von Anja Cantzler | 19.07.2022 | Bindung und Eingewöhnung, Gastbeitrag, Peergroup Eingewöhnung
Ein besonderes Dankeschön geht hier an die Kolleginnen des Evangelischen Kindergarten Huckepack in Hüllhorst. Petra Stallmann hat sich vo ein paar Jahren auf meine Anregung hin auf den Weg gemacht, die Peergroup Eingewöhnung in ihrer Gruppe umzusetzen.
Hier kannst du nun nachlesen, wie die verschiedenen Beteiligten diese Form der Eingewöhnung erleben.
Die Eingewöhnung aus Sicht der Leitung
Die Rückmeldung der Eltern zu diesem Eingewohnungsmodell sind durchweg positiv. Das ergab sich aus dem zurückliegenden Audit. Wichtig ist es aber, die Eltern sorgfäItig über dieses Eingewöhnungsmodell zu informieren. Auch die Kontakte unter den Eltern werden intensiviert, weil Sie sich mehr als Gruppe erleben. Das stärkt ihr „Wir-GefühI“. Die EItem. erfahren auch so etwas wie eine „Eingewöhnung & Abnabelung“ als Gruppe.
Es eignet sich nur fur kleine Gruppen, weil die Räume und Personalkapazität dies sonst nicht zulassen. In einer Betreuungsgruppe in der sich 20 oder mehr Kinder befinden, gibt es bei uns keine Möglichkeit parallel zum Betreuungsalltag einen Gruppenraum „nur“ fur die Eingewöhnung vorzuhalten. Da auch nachmittags Kinder in der Einrichtung sind, steht bei uns kein Zeitfenster zur Verfügung in dem das möglich wäre. Die Personaldecke lässt kaum zusätzliche Arbeitszeiten zu, ohne dass Personal im pädagogischen Alltag fehlt. Ideal ist es, wenn Eingewöhnungszeiten ab 14 / 15 Uhr sind. So i‹ann der „normale‘ Betrieb weiterIaufen. Das bedeutet aber, dass uriter den Bestandskindern möglichst keine oder nur vereinzelt 45 Stunden gebucht sind. Im Gruppentyp II at es sich bewährt 50% der Gruppe neu zu belegen.
Die Kinder in der Krippengruppe profitieren von dieser Eingewohnung, weiI sie nicht ganz so sehr in Abhängigkeit von der einzelnen Erzieherin stehen. Natürlich ist das Personal nach wie vor ein wichtiger Bez!ehungsanker, dennoch scheinen die Kinder schneller Kontakte zu den anderen Kindern aufzubauen, was auch bedeutet, dass sie schneller ins Spiel kommen.
Die Sicht von Petra, der Gruppenleitung
Seit 2017 gewöhnen wir die Kinder unserer U3 Gruppe nach dem Peergroupmodell ein. Nach wie vor verläuft die Eingewöhnung sehr strukturiert, unkompliziert und schnell ab.
Dass die Kinder „sicher“ eingewöhnt sind, zeigt sich auch nach längeren Fehlzeiten der Kinder oder Erzieherinnen. Dieses ließ sich in den Coronazeiten gut beobachten. In der Bringzeit betreten die Kinder selbstverständlich den Raum und werden fröhlich vom Rest der Gruppe empfangen, bewegen sich zielgerichtet auf ein bestimmtes Spielzeug zu oder gehen in ihre Lieblingsecke, in der sie sich besonders wohlfühlen. Manche Kinder suchen sich anfangs eine Bezugserzieherin aus, verhalten sich aber nach kurzer Zeit sehr offen gegenüber den anderen Erzieherinnen der Gruppe.
Zum reibungslosen Ablauf der Eingewöhnung gehören die Planung, die Informationen, die Absprachen mit dem Team und den Eltern sowie die Vorbereitung der Räumlichkeiten mit Spielzeug in doppelter Ausführung. Lezteres sorgt dafür, dass die Kinder durch Beobachtung und Nachahmung auf Augenhöhe kommunizeren können und so in Interaktion treten.
Schnell bekommen die Kinder Freude am Explorieren. Die Sicherheit bietet ihnen die integrierte Elternecke, wo die Kinder jederzeit Kontakt zu ihren Eltern aufnehmen können. Darüber hinaus dient diese Ecke auch dem Kennenlernen der Eltern untereinander, was sich für die weitere Mitarbeit in der Gruppe als sehr hilfreich erwiesen hat.
Die einzugewöhnenden Kinder werden in Absprache mit den Eltern in zwei Gruppen geteilt, einer Vor- und einer Nachmittagsgruppe. Diese beiden Gruppen wurden in den letzten Jahren am vierten Tag zusammengeführt. Ganz individuell halten sich die Eltern an den folgenden Tagen in der Gruppeneltenecke, der ausgelagerten Elternecke auf oder sind per Handy jederzeit errreichbar. Meistens bestätigt sich hier, wie unkompliziert und schnell diese Form der Eingewöhnung abläuft.
Im letzen Jahr hatte ein Kind bereits zwei Tage mit der Mutter den Kindergarten besucht, sich auch sichtlich wohlgefühlt und ist dann für anderthalb Wochen erkrankt. Nach dieser Krankheitsphase begann die Eingewöhnung für dieses Kind erneut. Hier hat es sich als hilfreich erwiesen, die Gruppe zu entzerren, um dem Kind die Möglichkeit zu bieten mit zwei weiteren Kindern in Ruhe in Beziehung zu treten.
Die Sicht von Estelle, einer Gruppenkollegin
Ich empfinde das Eingewöhnungsmodell als eine sehr strukturierte und angenehme Weise, die Kinder nach ihrem eigenen Tempo in den Kindergartenalltag einzugewöhnen.
Zudem finde ich es toll, dass nicht nur die Kinder eine Beziehung und Bindung zueinander aufbauen, sondern auch die Eltern die Möglichkeit haben, sich kennenzulernen und auszutauschen, was einer tollen Atmosphäre der Gruppe und auch der Elterngemeinschaft zu Gute kommt.
