aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen dieses Jahr nicht oder nur teilweise umsetzbar.
Nun steht Ihr vor der Aufgabe, herauszufinden, was trotz der Abstands- und Hygieneregelungen möglich ist. Dabei sind folgende Fragestellungen hilfreich:
Was habt Ihr im Einzelnen mit den Kindern und Eltern bisher zur Verabschiedung gemacht?
Was kann von diesen Ritualen und Traditionen unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygieneregeln wie bisher übernommen und umgestzt werden? (z.B. Abschiedsbriefe, Abschiedsgeschenke, Abschiedskreis mit den Kindern etc.)
Auf welche Rituale und Traditionen müsst Ihr unter diesen Umständen verzichten? (z.B. gemeinsame Abschlussrunde mit allen Eltern in der Gruppe)
Welche Alternativen findet Ihr stattdessen?
Bei genauerer Betrachtung werden Euch viele Alternativen einfallen, die den Abschied zu einem unvergesslichen Erlebnis für die Kinder machen. Hier ein paar Ideen und Anregungen, wie Ihr den Abschied gestalten könnt:
Gestaltung eines gemeinsamen Frühstücks mit den angehenden Schulkindern
Durchführung eines Abschiedskreises, in dem jedes Kind erzählt, woran es sich gerne erinnert und worauf es sich in der Schule freut
feierliches Überreichen der Abschiedsgeschenke und Portfolios, mit einer tosenden „Rakete“ und Applaus für jedes Kind
Feiern eines Abschiedsgottesdienstes mit den Familien unter freiem Himmel
Einladung zu einem Grillnachmittag im Außengelände oder Picknick im Park mit den Familien unter Beachtung der Abstandsregeln
Gemeinsames Spazierengehen der pädagogischen Fachkräften mit den einzelnen Kindern und ihren Familien, um sich in diesem Gespräch ganz persönlich zu verabschieden
Gestalten einer Zeitkapsel* gekoppelt mit der Vereinbarung, sich in einem Jahr wiederzusehen und die Zeitkapsel gemeinsam feierlich zu öffnen
Packen eines Koffers oder Trollyes mit allen persönlichen Gegenständen des Kindes, mit dem das Kind am letzten Tag feierlich aus der Kita „auszieht“
„Sprung ins Leben“: Aufbau eines Bewegungs- und Kletterparcours, den die Kinder unter Applaus der Fachkräfte und Eltern bewältigen und mit einem letzten Sprung über die Schwelle der Kita-Tür in den Armen ihrer Eltern landen
Ich bin überzeugt davon, dass Ihr gemeinsam mit den Kindern gute Wege finden werdet, diesen Abschied angemessen und stimmungsvoll zu gestalten. Für die Kinder ist es so oder so ihr ganz besonderer und persönlicher Abschied von der Kita und Kindertagespflege. Es liegt in Euren Händen, wie sich die Kinder daran erinnern werden. Wenn Ihr ihnen das Gefühl gebt, dass sie aufgrund der Rahmenbedingungen etwas verpassen und ihnen vieles nicht möglich ist, werden sie das Verlustgefühl viel stärker wahrnehmen. Denkt an das Prinzip, dass wenn Ihr etwas zum Problem macht, dies auch zum Problem wird. Haltet Euch in der Vorbereitung nicht zu sehr damit auf, was gerade nicht geht. Überlegt, was möglich ist und den Kindern Spaß macht. Für die Kinder ist es wichtig, dass Ihr ihnen einen schönen Abschied bereitet, an den sie sich gerne erinnern.
Erfreut Euch gemeinsan mit den Kindern an diesen ganz besonderen Abschied.
Viel Spaß dabei!