Ich finde, die Kinder sind meistens sehr entspannt, und freuen sich auf die anderen Kinder, auf ein bestimmtes Spielzeug oder auf eine bestimmte Räumlichkeit, in der sie sich ganz besonders wohl gefühlt haben.
Kinder, die im selben Alter sind, können toll voneinander lernen, sich bestimmte Dinge abgucken und eine besonders feste Bindung zueinander aucfbauen, was ihnen bei der Trennung von den Eltern enorm hilft.
Vorraussetzung dafür, dass das Modell umzusetzen ist, ist die Mitarbeit der Eltern.
Ich würde abschließend sagen, dass ich in den 3 Jahren durchweg Positives in der Eingewöhnung erlebt habe und sich diese Art des Modells in unserer Gruppe bewährt hat. Außerdem finde ich es super, dass sich die Kinder selber eine Bezugsperson aussuchen können und sie nicht zugeteilt werden.
Die Sicht von Verena, einer weiteren Gruppenkollegin
Eingewöhnung in der Peergroup – aus meiner Sicht eine sehr sanfte, langsame Eingewöhnung, die sowohl den Kindern als auch Eltern Zeit gibt, sich an den Kindergartenalltag zu gewöhnen.
Sie gibt viel Raum und Zeit um die Erzieherinnen, die anderen Kinder, die Räumlichkeiten und auch Rituale kennenzulernen. Die Kinder haben die Möglichkeit, sich Stück für Stück nach eigenem Zutrauen vom Sitzplatz der Eltern zu entfernen und auf „Entdeckungsreise“ zu gehen.
Sie dürfen die Sicherheit erfahren, dass ihre Eltern an dem gleichen Ort wiederzufinden sind.
Wir Erzieherinnen sind bemüht, Kontakt zu jedem Kind aufzubauen. So wird ein gegeseitiges Kennenlernen gefördert, den Kindern wird dennoch die Chance gelassen sich eine Bezugsperson auszusuchen.
Oft gelingt es sehr schnell das Vertrauen der Kinder zu gewinnen, sodass wir Erzieherinnen nach und nach immer mehr Aufgaben übernehmen können, die sonst den Eltern vorbehalten waren. Natürlich gelingt dieses besonders gut, wenn Eltern bereit sind zuzulassen, dass die Kinder die ersten „Abnabelungsversuche“ unternehmen und diesen Prozess bereitwillig unterstützen.
Für die Eltern bedeutet diese Art der Eingewöhnung, dass sie viel Zeit in die ersten Wochen investieren müssen und sie verlangt auch eine gewisse Art von Flexibilität ab. Hat ein Kind schon tolle Fortschritte gemacht und kann schon für kurze Zeit „alleine“ im Kindergarten bleiben, werden die Eltern in die Elternecke der Einrichtung oder bei kurzem Weg auch nach Hause geschickt.
Da alle Eltern während der Eingewöhnung an einem festen Platz sitzen, in unserem Fall ist das der Nebenraum, bekommen sie auch die Fortschritte der anderen Kinder mit und müssen es auch aushalten, wenn andere Kinder schnellere Fortschritte machen als das eigene Kind.
Ich bevorzuge diese Art der Eingewöhnung, da die Eltern und die Kinder dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen. Sie bietet viel Raum und Zeit zum Kennenlernen, gibt den Erzieherinnen gute Beobachtungsmöglichkeiten, um individuell auf die Kinder einzugehen (z.B. wie das Kind getröstet wird, welches Spielzeug besonders interessant ist…).
Als wichtig erachte ich es auch, dass die Kinder mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und gerne in den Kindergarten zurückkehren. Deshalb sollten die Spielphasen in den ersten Tagen von kurzer Dauer sein und dann langsam ausgeweitet werden.
Und zum Abschluss die Sicht einer Mutter
Unsere Tochter, 1,7 Jahre, geht seit August 2021 in den Kindergarten. In der Einführungszeit fühlten wir uns als Eltern sehr gut aufgehoben. Die Interaktion mit den Kindern/Eltern erfolgte, trotz Coronabedingungen, sehr intensiv. Unsere Tochter hat schnell Vertrauen zu den Fachkräften gefunden, was wohl auch daran liegt, dass diese alle jederzeit freundlich und offen gegenüber den Kindern und auch den Eltern sind.
In diesem ersten halben Jahr können wir von einer durchaus positiven Entwicklung unserer Tochter sprechen. Wir merken, dass mit den Kindern jeden Tag intensiv interagiert wird. Sei es sprachlich, musikalisch oder auch in der Bewegung. Ihr Wortschatz wächst von Tag zu Tag. Dazu tanzt und singt sie gerne. Auch scheint sie bereits erste engere Verbindungen mit einigen Kindern aufzubauen, da drei bis vier Namen auch außerhalb des Kindergartens eine Rolle spielen. In der Regel ist sie immer positiv gestimmt, wenn wir sie aus dem Kindergarten abholen. Auch morgens freut sie sich, wenn wir sie hinbringen. Für uns ein Zeichen, dass sie sich wohlfühlt und ihr eure Arbeit mit viel Engagement ausübt. Auch ihr Sozialverhalten wird durch den Kindergarten positiv beeinflusst. So signalisiert sie, was sie möchte und sagt auch Nein, wenn es ihr zu viel wird. Das Teilen/Abgeben von Spielsachen klappt ebenfalls schon sehr gut.
Positiv erwähnen möchten wir auch unser erstes gemeinsames Gespräch, wo wir unsere gegenseitigen Erfahrungen bezüglich der Entwicklung unserer Tochter austauschen konnten. Trotz der Coronabedingungen fühlen wir uns von den Fachkräften der Gruppe jederzeit mitgenommen. Der kurze Austausch über den Tag beim Bringen/Abholen finden wir sehr gut.
Mehr über das Modell
Soweit die Stimmen aus der Praxi und den Erfahrungen mit der Peergroup-Eingewöhnung. Ich wünsche mir, dass sie dich vielleicht noch ein bisschen neugieriger auf diese Eingewöhnung gemacht haben.
Wenn du mehr über die Peergroup-Eingewöhnung erfahren möchtest. Im Oktober erscheint mein Buch: Peergroup-Eingewöhnung im Verlag an der Ruhr. Du kannst es schon jetzt im Buchhandel oder im Shop des Verlages vorbestellen.
von Anja Cantzler | 9.05.2022 | Allgemein
Zusammen mit den Gewerkschaften rufen die Fachkräfteverbände in Deutschland zu einem bundesweiten KiTa-Protest auf. In einem offenen Brief der Fachkräfteverbände heißt es:
„Unter dem Hashtag #kitasamlimit, #esreicht und #unsglangts (in Bayern) protestiert das Personal aus den Kitas. Sie sind am Limit und es ist kein Ende in Sicht. Sowohl die Personalsituation, als auch die schlechten Rahmenbedingungen, auf die immer wieder aufmerksam gemacht wird, führen unter den Kita-Fachkräften zu Frust und Ärger. Die Pandemie tut ihr Übriges, indem sie den Krankenstand in die Höhe treibt und die Gesundheit von Kindern, Personal und Familien bedroht.
Im Januar diesen Jahres legte die Agentur für Arbeit beeindruckende Zahlen vor: auf 100 freie Stellen kommen nur noch 79 Fachkräfte. Im Jahr 2010 waren es noch 253 Fachkräfte. Immer mehr Fachkräfte verlassen ihren Beruf und orientieren sich neu. Der Fachkräftemangel verstärkt sich weiter!
Mit der Aktion #kitasamlimit wollen wir, über die einzelnen Bundeslandgrenzen hinaus, auf die Bedingungen in den Kitas aufmerksam machen. Wir wollen den Kindern wieder eine verlässliche Betreuung und Bildung anbieten. Der Wert der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung dürfen der Pandemie, den schlechten Rahmenbedingungen und einem realitätsfernen Personalberechnungsschlüssel nicht zum Opfer fallen.
Kitas sind keine „Aufbewahrungsstätte“ für Kinder. Wir unterstützen Kinder in ihrem Handeln und legen den Grundstein für ihren weiteren Werdegang. Wir sind eine Bildungsstätte und das Sprachrohr der Kinder. Wir wollen mit ihnen lachen und Spaß haben, auf ihre Bedürfnisse eingehen und ihre Individualität sehen. Wir wollen Kinderrechte sichern und ein Schutzhaus für die Kleinsten sein. Doch es fehlt an Kapazität, es fehlt die Zeit, das Personal und inzwischen die Kraft.
Verbände für Kita Fachkräfte
Seit 2020 sind in vielen Bundesländern Verbände für Kita Fachkräfte entstanden, deren Mitglieder sich aktiv für die Verbesserung der Arbeits- und Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung aktiv einsetzen. Der Fachkräfteverband hier in NRW wendet sich beispielsweise regelmäßig mit Aufrufen und Briefen an das zuständige Ministerium des Landes NRW. Die aktuellen Missstände werden nicht mehr einfach so hingenommen und das ist gut so.
Auch wenn es in der Kinderbetreuung nicht darum gehen kann, einen ruhigen und störungsfreien Alltag mit den Kindern zu verbringen, in dem Kinder sich lieb und brav anpassen und einfach nur funktionieren.
Fachkräftemangel, viele Erkrankungen der Mitarbeitenden, zu große Gruppen, fehlende Vorbereitungszeiten etc. erschweren das Arbeiten in der Kinderbetreuung. Ich erlebe gerade viel zu viele Fachkräfte, die am Ende ihrer Kräfte, ausgelaugt und frustriert sind. Das kann und darf nicht so weiter gehen.
Die Antwort hierauf kann und darf nicht lauten: „Ach, das schaffen Sie doch auch locker alleine. Das geht woanders doch auch.“ „Dann verzichten sie doch einfach auf die Pause.“ „Die Berichte können Sie doch auch zu Hause nach Feierabend schreiben.“ „1-2 Kinder mehr pro Gruppe ist doch kein Problem.“
Viele Fachkräfte fühlen sich gerade zu Recht von ihren Trägern und der Politik im Stich gelassen. Der aktuelle Streik für bessere Rahmenbedingungen ist mehr als überfällig und notwendig. Es geht darum, gemeinsam dafür einzutreten, dass die pädagogische Arbeit nicht immer mehr zur Kinderverwahrung verkommt.
Ein Jahr voller Krisen und Katastrophen
Der Beginn der Pandemie liegt nun schon zwei Jahre zurück und ist für dich und deine Kolleg*innen immernoch eine unliebsame Begleiterin. Nur wenige aus deinem Arbeitsfeld sind um eine Erkrankung herum gekommen. Die einen haben es ganz gut weggesteckt, andere leiden immernoch an den Folgen.
Aber es blieb nicht bei der Pandemie. Im vergangenen Sommer überraschten uns die Hochwasserkatastrophen in verschiedenen Regionen Deutschlands. Besonders gebeutelt wurde das Ahrtal, das sich bis heute noch nicht erholt hat. Mittendrin Fachkräfte, die nicht nur ihr eigene Existenz verloren hatten, sondern gleichzeitig die zerstörte Infrastruktur der Kinderbetreuung wieder aufbauen mussten.
Die Nachricht über diese Hochwasserkatastrophe ereilte mich auf dem Weg in den Urlaub und ließ mich nicht mehr los. Ich schrieb mitten in der Nacht noch einen Blogartikel um Fachkräften Handlungsstrategien zur Begleitung der Kinder in den betroffenen Gebieten an die Hand zu geben. Ergänzend dazu erschien ein KitaTalk mit Corinna Scherwath mit dem Titel: Warum Reden manchmal doch Gold ist.
Und jetzt beherrscht schon seit Wochen der Ukraine Krieg unser Leben. Viele Kitas haben bereits Kinder mit Fluchterfahrung aufgenommen, ohne zusätzliche personelle Unterstützung.
Auskotzen als Psychohygiene
Im letzten Online Gruppencoaching für Leitungskräfte habe ich die Leitungskräfte dann auch dazu eingeladen, sich verbal einmal so richtig Luft zu machen. Mit den Fragen aus dem Buch von Daniel Hoch: Das Leben ist schön Scheisse, sind wir den Fragen nach gegangen.