Eure Anja
* Hier ein paar Links zu den Blogbeiträgen, auf die ich mich in diesem Beitrag bezogen habe:
Zur Förderung der emotionalen Kompetenz gehört es, dass Kinder möglichst spielerisch verschiedene Gefühle kennenlernen und diese zum Ausdruck bringen können. Die folgende Methode von Mareike Paic (Sternstunden-Seminare) unterstützt diesen Lernprozess und schult parallel die Wahrnehmung der Kinder, die verschiedenen Gefühle beim Gegenüber richtig zu interpretieren. Ich wünsche Euch heute viel Spaß mit dem Gastbeitrag von Mareike. Ich hoffe, ihr findet hier ganz viel Inspiration für Eure Arbeit mit den Kindern.
Eure Anja
Mareike Paic – Sternstunden-Seminare:
Die Gefühlsuhren
Habt Ihr auch früher stundenlang vor dem Spiegel gesessen und Grimassen gezogen? Ich selbst konnte als Kind nicht genug davon bekommen. Auch die Kinder, mit denen ich arbeite, verbringen so Ihre Zeit mit viel Spaß und Ausdauer vor dem Spiegel. Daraus entstand vor einiger Zeit meine Idee für die „Smiley-Schmuckdose“.
Die Vorbereitungen
Als erstes solltet Ihr 12 Smileys ausdrucken, auf Karton aufkleben, laminieren und ausschneiden. Zur Aufbewahrung eignet sich ein Schmuckkästchen, ein hübscher Karton oder ähnliches…egal welche Schachtel Ihr findet, ein Spiegel gehört UNBEDINGT dazu, damit sich das Kind selbst sehen und beobachten kann. Natürlich könnt Ihr auch prima einen aufstellbaren Schminkspiegel nutzen.
Die Spielanregung
Ladet das Kind ein, sich einen Smiley auszusuchen und das dargestellte Gefühl mimisch nachzumachen. Lasst das Kind erst einmal experimentieren. Im besten Fall versinkt es in seinem Tun und fühlt dabei spielerisch in sich hinein.
Im weiteren Prozess kann dieser spielerische Zugang ein Türöffner werden, um mit dem Kind über die verschiedenen Gefühle ins Gespräch zu kommen:
Wie siehst du aus?
Wie fühlt sich das an…im Gesicht, im Bauch …?
Warst du auch schon einmal so richtig wütend/traurig/lustig?
Wie guckst du, wenn du …bist?
Allein und mit der Gruppe
Die Smiley Schmuckdose lässt sich sehr gut für ein Kind oder in einer 1:1 Interaktion von Pädagogischer Fachkraft und Kind einsetzen. Ergänzend hierzu könnt Ihr die Methode in etwas abgewandelter Form auch im Morgenkreis integrieren. Dann sucht sich ein Kind sich ein Smiley aus der Schmuckdose aus und macht den entsprechenden Gefühlsausdruck mimisch. Die anderen werden dann eingeladen:
den Gesichtsausdruck nachzumachen.
zu beschreiben, was sie sehen
das Gefühl, was in Ihnen hochkommt, zu benennen
uvm.
Die Weiterentwicklung einer Spielidee
Um mit mehreren Kindern noch intensiver in das jeweilige Gefühl einzutauchen, die verschiedenen Gefühle zu verdeutlichen und Worte dafür zu finden, habe ich schließlich die Gefühlsuhren entwickelt.
Hierbei handelt es sich um mehrere runde Scheiben aus dicker Pappe, die am Kreisrand mit den gleichen Smileys wie in der Dose beklebt sind und mit einem drehbarem Zeiger, der in der Mitte durch eine Musterklammer in der fixiert wird, und so wie eine Uhr aussehen. (s. Fotos) Achtung: Der Zeiger darf nicht zu lang sein, sonst verdeckt er die Mimik des Smileys.