- Muss ich… mich jetzt freuen, auch wenn es mir eigentlich schlecht geht und ich alles blöd finde? Ist es immer erforderlich, sich zu freuen?
- Will ich… mich gerade überhaupt freuen?
- Was will ich stattdessen? Was hat mich bisher abgehalten meinen wahren Gefühlen zu folgen? – SAG PROAKTIV JA ZUM FLUCHEN!
- Worauf fokussierst du dich? – Denk einfach mal an alles, was du gerade nicht ändern kannst! Und genau dass darfst Du einfach mal SCH… finden!
- Und was ist nun zu tun? – Lass einfach mal alles raus!
Die Rückmeldung der Leitungskräfte war durchgängig positiv, weil es einfach mal gut getan hat in dieser Runde ein Ventil für den angestauten Frust der letzten Wochen, Monate und Jahre zu finden. Du kannst diese Antworten auch aufschreiben und dann verbrennen. Dann verabschiedest du dich ritualisiert von den Ärgernissen und Belastungen.
Einfach mal Danke sagen
Ich weiß, dass viele Fachkräfte und vielleicht auch du, sich mehr Anerkennung und Wertschätzung wünschen. Dazu möchte ich meinerseits den heutigen Tag, den Tag der Kinderbeteuung nutzen. Dieser Tag findet seit 2012 immer an dem Montag nach Muttertag statt. Mit Blick auf die nicht immer ganz einfache Situation, möchte den heutigen Tag dazu nutzen, dir und deinen Kolleg*innen einfach einmal Danke für die wichtige und wertvolle Arbeit zu sagen, die Du* Ihr tagein und tagaus leistet.
Ich danke hiermit allen pädagogischen Fachkräften, die
- Tag für Tag für die Kinder da sind und seit 2 Jahren ihre Gesundheit riskieren
- die Kinder ohne 1,50m Abstand und Maske in den Arm nehmen
- Tagtäglich Tränen trocknen, Nasen putzen
- auf die Gefühle, Sorgen und Ängste der Kinder eingehen
- und eigene Sorgen und Ängste zurückstellen
- ein offenes Ohr für die Nöte der Eltern haben
- trotz eigener Sorgen liebevoll den Kindern und Familien in den Hochwassergebieten wieder einen sicheren und verlässlichen Ort bieten
- Geflüchtete Kinder und Familien mit offenen Armen empfangen
Hoffentlich haben wir jetzt wirklich bald das Licht am Ende des Tunnels erreicht.
Deine Anja
von Anja Cantzler | 8.03.2022 | Konflikte, Methoden, Team
Sobald ein Kind zu dir in die Krippe, Kita oder Kindertagespflege kommt, wird es Teil einer ihm völlig fremden Gruppe und muss sich den bestehenden Gruppenregeln und den dort vermittelten Werten unterordnen. Die Kinder bringen erste Werte bereits aus dem Elternhaus mit und gleichzeitig vermittelst du bewusst oder unbewusst den Kindern deinerseits von Anfang an Werte, die dir wichtig sind. So wie die Kinder aus ihrem familiären Umfeld geprägt sind, bist du als pädagogische Fachkraft ebenfalls von den Werten deiner eigenen Familie und deiner bisherigen Lebensgeschichte geprägt. Jeder Mensch – Kinder, Eltern, Kollegen, Kolleginnen und du selbst – hat seine individuellen, persönlichen Werte.
Was sind eigentlich Werte?
Werte sind zunächst einmal allgemeine, kollektiv geteilte Vorstellungen darüber, was die Mitglieder einer Gesellschaft für wünschenswert erachten. Diese Werte prägen deine Persönlichkeit und sind entscheidend für dein Handeln in den unterschiedlichsten Lebenslagen. In deiner Arbeit dienen sie dir als Orientierung für die eigene Einstellung und als “Regulierer” des Denkens, Fühlens und Handelns im Umgang mit den Kinder, Eltern und Mitarbeitenden in ihrer pädagogischen Tätigkeit.
Als Fachkraft solltest du dir bewusst sein, dass du gemeinsam mit dem Elternhaus die Wertehaltung der Kinder mitprägst. Dementsprechend wichtig ist es, dass du dir deiner Werte bewusst bist und den Kindern von Beginn an positive Werte mit auf den Weg gibst.
Werte lassen sich grundlegend in vier Kategorien unterteilen. Es gibt:
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Geistige Werte (Wissen, Disziplin)
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Sittliche Werte (Treue, Ehrlichkeit)
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Religiöse Werte (Toleranz, Glaubensfestigkeit)
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Private Werte (Höflichkeit, Rücksichtnahme oder Taktgefühl)
Unterm Strich stellen Werte wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Toleranz etc. positive Charakterzüge dar. Werte beinhalten immer etwas positives. „Schlechte Werte“ gibt es grundsätzlich nicht.
Trotzdem kommt es in der pädagogischen Arbeit immerwieder zu sog. Wertekonflikten, weil ein Elternteil regelmäßig morgens zu spät kommt, die Kollegin ständig irgendetwas herumliegen lässt oder der Kollege das Kind mit dem Essen spielen lässt.
Was versteht man unter Wertekonflikten?
Ein Wertekonflikt entsteht dann, wenn zwei Werte so im Gegensatz zueinander stehen, dass sie nicht gleichzeitig zu berücksichtigen sind. Im Fall des zu spät kommenden Elternteils kann der Wert der Pünktlichkeit berührt werden, die Kollegin verletzt den Wert der Ordnung und Ordentlichkeit und der Kollege stellt den Wert, Lebensmittel nicht zu verschwenden, möglicherweise in Frage.
Wenn die Situationen mit einem klaren Gespräch nicht lösbar sind, kann dir das Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun gegebenfalls weiterhelfen.
Was verbirgt sich hinter dem Werte- und Entwicklungsquadrat?
Es handelt sich um ein weiteres Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun. Mit diesem Modell wird verdeutlicht, dass sich hinter jedem Wert ein Unwert verbirgt und hinter jedem Unwert ein Wert. (s.Abbildung 34/ Beitragsbild) Damit wird es dir u.a. möglich das Gute in deinen Schwächen zu sehen.