Jedes Kind bekommt es eine solche Uhr im Morgen- bzw. Spielkreis. Die Gefühluhren können dann unterschiedlich eingesetzt werden: z.B.
als Gefühlsbarometer: auf die Frage hin „Wie fühlst Du Dich heute?“ stellt jedes Kind seine aktuelle Befindlichkeit auf der Uhr ein und so seht Ihr, wie es den einzelnen Kindern gerade geht.
als Kombination von Schmuckdose und Gefühlsuhren: Ein Kind bekommt die Schmuckdose und alle anderen jeweils eine Uhr. Das Kind mit der Schmuckdose zieht einen Smiley und versucht, den Ausdruck nachzumachen. Zur Selbstkontrolle sollte unbedingt ein Spiegel zur Verfügung stehen. Mit diesem Gesichtsausdruck schaut das Kind dann in die Runde und alle andern stellen ihren Zeiger auf den Smiley, den sie zu erkennen glauben. Wenn alle fertig sind, werden die auf den Uhren markierten Smileys verglichen. Dann entsteht automatisch ein Austausch und es kann vorkommen, dass ein Kind feststellt: „Dein Gesicht sieht aber anders aus. Deine Augenbrauen sind anders. Deine Mundwinkel sind nicht unten.“ usw.
Daraus entsteht oftmals ein gemeinsames Ausprobieren und Experimentieren. Diese Übung ist dadurch nicht nur ein Türöffner, um mit den Kindern über Gefühle ins Gespräch zu kommen, die Kinder werden auch sensibilisiert, genau hinzuschauen und Körpersignale zu deuten.
Ein Dino zeigt Gefühle
Eine zusätzliche, erweiterte Variante für die Uhren wäre die Verwendung von Figuren, die dazu einladen neben den Gesichtsausdrücken auch die Körperhaltung miteinzubeziehen. Hier greife ich gerne auf die Bilder der Geschichte: „Ein Dino zeigt Gefühle“ von Christa Manske und Heike Löffel zurück.
Erfahrungsgemäß entwickeln die Kinder noch ganz viele weitere Variationen mit diesen Materialien.
Ein Dino zeigt Gefühle, Christa Manske und Heike Löffel, mebes & noack Verlag, ISBN 987-3927796423 Ein Dino zeigt Gefühle „Die Box“ Memo/Lotto Bildkarten Christa Manske und Heike Löffel, mebes & noack Verlag,
Anja Cantzler, Mein Körper, Hase und Igel https://www.hase-und-igel.de/buch/mein-koerper-9783867608589
Anja Cantzler, Meine Sinne, Hase und Igel, https://www.hase-und-igel.de/buch/meine-sinne-9783867608794
Heute folgt, wie angekündigt, der 2. Teil des Interviews mit Vanessa Pivit, Trauerbegleiterin und Erzieherin. Der Schwerpunkt liegt diesmal darauf, wie Ihr als Pädagogische Fachkräfte Kinder und Familien in Trauerprozessen begleiten und unterstützen könnt.
Das Interview
A.C.: Liebe Vanessa, nachdem wir uns zunächst mit dem beschäftigt haben, wie Kinder trauern, stellt sich heute die Frage: Wie pädagogische Fachkräfte die Kinder und Familien in Trauerprozessen begleiten und unterstützen können?
V.P: Vieles ist möglich. Die Teams sollten sich im Vorfeld eine Haltung und einen Leitfaden erarbeiten: Wie gehen wir generell mit Trauer um und wo sind unsere Grenzen als Mitarbeiter und als Team? Wer kann uns unterstützen, wenn wir nicht mehr weiter wissen? Mittlerweile bieten unterschiedliche Organisationen Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte an. Darüberhinaus gibt es Trauerbegleiter, die Einrichtungen und Familien vor Ort unterstützen.