Wenn du dich auf den Weg machst und das Gute hinter deinen Schwächen und den Schwächen der anderen erkennst, aber auch das Schlechte hinter den Stärken, erfährst du mehr über dich selbst und andere. Du kannst entdecken, an wo es bei dir und bei deinem Gegenüber Entwicklungspotenziale gibt. Damit wird es dir oftmals leichter, dem Verhalten anderer gegenüber gelassener zu reagieren. Das Wertequadrat ist damit eine wunderbare Methode für mehr Selbsterkenntnis und einen gelasseneren Umgang mit Menschen mit anderen Ansichten.
Oftmals ist es auf den ersten Blick nur schwer erkennbar, dass sich hinter unerwünschten Eigenschaften wie Festhalten an Gewohntem, strengen Vorgaben, Selbstaufgabe, Egoismus, Misstrauen etc. letztendlich ein Wert bzw. Stärke verbergen. Manches Mal muss du dann sehr genau hinschauen, um den hinter jedem Wert dazu gehörigen „Geschwister“wert zu erkennen. Diese gegensätzlichen Paare sind wichtig, damit aus einem Wert kein Unwert wird. Unter einem Unwert versteht man die abwertende Übertreibung des eigentlichen Wertes. Dann dann die Pünktlichkeit auch einmal in eine Betonung der Überpünktlichkeit ausarten oder der Anspruch auf Genauigkeit wird zur zwanghaften Perfektion.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung
In der Zusammenarbeit pädagogischer Fachkräfte untereinander oder aber auch im Dialog mit den Eltern kommt es in der Praxis immer wieder zur Reibungen durch unterschiedlichen Wertehaltungen.
So möchte deine Kollegin oder dein Kollege beispielsweise den Kindern klare Grenzen vorgeben, was sie tun und lassen dürfen. (Wert2: Anleitung/ Führung) Du vertritts hingegen die Ansicht, dass ein Kind sich am besten entwickeln kann, wenn es frei und ohne viele Vorschriften von außen seine Erfahrungen machen darf. (Wert1: freie Entfaltung)
Du beschuldigst dann vielleicht deinen Kollegin oder deinen Kollegen als zu streng und einengend (Unwert2), wodurch die Kinder sich nicht entfalten können. Deine Kollegin oder dein Kollege beürchten ihrerseits bei dir eine Laissez-Faire-Haltung (Unwert1), die dazu führt, dass das Kind schon bald nur noch machen wird, was es will.
Wertequadrat für das Beispiel:
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Wert1
freie Entfaltung
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Wert2
Anleitung/ Führung
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Unwert1
Laissez-Faire
mach doch, was du willst
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Unwert2
strenge und starre Vorgaben
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Wenn du nun die Werte und die dazugehörigen Unwerte in das Wertequadrat einträgst (s.Abb) wird schnell deutlich, dass alle Beteiligten eigentlich für einen Wert auf der oberen Linie eintreten und es eigentlich nicht grundsätzlich darum geht, den anderen zu verteufeln, indem wir ihn auf einem der unteren Unwerten verdammen.
Hilfreich ist nun gemeinsam die sogenannte „goldene Mitte“ zu finden. Jede*r betont aus seiner Sicht einen Teil der Gesamtwahrheit. Die Lösung besteht darin, sich im Optimalfall nicht zu widersprechen, sondern sich in der Gegensätzlichkeit zu ergänzen.
Ohne ein gewisses Maß an Vorgaben wird aus der freien Entscheidungs- und Entwicklungsmöglichkeit für die Kinder schnell eine orientierungsloses Laissez-Faire. Umgekehrt begünstigen zu viele Regeln und Vorgaben eine starre und strenge Atmosphäre, in die Kinder zu sehr beschnitten werden, was wiederum dem Partizipationsansatz komplett widerspricht.
Die Lösung des Wertekonfliktes
Die Lösung eines Wertekonfliktes liegt also in der Überwindung der anscheinenden Polarität, der scheinbaren Unvereinbarkeit zweier an sich ergänzender Bruderwerte. Basis ist die Erkenntnis, dass zwei Teilwahrheiten / Geschwisterwerte im Idealfall in einem flexiblen Ergänzungsverhältnis zueinander stehen. Das unterstützt dich dabei, in einem Konfliktfall von der Verteufelung deines Gegenübers und seiner Werte abzulassen und zu erkennen, dass auch dein Kollege, deine Kollegin oder die Eltern für einen wertvollen Teilaspekt eintreten.
Erinnere dich also im nächsten Wertekonflikt daran: „Egal wie unmöglich und gefährlich du du die Ansichten deines Gegenübers auch findest, freue dich, dass es diese andere Seite gibt. Dein Gegenüber macht dich nämlich darauf aufmerksam, dass auch in deinen Werten Unwerte schlummern, die sich potenzieren können, wenn dein Gegenüber nicht wäre.“
Was bringt dir das Werte- und Entwicklungsquadrat?
Zum einen kannst du dich selbst reflektieren. Wenn du beispielsweise unter einer bestimmten Eigenschaft oder Schwäche leidest, kannst mithilfe des Werte- und Entwicklungsquadrates erkennen, in welche Richtung du dich entwickeln solltest.
Wenn du oftmals darum bemüht bist, es allen Recht zu machen und dabei deine eigenen Bedürfnisse vernachlässigst, bist gut beraten, einen gesunden Egoismus zu entwickeln. Neigst du dazu eher zu dominant und kontrollsüchtig zu sein, übe dich im Los- und Zulassen.
Außerdem hilft dir das Wertequadrat zu erkennen, dass hinter jedem Unwert oder jeder Schwäche das Potenzial eines Wertes oder einer Stärke angelegt ist.
Wenn du in der Lage bist, das zu erkennen, hilft dir das, deine eigenen Schwächen besser anzunehmen. Wenn du erkennst, dass hinter deiner unerwünschten Charaktereigenschaft immer auch eine an sich positive Eigenschaft angelegt ist, kannst du dich vielleicht weniger dafür kritisieren.