Ein Trauerfall wirft eine Familie häufig aus ihrer gewohnten Tagesstruktur. Eltern müssen schnell Vieles entscheiden und regeln. Es bleibt oftmals wenig Zeit für die Kinder und deren Befindlichkeiten. In diesen Situationen könnten pädagogische Fachkräfte Familien entlasten, indem sie beispielsweise die Betreuungszeit vorübergehend ausweiten. Eltern hätten so den Rücken frei, um sich um die notwendigen Formalitäten zu kümmern und die Kinder würden in einer vertrauten Umgebung aufgefangen.Für das trauernde Kind ist es wichtig, dass es so angenommen wird, wie es jetzt gerade in diesem Augenblick ist. Das Kind darf sich so verhalten, wie es das braucht und es der Rahmen hergibt. Darin besteht der größte Schatz, den man ihm in dieser Situation schenken kann. Fachkräfte sollten auf jeden Fall mit den verschiedenen Trauerphasen (s. Link im Anschluss) vertraut sein, um die verschiedenen Gefühlsschwankungen, die mit dem Trauerprozesse verbunden sind, besser verstehen und begleiten zu können. Das Kind braucht in dieser Zeit eine vertraute Bezugsperson. Wie im ersten Teil bereits erwähnt, sollte mit dem Kind nur über den Verlust geredet werden, wenn das Kind das Bedürfnis äußert. Es darf ihm nichts übergestülpt werden, wozu es in diesem Moment noch nicht bereit ist. Das Kind gibt den Weg vor und wir schenken ihm Vertrauen. Das Kind braucht die Gewissheit, dass die Pädagogische Fachkraft immer da ist, sein Verhalten aushält und ihm hilft, mit der Situation umzugehen.
Eine weitere Möglichkeit wäre, dass eine Fachkraft das Kind während der Beisetzung begleitet. Für viele Eltern wäre das eine hilfreiche Entlastung. Sie wüssten dann, dass ihr Kind gut aufgehoben ist und könnten sich der anschließenden Beerdigung uneingeschränkt widmen. Bedauerlicherweise fehlen in der Praxisnhierzu oftmals die zeitlichen Ressourcen.
Des Weiteren kann über einen Verlust oder Tod auch im Gruppenverband gesprochen werden, vorausgesetzt, dass die Eltern des betroffenen Kindes damit einverstanden sind. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass wir als Pädagogische Fachkräfte in allen Belangen der Schweigepflicht unterliegen. Wenn mir ein Kindergartenkind etwas erzählt, dass nicht für andere Ohren bestimmt ist, ziehe ich mich möglichst in einen geschützten Raum mit dem Kind zurück, damit es dort frei und ungestört sprechen kann.
A.C.: Wie und wodurch bestärkst Du Eltern, ihre Kinder mit in den Trauerprozess mit einzubeziehen?
V.P.: Das verdeutliche ich am besten an einem Beispiel aus meiner Praxis. Ich hatte neulich ein Entwicklungsgespräch mit einer Mutter. Sie wusste nichts von meiner Ausbildung als Trauerbegleiterin. Sie fragte, ob wir vielleicht wüssten, wann, wie und ob überhaupt sie mit ihren Kindern, 3 & 5 Jahre alt, über die Krankheit des Opas und den bevorstehenden Tod sprechen könne und solle. Ich spürte an ihrer Unsicherheit, dass das nicht in 5 Minuten zu beantworten war. Ich erzählte ihr von meiner Arbeit als Trauerbegleiterin und bot ihr eine erneute Verabredung an, um in Ruhe darüber sprechen zu können. Ich merkte, wie dieses Angebot sie bereits etwas beruhigte. Wir trafen uns ein paar Tage später und ich ließ sie erst einmal erzählen, um mir auch ein Bild von der Situation zu machen. Da ich die Kinder bereits kannte, erleichterte es mir, die Mutter entsprechend zu beraten. Im Gespräch wurde ihre Verunsicherung sehr deutlich. Sie äußerte, ihre Kinder schützen zu wollen. Glücklicherweise konnte ich sie in ihrem bisherigen Handeln bestärken. Es stellte sich heraus, dass die Familie sich schon auf einem guten Weg der Trauerarbeit befand. Der Mutter war dies bislang nur nicht bewusst. Mit zunehmender Erleichterung kam ein immer stärkeres Strahlen in ihr Gesicht. Es wuchs die Erkenntnis in ihr, dass sie bislang „alles richtig“ gemacht hatte. Der Weg dieser Familie