Dieser Blickwinkel kannst du natürlich auch gegenüber anderen einnehmen und damit gelassener reagieren, wenn dir etwas an deseen Verhalten missfällt. Schließlich weißt du nun, dass in jeder “Schwäche” bzw. übertriebenen Eigenschaft auch ein wertvolles Potenzial angelegt ist. Alles angeblich „Schlechte” hat also einen positiven Kern. Das lässt sich übrigens auch auf die pädagogische Arbeit mit den Kindern übertragen. Anstatt dich über das widerspenstige Kind zu ärgern, kannst du dich über so viel Durchsetzungsfähigkeit freuen.
Schließlich ist das Werte- und Entwicklungsquadrat auch bei zwischenmenschlichen Konflikten sehr hilfreich. In meinem vorherigen Beispiel wurde der Kollege bzw. die Kollegin kritisiert. Der Kritisierte verkörpert für den Kritisierenden ausschließlich negative Ansichten und Eigenschaften, wohingegen er selbst für das Gute und Wertvolle steht. Hier führt die Anwendung des Werte- und Entwicklungsquadrats zu mehr Gelassenheit in der Situation, wenn damit die gegensätzlichen Standpunkte aufgelöst werden.
Ich wünsche dir, dass du zu mehr Dialog und Gelassenheit mit diesen Anregungen finden kannst
Deine Anja
Ergänzender Kita Talk:
Wenn du jetzt gerne noch mehr über den Umgang mit Wertekonflikten erfahren möchtest, dann hör doch ganz einfach in meinen KitaTalk mit Martina Korn: „Meine Werte- Deine Werte, wenn Werte zum Konflikt führen“
Und hier noch eine Übung zum Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun
Zugegeben, es ist für unseren polar geprägten Verstand nicht immerganz einfach, hinter einem Wert den dazugehörigen Geschwisterwert zu finden bzw. hinter zwei sich auf den ersten Blick gegensätzlichen Werten die entsprechende Ergänzung zu finden.
Fertige doch einfach mal zu jedem der folgenden Begriffe ein Wertequadrat an, dann bekommst du ein besseres Gespür dafür.
a) Starr an Altem festhalten
b) Albernheit
c) Selbstaufgabe / Selbstaufopferung
Tipp: Überlege dir zunächst, ob es sich bei dem Begriff um einen Wert oder eine Übertreibung/Entartung handelt. Einen Wert trägst du immer oben ein, eine Übertreibung nach unten (egal ob links oder rechts).
Finde dann zu einem Wert seinen Geschwisterwert bzw. zu der Überreibung den dahinter liegenden Wert.
Beispiel: Faulheit
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Wert 1
zielstrebiger Ehrgeiz
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Wert2
entspannte Gelassenheit
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Unwert 1/ Übertreibung 1
übertriebener Ehrgeiz/Nicht locker lassen können/
Verbissenheit
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Unwert2/
Übertreibung 2
Faulheit/Trägheit/ übertriebene Passivität
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von Anja Cantzler | 17.09.2021 | Gewaltfreie Pädagogik, Kinderschutz, Methoden
Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und des eigenen Ichs im Sinne von „Wer bin ich?“, „Was kann ich?“ und „Was will ich?“ bilden für mich wichtige Grundbausteine für gelebten Kinderschutz in der Kinderbetreuung und tragen zur Prävention bei.
Sensomotorisches Spiel als Grundlage
In den ersten drei Lebensjahren widmen sich Kinder in erster Linie ausgiebig dem sensomotorischen Spiel, der ersten Form kindlichen Spielens. Sie bestaunen und erforschen zunächst ihren Körper und später ihre dingliche Umwelt. Dabei sind häufige Wiederholungen mit kleinen Variationen von großer Wichtigkeit. Um dies in Ruhe tun zu können brauchen Kinder ungestörte Rückzugsorte und viel Zeit. Eines der größten Tastorgane ist unsere Haut. Darüber erhält der Körper wesentliche Impulse, die im Gehirn verarbeitet und gespeichert werden und einen großen Einfluss auf die motorische, sprachliche und emotionale Entwicklung haben.
Wickeln feinfühlig gestalten
In dem Zusammensein mit jüngeren Kindern bietet gerade die Wickelzeit zahlreiche Möglichkeiten, dem Kind individuelle Zuwendung und ein vielfältiges Lern- und Erfahrungsfeld anzubieten. Das Wickeln ist eine stark von Intimität und Vertrauen geprägte Situation, bei der durch den Körperkontakt der Bindungsaufbau zwischen Kind und Pädagogischer Fachkraft unterstützt wird. Im Sinne des Kinderschutzes und der Prävention ist es hier sehr wichtig sehr feinfühlig auf das einzelne Kind einzugehen. Dazu gehört es, den Blickkontakt zu halten und darauf zu achten, dass dem Kind die Berührungen angenehm sind und es sich wohl fühlt. Was dem einen Kind angenehm ist, empfindet das andere als extrem unagenehm. Bitte reflektiere Dich auch immer selbst, ob der Wunsch nach diesem Körperkontakt wirklich vom Kind ausgeht oder ob Du es ihm förmlich überstülpst, weil Du es gerade genießt mit dem Kind im Kontakt zu sein. Akzeptiere jedes „Nein“ und jede Abwehrreaktion – nimm das Kind in seinen Äußerungen und Signalen ernst. Damit leistest Du einen wichtigen Beitrag zu Prävention.
Spieglein, Spieglein…die Ich-Identität
Eine wichtige Grundausstattung für die Kinderbetreuung, um die Körperwahrnehmung und Entwicklung der Ich-Identität zu unterstützen sind Spiegel, möglichst so groß, dass das Kind seinen ganzen Körper darin sehen kann und so einen realen Eindruck von sich selbst gewinnt. Spiegel helfen dem Kind, eine Vorstellung von seinem Aussehen zu entwickeln, da es nur hier z. B. das eigene Gesicht und den Rücken überhaupt sehen und Mimik und Gestik erproben kann. Dabei verknüpft es automatisch die bereits gesammelte taktile Erfahrungen mit den visuellen Eindrücken. Im Alter von etwa 18 Monaten kann ein Kind sich schließlich auch selbst im Spiegel erkennen und als Person wahrnehmen.
Ausscheidungsautonomie als zentrales Thema
Ab einem Alter von etwa zwei Jahren stellt die Entwicklung der Ausscheidungsautonomie ein zentrales Thema im Zusammenhang mit der Körperwahrnehmung dar. Dafür ist neben der biologischen Reife eine gute Kenntnis des eigenen Körpers erforderlich, um die Körperfunktionen steuern und kontrollieren zu können. Gerade in dieser Phase braucht das Kind einfühlsame Erwachsene, die ihm Zeit und Raum geben, die neu gewonnene Unabhängigkeit in der für das Kind wichtigen Intimität ausprobieren und „perfektionieren“ zu können. Ein gut geführter Dialog zwischen Fachkraft und Kind ist in diesem Entwicklungsprozess von großer Bedeutung. Frag das Kind ob und von wem es begleitet werden möchte. Lass ihm die Entscheidung. Mach keine Vorwürfe, wenn es mal daneben geht.
Nein-Sagen erwünscht
Ein weiteres wichtiges Entwicklungsthema im dritten Lebensjahr ist schließlich die Ausbildung der Ich-Identität. In der Autonomiephase erprobt das Kind, was es mit seinem Willen bewirken kann, und erprobt so seine Möglichkeiten und Grenzen. Hier bekommt das Nein – Sagen eine zentrale Bedeutung. Im Kinderschutz und in der Prävention nimmt gerade dieses Nein eine wesentliche Rolle ein. Unser pädagogisches Ziel sind in der Regel Kinder, die wissen, was sie können, die wissen, was sie wollen, die sich abgrenzen können… selbstbewusste, kompetente Persönlichkeiten, die gewappnet für die Herausforderungen des Lebens sind.
Ronny und die Morgenkreiskiste
Um nun in projektorientierter Form, den eigenen Körper entdecken und erforschen zu können, kommt Ronny mit seiner Morgenkreiskiste ins Spiel.
Ronny (s.Beitragsbild) ist eine Handpuppe, die mit allen menschlichen Gliedmaßen und Körperteilen ausgestattet ist. Ronny lebt und schläft in einer Kiste. Bei der Kiste handelt es sich in Anlehnung an die Idee der Morgenkreiskisten von Mariele Diekhoff um eine schön gestaltete Kiste, die unterschiedliche Spielmaterialien und Anregungen rund um das Thema Körper und Körperwahrnehmung enthält und nach einem ritualisierten Ablauf regelmäßig im Spielkreis zum Einsatz kommt. Die Morgenkreiskiste ist aus der Praxiserfahrung heraus bereits ab einem Alter von etwa 18 Monaten geeignet.
Gestaltung der Kiste:
Ein stabiler Pappkarton mit Deckel (mind. 40 x 40 x50 cm) wird außen ansprechend gestaltet, zusätzlich kannst Du die Innenseite mit Spiegelfolie ausgekleiden, dann ist dieser wiederum für weitere Aktivitäten z.B. zum Grimassen schneiden und Gesichtsausdrücke üben einsetzbar.
Möglicher Inhalt:
In die Kiste kommt eine Grundausstattung an Materialien z. B. Bildkarten, Chiffontücher, verschiedene Bälle und Pinsel, Federn, Watte. Für die übersichtliche Aufbewahrung der Materialien sind Stoffsäckchen oder kleinere, verzierte Pappschachteln geeignet. Die Materialien sollten immer in ausreichender Anzahl vorhanden sein. Für geplante Bewegungen mit Musik oder Entspannungen empfiehlt es sich, eine CD mit geeigneter Musik in der Kiste zu deponieren.
Und natürlich darf die Handpuppe nicht fehlen. Vielleicht bekommt diese auch noch ein Schnuffeltuch oder ein Lieblingskopfkissen, damit sie gemütlicher schlafen kann. Was auch noch dazugehört, ist die Spieluhr.
Durchführung:
Einstieg
Setz Dich mit den Kindern in einen Kreis und stell die Kiste in die Kreismitte. Überlege mit den Kindern, wie die Handpuppe geweckt werden könnte. Dann darf ein Kind ganz vorsichtig die Kiste öffnen.
Die Handpuppe begrüßt dann alle Kinder persönlich mit möglichst immer wiederkehrenden Worten. Erfahrungsgemäß möchten viele Kinder die Handpuppe gerne berühren und streicheln.
Mein Ronny ist da jedoch immer sehr klar und bestimmt. Er weiß ganz genau, was er mag und was er nicht mag. Das erklärt er den Kindern und kommt mit ihnen darüber ins Gespräch, was ihnen angenehm ist und was sie nicht mögen. Es gibt auch Tage, da mag er gar keinen Körperkontakt. Genauso spannend ist es auch, wie sich Ronny jeden Tag so fühlt. Mal ist er richtig fröhlich und unternehmungslustig und manchmal ist er auch ganz fürchterlich traurig oder wütend.
Du hast also in dieser Anfangsrunde viele Möglichkeiten, mit den Kindern über die Handpuppe ins Gespräch zu kommen. Ronny kann auch wundervoll zuhören und trösten, wenn ein Kind einmal Trost braucht.
Hauptteil
In diesem Hauptteil kündigt die Handpuppe dann ein Spiel oder Material an, das sie den Kindern mitgebracht hat. Sie „übergibt“ die Durchführung an die Fachkraft und zieht sich auf einen Beobachtungsposten zurück. Ideen und Anregungen rund um die Themen Körper und Sinne findest Du in meinen beiden Büchern: Mein Körper und Meine Sinne, die im Hase und Igel Verlag erschienen sind. Je nach Alter, Interesse und Ausdauer der Kinder kann diese Phase etwa zehn bis 15 Minuten dauern.