bestand darin, dass die Mutter den Kindern erklärte, wie es dem Opa geht und die Fragen der Kinder beantwortete. Sie durften den Opa besuchen, wenn sie es wünschten. Bei näherer Betrachtung braucht sie mich eigentlich nicht. Unser Gespräch diente zu Ihrer Bestärkung, die ihr die bisherige Verunsicherung nahm.Ergänzend habe ich ihr zur Unterstützung meinen Trauerkoffer angeboten. Darin befinden sich u.a. Fachbücher für Erwachsene, Bilderbücher für Kinder, Bilderrahmen zum Gestalten, Kerzen, Keilrahmen und Malzubehör. (Anm.: Der Trauerkoffer wird in einem eigenen Beitrag am kommenden Donnerstag konkreter vorgestellt)
In meiner Praxis als Erzieherin und Trauerbegleiterin bekomme ich von Eltern immer wieder die Rückmeldung, dass wenn sie sich trauen, mit ihren Kindern offen über Sterben, Tod und Trauer zu sprechen, dass das eine Bereicherung für die ganze Familie ist. Mein Ziel besteht darin, dass Kinder die Gelegenheit bekommen, gerade dann, wenn es ihnen nicht gut geht bzw. sie verunsichert sind, mit ihren Fragen und Empfindungen gehört und gesehen werden. Sie haben ein Recht darauf. Das Leben hat immer mehrere Seiten und Blickwinkel – auch die Schattenseiten gilt es in den Blick zu nehmen.
A.C.: Wann stößt Du in dieser Arbeit an Grenzen?
V.P.: Ich stoße immer dann an Grenzen, wenn ich Menschen begegne, die sich auf der beruflichen Ebene diesem Thema verschließen und somit den Kindern, die ihnen anvertraut sind, das Recht nehmen, sich mit ihrer Trauer und den damit verbundenen Gefühlen offen auseinandersetzen zu dürfen. Ich wünsche mir, dass der Umgang mit Gefühlen und Empfindungen wie Trauer, Angst und Wut genauso wichtig genommen wird wie andere Bildungsbereiche. Was bringt einem Kind, eine gute Stifthaltung für die Schule zu haben andererseits nicht seine Gefühle bei einem „Nein“ einordnen zu können, weil sie in dieser von uns begleiteten wichtigen Entwicklungszeit ihre Gefühle nicht ausleben dürfen.
A.C.: Was möchtest Du den KollegInnen in den Kitas abschließend mit auf den Weg geben?
V.P.: Gebt auch dem Bereich Trauer einen angemessenen Platz in der Kitaarbeit. Trauer setzt nicht erst beim Tod ein. Wir erleben tagtäglich so viele Trauerprozesse, die wahrzunehmen und zu begleiten sind. Die Trennung morgens von der Mutter, die man doch nochmal küssen möchte, der vergessene Teddy, der uns gerade trösten könnte…. Wir brauchen behutsame KollegInnen, die das Kind gerade hier in seinem Sein annehmen und die Traurigkeit aushalten kann. Und nicht die, die sagen, ach, ist doch nicht so schlimm, die Mama kommt später, der Teddy ist später für dich da. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, der Klassiker aus meiner Kindheit. Aber Kinder brauchen in genau diesem Augenblick, dass sie jemand in den Arm nimmt und wertschätzt. Ich würde mir wünschen, dass in der Schnelllebigkeit der bisherigen Zeit wieder mehr Raum und Zeit für Gefühle, Wärme, Nächstenliebe gegeben wird. Gerade die Arbeit im U3 Bereich braucht einen besonders feinfühligen Umgang zum Beispiel in der Eingewöhnung. Es ist m.E. für das Kind wenig ratsam eine zügige Trennung zu vollziehen, um Eltern möglichst schnell die Rückkehr in die Arbeit zu ermöglichen. Es geht darum schrittweise Vertrauen aufzubauen, damit das Kind sich bei uns wohlfühlen kann. Das funktioniert nur Hand in Hand mit den Eltern. Dabei geht es auch um Aushalten und Geduld, bis das Kind bereit ist. Für mich ist das vergleichbar mit einem Trauerprozess – Mama/Papa geht und ich bleibe in der Kita. Und so begegnen uns viele kleine Abschiede in der Kitazeit, die es gut zu begleiten gilt.Abschließend komme ich noch einmal zurück auf das Thema Tod: Das Sprechen darüber ist oftmals gar nicht so schwer. Es gilt erst einmal einen Anfang zu wagen. Wenn wir den Kindern Vertrauen und Gehör schenken, kommt vieles ganz von alleine.