Ausklang
Die Handpuppe wendet sich nach dem Hauptteil wieder an die Kinder. Sie erzählt, was sie beobachtet hat und spricht noch einmal mit den Kinder. Auch hier besteht je nachdem nocheinmal die Gelegenheit über die aktuellen Gefühle zu sprechen. Bei der Verabschiedung können erneut einzelne Körperteile wie z. B. Winken mit den Füßen, Klatschen mit den Händen etc. zum Einsatz kommen. Die Handpuppe krabbelt dann müde in die Kiste zurück. Die Spieluhr wird aufgezogen und zu ihm gelegt. Ein Kind schließt vorsichtig den Deckel und alle lauschen bis die Spieluhr verklungen ist. Manchmal, wenn die Kinder ganz besonders gut hinhören, dann hört man Ronny leise schnarchen.
Viel Spaß bei der Umsetzung
Deine Anja
von Anja Cantzler | 10.05.2021 | Allgemein
Seit 2012 findet immer an dem Montag nach Muttertag der Tag der Kinderbetreuung statt. Dieses Jahr fällt dieser Tag auf den 10. Mai und ich möchte den heutigen Tag dazu nutzen, Dir und Deinen Kolleg*innen einfach einmal Danke für die wichtige und wertvolle Arbeit zu sagen, die Du* Ihr tagein und tagaus leistet.
Ein Jahr voller Herausforderungen
Im März des letzten Jahres begann der 1. Lockdown und wir befanden uns alle von heute auf morgen im Schockzustand. Du und Deine Kolleg*innen mussten auf einmal ganz neu denken und Eure Arbeit komplett umstellen. In vielen Kinderbetreuungsstellen waren zunächst nur sehr wenige Kinder zu betreuen und viele pädagogische Fachkräfte wurden ins Home Office geschickt. Endlich war einmal Zeit, viel Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Gleichzeitig wurde versucht, irgendwie den Kontakt zu Kindern, Eltern und Kolleg*innen aufrecht zu erhalten. Es entstanden viele gute Ideen und Projekte – und wieder einmal zeigten Pädagogische Fachkräfte ihre Felexibilität und Kreativität, sich den Herausforderungen zu stellen.
Zurück in die Zukunft
So überschrieb ich im letzen Sommer einen Blogbeitrag als die Kinderbetreuung vor gut einem Jahr dann in den eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren durfte. Wir alle wähnten uns bereits in einer gewissen Sicherheit, dass diese Pandemie nun bald ein Ende nehmen würde. Natürlich gab es viel zu berücksichtigen und zu bedenken, aber das Gröbste schien überstanden zu sein. Auch in dieser Phase haben die Mitarbeitenden in Krippe, Kita und Kindertagespfelege versucht das Beste aus der Situation zu machen. Du hast mit Deinen Kolleg*innen die Kinder wiedereingewöhnt, Schulkinder verabschiedet und neue Kinder in Empfang genommen. Parallel hast Du Dich um Deine eigenen privaten und familiären Belange gekümmert. In dieser Aufzählung klingt das gerade erstaunlich „normal“, aber in der Realität war da mal gar nichts normal. Betreuung in strikt getrennten Gruppen, Betretungsverbot für die Eltern, keine Dienstbesprechungen, Einhalten von verschärften Hygienevorschriften, vielerorts Masken tragen …
Dann ein erneuter Rückschritt
Seit Ende letzten Jahres befinden wir uns erneut in der sognenannten Notbetreuung, die vielerorts bei näherer Betrachtung ein Regelbetrieb mit verkürzten Betreuungszeiten ist. Anstatt klarer Vorgaben, welches Kind die „Notbetreuung“ nutzen kann, erfolgt ein Appell an die Eltern, der nach Gutdünken auslegbar ist. Viele pädagogische Fachkräfte fühlen sich schon seit längerem nicht mehr ernst und wahr genommen. Sie stehen mit an vorderster Front und bekommen den Unmut der Eltern geballt und ungefiltert ab. Die pädagogischen Fachkräfte und Eltern befinden sich seit Monaten im Ausnahmezustand und dadurch gerät die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft oftmals auf den Prüfstand. Auch hierzu habe ich bereits mehrere Beiträge in diesem Blog bzw. in meinen KitaTalks auf YouTube veröffentlicht.
Einfach mal Danke sagen
Unter diesen Umständen ist es wirklich nicht leicht, immer wieder gut für sich selbst zu sorgen, um dann Tag für Tag mit neuer Kraft für Kinder und Eltern da zu sein. Und deswegen möchte ich an dieser Stelle einfach mal Danke sagen.
Ich danke allen pädagogischen Fachkräften, die
- Tag für Tag für die Kinder da sind und ihre Gesundheit riskieren
- die Kinder ohne 1,50m Abstand in den Arm nehmen
- ohne Plexiglasscheibe Tränen trocknen und Nasen putzen
- auf die Gefühle, Sorgen und Ängste der Kinder eingehen
- und eigene Sorgen und Ängste zurückstellen
- ein offenes Ohr für die Nöte der Eltern haben
- die ihre eigenen Kinder von anderen zu Hause betreuen lassen, um zur Arbeit zu kommen
- Dokumentationen im HomeOffice schreiben, während die eigenen Kinder HomeSchooling haben
Ich danke im Speziellen allen Leitungskräften, die
- den Überblick in diesen ständig sich verändernden gesetzlichen Bestimmungen behalten
- die Einhaltung der Hygienevorschriften gewährleisten
- ein offenes Ohr für Ängste und Sorgen haben, obwohl es ihnen oftmals ähnlich geht
- den Dienstplan bei allen Schwierigkeiten von Personalschlüssel und Infektionsrisiko organisieren
- oftmals am Wochenende die Pläne der Regierungen umsetzen mussten
- trotz erschwerter Bedingungen versuchen, die Teams zusammen zu halten
Licht am Ende des Tunnels
Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, dass wir jetzt wirklich bald das Licht am Ende des Tunnels erreichen. Dann gibt es immernoch viel zu tun und ich bin sehr gespannt, wie die Arbeit in der Kindertagesbetreuung zukünftig aussehen wird. Ich bin jedoch sehr zuversichtlich, dass es auch im kommenden Jahr wieder Vieles geben wird, für das ich Dir und Deinen Kolleg*innen danken kann.
Deine Anja
Hier noch einmal zur Erinnerung die im Text angesprochenen Blogartikel:
Und KitaTalks auf YouTube:
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