Puh!. Das Thema Trauer ist so umfangreich und spannend, dass dieses Interview dafür bei weitem nicht ausreicht. Ich hoffe, ich konnte ein paar von den Leser*innen motivieren, sich mit auf den Weg zu machen und sich mehr mit Tod und Trauer beschäftigen. Letztlich ist eine Tatsache unumstößlich, vor dem eigenen Tod können wir nicht weglaufen. (Ende 2. Teil)
Mit verändertem Blick in die Praxis
Wenn wir auf das Geschehen der letzten Wochen zurückschauen, möchte ich mich Vanessas Plädoyer für einen feinfühligen Umgang mit den Kindern anschließen. Viele Kinder waren jetzt längere Zeit nicht in der Kita und müssen sich erneut von den Eltern verabschieden. Einige werden darüber sehr traurig sein. Die Vorgaben zum Infektionsschutz erschweren die Abschiedsprozesse. Es müssen neue stützende Rituale gefunden werden. Umso wichtiger ist es, die Trauer und das Traurigsein der Kinder (und ggfs. der Eltern) ernst zu nehmen und für alle Beteiligten möglichst gute Brücken zu bauen.
Darüber hinaus kommen die Kinder in eine veränderte Situation zurück. Auch hier heißt es für viele Kinder Abschied nehmen von Gewohntem und Liebgewonnenen. Manche Kinder müssen auch hier erst neue Handlungsstrategien entwickeln, um diese Veränderungen annehmen zu können. Und es ist sehr traurig, wenn das Kind nicht mit dem Freund aus der anderen Gruppe spielen darf.
Zu guter Letzt solltet Ihr Euch darauf einstellen, dass einige Kinder tatsächlich Verluste in der zurück liegenden Zeit erlebt haben. Das muss nicht zwangsläufig durch Corona verursacht sein. Aber aufgrund der Be- und Einschränkungen des Besuchsrechts in Pflegeheimen und Krankenhäusern und den Auflagen für Beerdigungen haben wir mit veränderten Trauermöglichkeiten zu tun. Die Kinder erleben das hautnah mit und brauchen gerade jetzt sehr aufmerksame und achtsame Erwachsene, die Ihnen Raum zu der individuellen Verarbeitung ihrer Gefühle geben. Ihr legt damit einen wichtigen Grundstein für die sozial-emotionale Entwicklung der Kinder und stärkt sie in ihrer Resilienz.
Abschließend für heute gilt mein besonderer Dank Vanessa Pivit, die sich letzte Woche spontan bereit erklärt hat, mit mir dieses Interview zu führen. Am kommenden Donnerstag wird sie ihren Trauerkoffer noch etwas genauer vorstellen. Eine tolle Anregung für die Praxis, wie ich finde.
Ergänzend ein Webinar-Replay von Bianca Hofmann (Praxis-Kita): Zum Thema „Abschied von Liebgewonnenem und Gewohntem“ Dauer: ca 60 Minuten – Danke liebe Bianca, dass ich den Link hier zur Verfügung stellen kann. In diesem Webinar gelingt meines Erachtens ein wundervoller Transfer von dem Thema Tod und Trauer zu den Befindlichkeiten der Kinder in den aktuellen Zeiten von Corona.
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